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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Wiedereröffnung - Wiederkäuer

und zwar unter der Voraussetzung, daß die Versäumung in einem Naturereignis oder andern unabwendbaren Zufällen ihren Grund hat, aber auch dann, wenn spätestens am dritten Tage vor Ablauf der Notfrist das zur Wahrung derselben zuzustellende Schriftstück dem Gerichtsvollzieher oder, insoweit die Zustellung unter Vermittelung des Gerichtsschreibers zulässig, diesem zum Zweck der Zustellung übergeben ist. Der erstere Fall greift auch bei Versäumung einer Einspruchsfrist Platz, sofern die Partei von Zustellung des Versäumnisurteils ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat. Die Antragsfrist beträgt im erstern Falle zwei Wochen, mit dem Tage der Hebung des Hindernisses beginnend, jedoch niemals über ein Jahr seit dem Ende der versäumten Notfrist hinausgehend, im letztern Falle einen Monat, beginnend mit dem Ablauf der erwähnten Notfrist. Die W. wird durch Zustellung eines Schriftsatzes beantragt, welcher die zu ihrer Begründung und Glaubhaftmachung dienenden Thatsachen und Beweismittel angeben und die versäumte Prozeßhandlung nachholen oder auf die etwa bereits erfolgte Nachholung sich beziehen muß. Nur bei Versäumung der sofortigen Beschwerde wird der Antrag bei Gericht gestellt. Über den Antrag entscheidet das zur Entscheidung über die nachgeholte Prozeßhandlung zuständige Gericht; und zwar in einem Verfahren, sofern das Gericht nicht die Vorabverhandlung und Entscheidung über den Antrag beschließt, und unter gleichen Regeln für die Entscheidung und deren Anfechtung. (Vgl. Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, §§. 210 fg.) Ähnliche Bestimmungen hat die Österr. Civilprozeßordnung vom 1. Aug. 1895 in den §§. 146 fg. getroffen.

Ⅲ. Strafprozessualisch. Die Deutsche Strafprozeßordnung läßt die W. gegen Versäumung einer Frist ebenfalls zu, wenn der Antragsteller durch Naturereignisse oder andere unabwendbare Zufälle, worunter auch unverschuldete Unkenntnis von einer Zustellung zu rechnen, an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Gesuch muß binnen einer Woche nach Beseitigung des Hindernisses unter Angabe und Glaubhaftmachung der Versäumnisgründe und Nachholung der versäumten Handlung bei dem Gericht angebracht werden, bei welchem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Das Gesuch hemmt die Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung nicht, doch kann das Gericht einen Aufschub anordnen. Über das Gesuch um W. entscheidet das zur Entscheidung in der Sache selbst berufene Gericht; die stattgebende Entscheidung unterliegt keiner Anfechtung, die verwerfende der sofortigen Beschwerde (§§. 44‒47). Die Österr. Strafprozeßordnung kennt in §. 364 die W. nur gegen Versäumung der Frist zur Anmeldung eines Rechtsmittels gegen ein Urteil, macht dieselbe von dem Nachweis unabwendbarer Umstände abhängig, welche ohne des Antragstellers oder seines Vertreters Verschulden die Einhaltung der Frist unmöglich machten, giebt nur eine dreitägige Frist und gewährt gegen die Verwerfung der W. kein Rechtsmittel. Die Deutsche Strafprozeßordnung gewährt die W. auch gegen Urteile, die in Abwesenheit des Angeklagten ergangen sind, außer wenn der Angeklagte auf seinen Antrag vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden war oder von der Befugnis, sich vertreten zu lassen, Gebrauch gemacht hatte (s. Abwesenheit). Die Einlegung der Berufung oder Revision ohne Verbindung mit dem Gesuch um W. gilt indes als Verzicht auf letztere. Im Verfahren auf amtsrichterlichen Strafbefehl (s. d.) kann der Angeklagte, welchem gegen den Ablauf der Einspruchsfrist W. gewährt worden ist, die letztere nicht mehr gegen das Urteil beanspruchen (§§. 234, 356, 370, 382, 452).

Wiedereröffnung des Konkurses, s. Wiederaufnahme (des Konkursverfahrens).

Wiedergeburt, in der christlich-religiösen Sprache die übernatürlich bewirkte religiös-sittliche Erneuerung des Menschen (Joh. 3, 3); daher hieß insbesondere die Taufe Bad der W. (Tit. 3, 5). In der Theologie der Reformatoren bezeichnet W. bestimmter die sittliche Seite des Glaubens, oder die durch den Heiligen Geist bewirkte principielle Umwandlung des Willens, als Vorsatz zur Besserung dem Menschen zum Bewußtsein kommend und geeignet, die Heiligung oder die Entwicklung des neuen sittlichen Lebens zu begründen. Die spätere altluth. Dogmatik verwendete den Ausdruck wieder im allgemeinen Sinne, um die in der Bekehrung oder Taufe vorausgesetzte übernatürliche Einwirkung überhaupt damit zu bezeichnen. (S. Palingenesie.)

Wiederheirat. Nach Gemeinem Rechte, dem Österr. Bürgerl. Gesetzbuch, dem Code civil und dem Sächs. Bürgerl. Gesetzbuch ist die W. des Vaters auf dessen Stellung gegenüber den Kindern, insbesondere in Ansehung der Vermögensverwaltung, ohne Einfluß. Eine große Zahl anderer Rechte legt dem Vater, zum Teil aber auch der Mutter, wenn diese eine neue Ehe schließen wollen, die Verpflichtung auf, vor Schließung der neuen Ehe ein Verzeichnis des ihrer Verwaltung unterliegenden Vermögens der Kinder einzureichen und sich mit den Kindern der frühern Ehe wegen deren Vermögens, insbesondere desjenigen, welches sie von dem verstorbenen Teil des Elternpaares ererbt haben, auseinanderzusetzen (Deutsches Bürgerl. Gesetzb. §. 1493). Das Vormundschaftsgericht kann gestatten, daß die Auseinandersetzung erst nach der W. erfolgt. Einzelne Rechte erfordern eine vorgängige Sicherstellung dieses Vermögens. Nach Preuß. Allg. Landr. Ⅱ, 1, §. 18 und Deutschem Bürgerl. Gesetzb. §. 1314 ist die unterbliebene Auseinandersetzung aufschiebendes Ehehindernis. Das röm. Recht droht dem Wiederheiratenden gewisse vermögensrechtliche Nachteile zum Vorteil der aus der frühern Ehe vorhandenen Kindern an (sog. poenae secundarum nuptiarum). Diese Vorschriften sind in den neuern Gesetzgebungen aufgegeben. – Wegen der Beschränkung der Witwen in Bezug auf das Trauerjahr s. d.

Wiederholdsches Lederöl, s. Lederöl.

Wiederholungszeichen, Interpunktionszeichen (: :), meist in Liedern gebraucht, um anzuzeigen, daß ein oder mehrere Verse zweimal gesungen werden sollen; in letzterm Falle setzt man das W. vor den ersten und nach dem letzten der zu wiederholenden Verse. In der Notenschrift ist W. ein Zeichen, welches anzeigt, daß ein Teil des Musikstücks wiederholt werden soll. Eine besondere Art des W. ist das Al segno (s. d.).

Wiederkäuen, s. Schlingen.

Wiederkäuer (Artiodactyla ruminantia), eine Unterordnung der Huftiere mit der Eigentümlichkeit, daß ihr Pflanzenfutter nach einiger Zeit wieder in die Mundhöhle heraufgewürgt und von neuem gekaut wird. Dies ermöglicht eine besondere Einrichtung des Magens, der aus vier Abteilungen besteht. Die erste, der Pansen (Wanst, Ranzen, s. d. in umstehender Abbildung), dient nur zur vorläufigen