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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Wagner (Richard)

dieser Ehe stammten drei Töchter: Daniela (1886 verheiratet mit Henry Thode, Professor der Kunstgeschichte in Heidelberg), Blandine und Isolde. Richard W.s und Cosimas Kinder sind: Eva und Siegfried. Letzterer, geb. 6. Juni 1869 in Luzern, hat sich seit 1893 als tüchtiger Dirigent bekannt gemacht; hauptsächlich ist er neben seiner Mutter an der Regie der Bühnenfestspiele thätig.

Richard W. ist unbestritten die bedeutendste Künstlererscheinung des 19. Jahrh. Vielerlei innere und äußere Ursachen wirkten zusammen, um ihn schnell auf eine so hervorragende Stelle zu heben. Die deutsche Oper war, mit Ausnahme weniger Werke von Karl Maria von Weber (s. d.) und Heinrich Marschner (s. d.), fast ganz verarmt und erschöpfte sich meist in erfolglosen Versuchen. Das Repertoire wurde fast ausschließlich beherrscht von der sog. Großen Oper, hauptsächlich von Meyerbeer. In dieser hatte der Widersinn der Handlung, die theatralische Mache mit allen ihren Unwahrheiten, die dem Dramatischen hohnsprachen (die Texte stammten meist von Scribe und seinen litterar. Genossen), und die prunkende, raffinierte, stillose Musik ihren Höhepunkt erreicht, der kaum noch überboten werden konnte. Als Schriftsteller bekämpfte W. energisch und leidenschaftlich diese Große Oper und verfocht mit Erfolg die Forderung der dramat. Wahrheit, als Dichterkomponist schuf er eine Reihe von Werken, die ihn als eine selbständige, nach sehr bestimmten Zielen strebende künstlerische Persönlichkeit bald in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückten. Sein Verlangen großer und neuer, vor allem nationaler Stoffe, und einer dem Wesen der dramat. Musik entsprechenden Behandlung des Textes mußte zünden. Er selbst suchte in seinen Texten entschieden zu reformieren, und es ist sein Verdienst, psychologisch und dramatisch wertvolle Operndichtungen geboten zu haben. Sein Vorgänger und Vorbild in dieser Hinsicht war namentlich Gluck (s. d.), dessen Grundsätze auch auf W.s Gestaltung des Recitativs und der Deklamation bedeutend eingewirkt haben. W.s ganze Thätigkeit galt dem Theater, von dessen Bedeutung für das nationale Leben er durchdrungen war, eine Anschauung, die ihn mit Weber verband. Seine dichterischen Anlagen sind von manchen selbst über die musikalischen erhoben worden. Seine höchste Kunst zeigt W. im dramat. Aufbau, in der meisterhaften Charakteristik durch Leitmotive, der unübertroffenen Deklamation und der musikalischen Situationsmalerei, die sich im Recitativ und in einer mannigfaltigen glänzenden Instrumentation am freiesten entfalten kann. (S. auch Deutsche Musik.)

Die Jugendwerke W.s, die Opern «Die Feen» (1833; nach Gozzis «Frau als Schlange») und «Das Liebesverbot» (nach Shakespeares «Maß für Maß»), hatten keinen Erfolg. «Die Feen» wurden erst nach seinem Tode veröffentlicht und sind seit 1888 mehreremal in München gegeben worden, ohne nachhaltiges Interesse zu erregen; «Das Liebesverbot» erlebte 1836 eine Aufführung in Magdeburg. Berühmt wurde W.s Name nach der ersten Aufführung seines «Rienzi» (1842 in Dresden), einer Oper, die musikalisch noch nach den Vorbildern von Meyerbeer, Spontini, Auber und Halévy geschrieben ist, aber textlich schon deutlich den W. der Zukunft verriet, namentlich im Aufbau.

Den musikalisch-dramat. Reformator zeigte dann zum erstenmal deutlich «Der fliegende Holländer» (1843 in Dresden), in dem die leitmotivische Idee und die fortlaufende Deklamation den Arien und Ensembles gegenüber bereits den Vorrang einnehmen. «Tannhäuser und der Sängerkrieg auf [der] Wartburg» (Dresd. 1845) und «Lohengrin» (Weim. 1850) steigerten die Erfolge des Dichterkomponisten; seine «romantischen Opern» wurden Repertoirestücke aller größern Bühnen.

Eine neue Periode beginnt in W.s künstlerischem Schaffen mit «Tristan und Isolde» (vollendet 1859, zuerst aufgeführt 1865 in München). In diesem Musikdrama sind seine Grundsätze, wie sie schon vom «Holländer» ab zu Tage treten, zuerst vollständig durchgeführt. An die Stelle des künstlerischen Formalismus, in dem die Tonwerke der besten frühern Meister aufgebaut sind, ist eine (in ihrer Art vollkommene) neue musikalische Behandlung getreten, die im wesentlichen von dem Princip der «unendlichen Melodie» beherrscht wird. Nach der musikalischen Seite steht das Orchester im Vordergrund: es ist bei W. ein Organ unendlich vielseitigen Ausdrucks; «Leitmotive», die unversieglichen Quellen thematischer Arbeit und sinfonischer Durchführung, kennzeichnen mit scharfen Strichen die Gestalten des Dramas. Aus diesem Geiste heraus sind außerdem noch folgende Musikdramen entstanden: «Die Meistersinger von Nürnberg» (Münch. 1868), «Der Ring des Nibelungen» (begonnen gegen Ende der vierziger Jahre), ein Bühnenfestspiel in drei Tagen und einem Vorabend (Ⅰ. «Das Rheingold»; Ⅱ. «Die Walküre»; Ⅲ. «Siegfried»; Ⅳ. «Götterdämmerung»; das ganze Werk zuerst aufgeführt im Aug. 1876 in Bayreuth) und «Parsifal» (zuerst 26. Juli 1882 in Bayreuth).

Von größtem Einfluß ist W.s künstlerische Thätigkeit auf die musikalische Produktion der Gegenwart: er äußert sich sowohl als direkte Nachahmung seines Stils und seiner Manier, wie als fruchtbare Anregung zur polyphonen Orchesterbehandlung, zu gewissenhafter, korrekter Deklamation und zur kritischen Schätzung der Opernbücher auf ihren dramat. Gehalt.

Außer den genannten Werken komponierte W.: «Eine Faust-Ouverture», «Huldigungsmarsch für Ludwig Ⅱ., König von Bayern» (gedruckt 1871), «Kaisermarsch», «Großer Festmarsch» (1876, zur Eröffnung der 100jährigen Gedenkfeier der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Nordamerika), «Siegfried-Idyll» (1878), ein «Albumblatt» (Es-dur) für das Pianoforte (1876), eine «Album-Sonate» für das Pianoforte (1878), «Fünf Gedichte» für eine Frauenstimme mit Begleitung des Pianoforte («Der Engel», «Stehe still», «Im Treibhaus», «Schmerzen», «Träume», 1862), «Die beiden Grenadiere» für Baß oder Bariton mit Klavierbegleitung (1843). Eine Reihe von Kompositionen, darunter eine Konzertouverture in C-dur, ist ungedruckt. Von W.s Schriften seien hervorgehoben: «Die Kunst und die Revolution» (Lpz. 1849), «Das Kunstwerk der Zukunft» (ebd. 1850), «Kunst und Klima» (ebd. 1850), «Oper und Drama» (3 Bde., ebd. 1852), «Über das Dirigieren» (ebd. 1869). Eine Gesamtausgabe von W.s Schriften und Operntexten erschien u. d. T. «Gesammelte Schriften und Dichtungen» (10 Bde., Lpz. 1871‒83; 3. Aufl. 1897 fg.). Aus seinem Nachlaß erschienen: «Richard W., Entwürfe, Gedanken, Fragmente» (Lpz. 1885) und «Jesus von Nazareth. Ein dichterischer Entwurf aus dem J. 1848» (ebd. 1887); beide zusammen mit der bisher nur in den «Bayreuther Blättern» veröffentlichten Operndichtung «Die Sara-^[folgende Seite]