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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Zeuge

sind regelmäßig an ihrem Amtssitze, aktive Mitglieder des Bundesrats an dessen Sitze, Mitglieder eines deutschen Parlaments während der Sitzungsperiode am Sitze des Parlaments zu vernehmen. Zur Zeugnisverweigerung sind berechtigt nahe Angehörige einer Partei, nämlich der Verlobte, der Ehegatte, die Blutsverwandten, Verschwägerten oder Adoptivverwandten in gerader Linie, die Seitenverwandten bis zum dritten (in Österreich zweiten, §. 321) Grade und die Seitenverschwägerten bis zum zweiten Grade; ferner Geistliche hinsichtlich des ihnen seelsorgerisch Anvertrauten; endlich Personen, welchen kraft Amtes, Standes oder Gewerbes (z. B. Rechtsanwälte) Thatsachen anvertraut sind, deren Geheimhaltung naturgemäß oder gesetzlich geboten ist, in Bezug auf solche Thatsachen. Die erstere Klasse von Z. ist über diese Berechtigung vor ihrer Vernehmung zu belehren. Das Zeugnis kann verweigert werden über Fragen, deren Beantwortung dem Z. oder seinen oben bezeichneten nahen Angehörigen einen unmittelbaren Vermögensschaden, Unehre oder die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung zuziehen, oder zur Preisgebung eines Kunst- oder Gewerbegeheimnisses nötigen würde. Die Zeugnisverweigerung ist jedoch unzulässig, wo es sich handelt um Errichtung und Inhalt eines Rechtsgeschäfts, bei dessen Errichtung der Z. als solcher zugezogen war, um Geburten, Verheiratungen und Sterbefälle von Familiengliedern, um Thatsachen, welche die durch das Familienverhältnis bedingten Vermögensangelegenheiten betreffen, und über Handlungen, welche von dem Z. als Rechtsvorgänger oder Vertreter einer Partei mit Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis vorgenommen sein sollen. Z., welche ihr Zeugnis verweigern, haben vor oder in dem Vernehmungstermin ihren Weigerungsgrund anzugeben und glaubhaft zu machen. Über die Rechtmäßigkeit der Weigerung wird vom Prozeßgericht unter Zuziehung der Parteien in einem sog. Zwischenverfahren und durch Zwischenurteil (s. d.) entschieden. Wird das Zeugnis oder die Eidesleistung ohne Angabe eines Grundes oder nach rechtskräftiger Verwerfung des vorgeschützten Grundes verweigert, so ist der Z. in die Terminskosten und in eine Geldstrafe bis zu 300 M. (in Österreich ohne Angabe einer Grenze, §. 325), event. Haftstrafe bis zu sechs Wochen zu verurteilen, bei wiederholter Weigerung auf Antrag zur Zeugniserzwingung Haft, jedoch nicht über die Dauer der Instanz hinaus und im ganzen nicht über sechs Monate, anzuordnen. Die Vernehmung selbst erfolgt bei Kollegialgerichten durch den Vorsitzenden, welcher jedoch den Beisitzern auf Verlangen die Stellung von Fragen gestatten kann. Jeder Z. ist einzeln und regelmäßig vor seiner Vernehmung zu beeidigen (s. Eid). Die Parteien können auf die Beeidigung verzichten. Unbeeidigt sind zu vernehmen Z., welche noch nicht 16 Jahre (in Österreich 14 Jahre, §. 336) alt oder verstandesunreif oder geistesschwach sind, deren Vernehmung nach Bestimmung der Strafgesetze unzulässig ist, welche zur Zeugnisweigerung berechtigt sein würden, oder welche beim Ausgange des Rechtsstreits unmittelbar beteiligt sind; jedoch vorbehaltlich des Rechts des Prozeßgerichts, die beiden letzten Klassen nachträglich zu beeidigen. Jeder Z. ist einzeln und in Abwesenheit der andern zu vernehmen. Die Vernehmung beginnt mit der auf die persönlichen Verhältnisse und die Glaubwürdigkeit der Z. bezüglichen Fragen. Dann hat der Z. seine Wissenschaft zur Sache im Zusammenhange anzugeben. Die Parteien können ihm sachdienliche Fragen vorlegen lassen oder mit Genehmigung des Gerichts selber vorlegen. Das Gericht kann Z., deren Aussagen sich widersprechen, einander gegenüberstellen, auch die wiederholte Vernehmung eines Z. anordnen, und bei der letztern denselben die Richtigkeit seiner Aussage auf den frühern Eid versichern lassen. Eine Partei kann auf einen von ihr vorgeschlagenen Z. verzichten, der Gegner dann aber die Vernehmung oder weitere Vernehmung des erschienenen Z. verlangen. Jeder Z. hat nach Maßgabe der Gebührenordnung Anspruch auf Entschädigung für Zeitversäumnis und auf Ersatz seiner Reisekosten. (S. Zeugen- und Sachverständigengebühren.) – 2) Anlangend den Strafprozeß (vgl. Deutsche Strafprozeßordnung §§. 48‒71, 218‒223, 237‒256) wird die Ladung der Z. im vorbereitenden Verfahren und in der Voruntersuchung durch den Richter, zur Hauptverhandlung (s. d.) durch die Staatsanwaltschaft bewirkt; doch kann im letzten Falle der Angeklagte Z., deren Ladung der Vorsitzende des Gerichts ablehnt, selber laden. Auch hier gilt die allgemeine Zeugenpflicht unter Ahndung unentschuldigten Ausbleibens oder grundloser Verweigerung der Aussage oder Eidesleistung (s. oben); jedoch darf die Zwangshaft bei Übertretungen nicht über sechs Wochen dauern. Zur Zeugnisverweigerung berechtigt sind nahe Angehörige (s. oben) des Angeschuldigten, welche über dieses Recht vor ihrer Vernehmung zu belehren sind; ferner Geistliche, Verteidiger des Angeschuldigten, Rechtsanwälte und Ärzte hinsichts des ihnen bei Ausübung ihres Berufs Anvertrauten. Jeder Z. kann die Beantwortung von Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem seiner nahen Angehörigen die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung zuziehen würde. Unbeeidigt sind zu vernehmen Personen, welche, unter 16 Jahren, verstandesunreif, geistesschwach, nach Bestimmung der Strafgesetze unfähig sind, als Z. eidlich vernommen zu werden, oder hinsichts der Strafthat als Teilnehmer, Begünstiger oder Hehler verdächtig oder bereits verurteilt sind. Die Beeidigung naher Angehöriger des Angeschuldigten hängt vom richterlichen Ermessen ab. Betreffs der Beeidigung und Vernehmung der Z. gelten im allgemeinen entsprechende Regeln, wie im Civilprozeß, jedoch mit folgenden Abweichungen. Die Beeidigung erfolgt grundsätzlich erst in der Hauptverhandlung; im vorbereitenden Verfahren nur, wenn die Beeidigung dringlich; in der Voruntersuchung nur aus dem gleichen Grunde oder weil der Z. in der Hauptverhandlung voraussichtlich nicht wohl erscheinen könnte. In der Hauptverhandlung kann die Vernehmung eines abwesenden Z. durch einen beauftragten oder ersuchten Richter angeordnet werden. Der Vorsitzende hat dem Staatsanwalt, dem Angeklagten und dessen Verteidiger sowie den Geschworenen und den Schöffen die Stellung von Fragen an die Z. zu gestatten, außerdem der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten die Vernehmung der von diesen benannten Z. auf ihren übereinstimmenden Antrag zum Kreuzverhör (s. d.) zu überlassen. Immer bleibt jedoch dem Vorsitzenden die Befugnis zur Abschneidung mißbräuchlicher Vernehmung, vorbehaltlich der schließlichen Entscheidung des Gerichts. Die vernommenen Z. dürfen sich von der Gerichtsstelle nur mit Genehmigung oder auf Anweisung des Vorsitzenden entfernen. Über Verlesung einer Aussage oder schriftlichen Erklärung s. Hauptverhandlung.