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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Wiedertäuferthaler; Wiedervergeltungstheorie; Wiedm.; Wiege; Wiegendrucke; Wiegenfest; Wiegm; Wiehe; Wiehengebirge; Wiehl; Wiek

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Wiedertäuferthaler - Wiek (Kreis)

beriefen sich auf das «innere Licht» als in Verzückungen und Visionen sich offenbarend und mißbrauchten den Grundsatz, daß der Wiedergeborene nicht sündige, als Freibrief zu den gröbsten Ausschweifungen. Diese letzte Richtung ist die bekannteste, weil sie ein Bündnis einging mit gleichzeitigen revolutionären Bestrebungen auf polit. und socialem Gebiet.

Obwohl die Bewegung der W. hier und da zu heftigen Erregungen Anlaß gab, so hielt sich doch die überwiegende Anzahl durchaus in den Schranken der bürgerlichen Ordnung und kam nur wegen abweichender Lehre mit den Gesetzen in Konflikt. Als die ersten Vertreter eines revolutionären Anabaptismus dagegen traten bald nach Beginn der Reformation die Zwickauer Propheten hervor, an ihrer Spitze Thomas Münzer (s. d.), Martin Cellarius, Markus Stübner, Nikolaus Storch u. a. Auch in Süddeutschland und der Schweiz zeigten sich ähnliche Bewegungen. Es traten Hans Hutt (Hut), Ludwig Hetzer, Hans Denk (s. d.) und E. Langenmantel in Augsburg, Balthasar Hubmayr, Konrad Grebel u. a. in Basel und Zürich auf. Gleichzeitig finden sich W. in München, Konstanz, im Neckarthal und in der Rheinpfalz; auch in Westfalen, Holstein und den Niederlanden breitete sich die Bewegung aus. In Sachsen, Franken und Thüringen wurde dieselbe zugleich mit dem Bauernaufstand unterdrückt. Besonders bemerklich machte sich Melchior Hofmann (Hoffmann), ein Kürschner aus Schwaben, der den Anabaptismus 1527 in Kiel, 1528 in Emden verbreitete und 1540 in Straßburg im Gefängnis starb. Der von ihm als Bischof eingesetzte Bäcker Joh. Matthieszoon (Matthys) aus Haarlem entsandte neue Apostel, darunter zwei nach Münster, wo sie an dem evang. Prädikanten Rotmann und den Bürgern Knipperdollinck und Krechting begeisterte Mitarbeiter fanden, denen sich 1533 die Schneider Bockold (s. Johann von Leiden) und Matthys selber zugesellten. Nachdem erst dieser, dann Bockold an die Spitze der immer fanatischer werdenden Münsterer Rotte getreten waren, wurde in phantastischen Formen unter den größten Gewaltthätigkeiten und Ausschweifungen das «Reich der W.» errichtet, dem der mit Heeresmacht heranziehende Bischof von Münster 24. Juni 1535 ein Ende bereitete.

Die in Deutschland, der Schweiz und Österreich zerstreuten «stillen» oder gemäßigten W. hatten inzwischen (1526) Zuflucht und Mittelpunkt bei den Herren von Lichtenstein in Nikolsburg (Mähren) gefunden und ein Teil von ihnen sich in den Schlattner Artikeln (1527) vereinigt. Dort haben sie jahrzehntelang ihr Leben nach ihren religiösen Grundsätzen eingerichtet und blühende Gemeinwesen gebildet, die erst seit Ende des 16. Jahrh., dann im Dreißigjährigen Kriege vernichtet worden sind. Aus Mähren verjagt, fristeten zersprengte Glieder der «Gmain» noch in das 18. Jahrh. hinein ihr Leben in Ungarn und Siebenbürgen. Eine im 18. Jahrh. gegründete Kolonie «Hutersthal» in Taurien besteht noch. (S. Baptisten und Taufgesinnte.)

Vgl. Erbkam, Geschichte der prot. Sekten im Zeitalter der Reformation (Hamb. und Gotha 1848). Über die Münsterschen W.: Hase, Neue Propheten (3. Aufl. 1893); Cornelius, Geschichte des Münsterschen Aufruhrs (2 Bde., Lpz. 1855‒60); Ludw. Keller, Geschichte der W. und ihres Reiches zu Münster (Münster 1880). Über Wesen und Schicksale der stillen Täufer: Keller, Ein Apostel der W. [Hans Denck] (Lpz. 1882); ders., Die Reformation und die ältern Reformparteien (ebd. 1885); Egli, Die Züricher W. (Zür. 1878); Jos. Beck, Die Geschichtsbücher der W. in Österreich-Ungarn (in den «Fontes rerum austriacarum», 2. Abteil., Bd. 43, Wien 1883); Egli, Die St. Galler Täufer (Zür. 1887); Loserth, Der Anabaptismus in Tirol (Wien 1892); ders., Der Kommunismus der mährischen W. im 16. und 17. Jahrh. (ebd. 1894); Bahlmann, Die W. zu Münster. Eine bibliogr. Zusammenstellung (Münst. 1894); Müller, Geschichte der Bernischen Täufer (Frauenf. 1895); Lüdemann, Reformation und Täufertum in ihrem Verhältnis zum christl. Princip (Bern 1896).

Wiedertäuferthaler, die von den Wiedertäufern in Münster (1534‒35) geprägten Thaler. Sie tragen keine bildlichen Darstellungen, sondern auf die Lehre der Wiedertäufer bezügliche Glaubenssätze und Sprüche.

Wiedervergeltungstheorie, s. Strafrechtstheorien und Talion.

Wiedm., hinter lat. Tiernamen Abkürzung für L. R. W. Wiedemann, einen Zoologen, besonders Fliegenkenner, geb. 1770 zu Braunschweig, gest. 1840 als Professor in Kiel.

Wiege, Apparat der Goldgewinnung, s. Gold und Tafel: Goldgewinnung Ⅱ, Fig. 7.

Wiegendrucke, s. Inkunabeln.

Wiegenfest, s. Geburtstag.

Wiegm., hinter lat. Namen naturgeschichtlicher Gegenstände Abkürzung für A. Fr. Aug. Wiegmann, geb. 1802 zu Braunschweig, gest. 1841 als Professor der Zoologie zu Berlin. Er ist der Begründer des «Archivs für Naturgeschichte» (1835), fortgesetzt von Erichson, Troschel und von Martens.

Wiehe, Stadt im Kreis Eckartsberga des preuß. Reg.-Bez. Merseburg, am Fuße der Finne, Sitz eines Amtsgerichts (Landgericht Naumburg), hat (1895) 1146 evang. E., Post, Telegraph, evang. Kirche und Vorschußverein. Es ist Geburtsort des Geschichtschreibers Leopold von Ranke, dem hier 1896 ein Denkmal (von Schimmelpfennig) errichtet wurde. Nahebei die Landgemeinde W. mit 729 E. und das Rittergut W. mit Schloß der Herren von Werthern (seit 1461). 6 km nordwestlich die Klosterschule Donndorf (s. d.).

Wiehengebirge, Mindensche Bergkette, Teil des Wesergebirges (s. Karte: Hannover, Schleswig-Holstein u.s.w.), der sich an der Westfälischen Pforte (s. d.) am linken Weserufer nach Westen wendet und im Osnabrücker Tiefland mit den Kappeler Bergen endet. Es erhebt sich im Wurzelbrink zu 315 m und im Rödinghäuser Berg zu 325 m Höhe. Das W. ist hauptsächlich aus braunem Jura zusammengesetzt, dem Schieferthon des Wealden mit Steinkohlen vorgelagert ist.

Wiehl, Gemeinde im Kreis Gummersbach des preuß. Reg.-Bez. Köln, an der Wiehl und der Nebenlinie Osberghausen-W. (8,6 km) der Preuß. Staatsbahnen, Sitz eines Amtsgerichts (Landgericht Köln), hat (1895) 3380 E., darunter etwa 90 Katholiken, Post, Fernsprechverbindung, evang. Kirche; Stahlhämmer, Woll- und Roßhaarspinnerei, Gerbereien, Pulverfabrik, Knochenmühlen, Eisenstein- und Bleierzgruben, Steinbrüche und eine Tropfsteinhöhle bei Pfaffenberg.

Wiek, an der deutschen Ostseeküste Benennung für flache Buchten, z. B. die Putziger Wiek, Prorer Wiek, Tromper Wiek (s. diese Artikel).

Wiek, russ. Kreis, s. Hapsal.