Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

866

Württemberg (Kirchenwesen. Vereinswesen. Litteratur zur Geographie. Geschichte)

für Taubstumme in Bönnigheim, Schulen für taubstumme Zöglinge in Nürtingen und Nagold in Verbindung mit Schullehrerseminaren. - Die Leitung des höhern Schulwesens besorgt eine Abteilung des Kultusministeriums. Die Universität, die Technische und Tierärztliche Hochschule, die Akademie in Hohenheim und die Kommissionen für Landesgeschichte sowie Pflege des Altertums stehen unmittelbar unter dem Ministerium, ebenso die öffentliche Bibliothek, Kunstsammlung und Altertümersammlung in Stuttgart. Der Staatszuschuß zum gesamten Bildungs- und Unterrichtswesen betrug 1896/97: 6297700 M.

Kirchenwesen. Die vorherrschende Kirche ist die evangelische. Die Angelegenheiten derselben werden unter der Leitung des Kultusministeriums vom Konsistorium und einem Synodus besorgt, der aus den 6 Generalsuperintendenten oder Prälaten (zu Schwäbisch-Hall, Heilbronn, Ludwigsburg, Reutlingen, Tübingen, Ulm) und aus den Mitgliedern des Konsistoriums zusammengesetzt ist. Durch königl. Verordnung vom 28. Dez. 1867 ist eine vom Landesherrn zu berufende Landessynode geschaffen worden, welche aus 50 von den Diöcesansynoden gewählten geistlichen und weltlichen Abgeordneten, einem Mitglied der evang.-theol. Fakultät zu Tübingen und 6 vom König erwählten geistlichen und weltlichen Abgeordneten zusammengesetzt ist und die Aufgabe hat, Zur kirchlichen Gesetzgebung in der Art mitzuwirken, daß ohne ihre Zustimmung kein neues Gesetz erlassen, kein altes verändert oder aufgehoben werden darf. Unter den Prälaten stehen die 49 Dekane, die ihren Sitz meist in den Oberamtsstädten haben und denen die Gemeindegeistlichen untergeben sind. Die Reformierten haben eine Kirche in Stuttgart, eine Art Brüdergemeine besitzt zwei Pfarreien (Kornthal und Wilhelmsdorf). Die Aufsicht über die kath. Kirche führt das bischöfl. Ordinariat (Landesbischof und Domkapitel) zu Rottenburg, welches zur oberrhein. Kirchenprovinz (Erzdiöcese Freiburg) gehört. Durch das Gesetz vom 30. Jan. 1862 ist das Verhältnis des Staates zur Kirche neu geregelt. Die staatlichen Rechte über die kath. Kirche werden verfassungsgemäß von dem kath. Kirchenrate ausgeübt. Der israel. Kultus hat 51 Kirchengemeinden in 13 Rabbinatsbezirken, welche seit 1828 unter Aufsicht und Leitung der israel. Oberkirchenbehörde stehen. Im ganzen findet sich in W. viel kirchliches Leben, reger Eifer für Bibelverbreitung, Missionswesen, Armenkinder-Rettungsanstalten, Fürsorge für Arme und Notleidende aller Art. Zu Stuttgart besteht eine Bibelgesellschaft und ein weitverzweigter Verein für die Gustav-Adolf-Stiftung. Der Staatsaufwand für die Kirchen betrug 1890/97: 4101000 M.

Vereinswesen. Von den Vereinen für höhere Zwecke sind die bedeutendsten: Verein für vaterländische Naturkunde, Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, Landesverein und 7 Provinzialvereine für Altertumskunde und Geschichte, Gesellschaft für Handelsgeographie, Litterarischer Verein (von Bibliophilen), Litterarischer Klub in Stuttgart, Schwäbischer Albverein, Schwarzwaldverein, Schwäbische Sektion des Alpenvereins, Vereine für christl. Kunst in der evang. Kirche und in der Diöcese Rottenburg, Kunstvereine in Stuttgart und Heilbronn, Verein zur Förderung der Kunst in Stuttgart, Kunstgewerbevereine, Gartenbauvereine, Evangelischer Kirchengesangverein für Württemberg, Verein für kath. Kirchenmusik in der Diöcese Rottenburg, Schwäbischer Sängerbund mit über 300 Vereinen, Schillerstiftung in Stuttgart, Schillerverein in Marbach, Württembergischcr Kriegerbund mit über 1000 Vereinen, Tierschutzverein, 90 Gewerbevereine u. s. w.

Litteratur zur Geographie und Statistik. Karten. Das Königreich W. Eine Beschreibung von Land, Volk und Staat (hg. vom königl. Etatistischen Landesamt, (3 Bde., Stuttg. 1882 - 86); Hof- und Staatshandbuch des Königreichs W.; Sarwey, Das Staatsrecht des Königreichs W. (2 Bde., Tüb. 1883); Übersicht über die Litteratur der württemb. und hohenzollernschen Landeskunde (Stuttg. 1888); Keppler, W.s kirchliche Kunstaltertümer (Rottenburg 1889); Hirschfeld, W.s Großindustrie und Handel (Lpz. 1889); Paulus, Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich W. (Stuttg. 1889 fg.); Neues Ortslexikon des Königreichs W. (Eßlingen 1893); Gaupp, Das Staatsrecht des Königreichs W. (2.Aufl., Freib. i. Br. 1895); Engel, Geognost. Wegweiser durch W. (2. Aufl., Stuttg. 1890); Niecke, Verfassung, Verwaltung und Staatshaushalt des Königreichs W. (2. Aufl., ebd. 1897); ferner Württemb. Jahrbücher für Statistik und Landeskunde, hg. von dem königl. Statistischen Landesamt (ebd., seit 1822); Beschreibung der Oberämter (hg. vom königl. Statistischen Landesamt, neue Ausg., ebd. 1893 fg.); Jahresberichte der Handels- und Gewerbekammern in W. (hg. von der königl. Centralstelle für Gewerbe und Handel). Karte des Königreichs W. 1:50000 (55 Blatt, hg. vom königl. Statistischen Landesamt, Stuttgart, neu seit 1879); dieselbe auch geognostisch mit Begleitworten (ebd. 1865-92; 2. Aufl. 1894 fg.); Höhenkurvenkarte von W. 1:25000 (ebd. 1893 fg.); Generalkarte von W. 1:200000 (ebd. 1885 fg.); Regelmann, Gewässer und Höhenkarte des Königreichs W. (ebd. 1893): ders., Geognost. Übersichtskarte des Königreichs W. 1:600000 (ebd. 1893; 3. Ausg. 1898).

Geschichte. W. war in der Zeit, als die Römer das Land zuerst kennen lernten, von suevischen Stämmen bewohnt, die dem röm. Andränge wichen und das Land, gleichwie die übrigen Gaue am Oberrhein, etwa 81 n. Chr. der röm. Herrschaft und Kolonisation überließen. Die Römer legten einen Grenzwall (den sog. Limes, s. Pfahlgraben) an, bauten Straßen und gründeten Niederlassungen. Aber die Alamannen durchbrachen um die Mitte des 3. Jahrh, den Grenzwall, trieben die Römer über den Rhein zurück und nahmen von dem Lande Besitz. Von Chlodwig 496 besiegt, mußten sie sich den Franken unterwerfen, und ihr Gebiet fiel teils an das Frankenreich, teils bildete es einen Teil des schwäb. Herzogtums, das sich bis gegen Ende des 13. Jahrh, behauptete. Die Geschichte des württemb. Hauses reicht in die Anfangszeit des staufischen Herzogtums zurück. Ein Conradus de Wirtinsberc (vielleicht vom alten Mannsnamen Wirnto, Wirtino, oder von einem kelt. Virodunum) kommt erstmals um 1090 in Urkunden vor. Er gehörte zur Familie der Herren von Beutelsbach und ist ohne Zweifel der Erbauer der württemb. Stammburg auf dem Rothenberg bei Cannstatt. Als erster Graf von W. erscheint urkundlich ein Ludwig, wahrscheinlich ein Sohn Konrads. Die stetige Reihe der Grafen von W. beginnt mit einem Grafen Ulrich ("mit dem Daumen"), der 1211-65 als Besitzer eines ansehnlichen Gebietes im Neckar- und Remsthal erscheint. Er benutzte die günstige Gelegenheit des Zerfalls der staufischen Herrschaft,