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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Zürich (Stadt)

Sihlwald (14 km, Sihlthalbahn) der Schweiz. Nordostbahn und Z.-Wetzikon-Rapperswil-Sargans (101,5 km) der Vereinigten Schweizerbahnen. Die rechtsufrige Seebahn führt durch den Zürichberg und hat östlich von der Quaibrücke eine Haltestelle (Stadelhofen). Nach dem Ütliberg (s. d.) führt die Ütlibergbahn (9 km), vom Limmatquai zum Polytechnikum die Zürichberg-Drahtseilbahn (171 m). Pferdebahnlinien vom Bahnhof nach Enge, nach Riesbach und Tiefenbrunnen und vom Paradeplatz nach Außersihl, elektrische Straßenbahnen von der Quaibrücke nach Burgwies-Hirslanden, Römerhof-Hottingen (mit Drahtseilbahn nach dem Dolder), nach Fluntern und Oberstraß. Den Verkehr an der Seeseite der Stadt und nach den Ausgemeinden vermitteln kleine Personendampfer, sog. Dampfschwalben. Außerdem besitzt Z. ein Post-, ein Telegraphen- und ein Fernsprechamt.

Aussichtspunkte sind die Terrasse vor dem Polytechnikum, die Hohe Promenade, die Katz, der Lindenhof, an der Stelle des röm. Kastells und der Kaiserlichen Pfalz, die Quaibrücke, die Quaianlagen, die Bürgliterrasse und der Belvoirpark; Zielpunkte für lohnende Spaziergänge und Ausflüge: Ütliberg (s. d.), Zürichberg, Weid, Sihlwald u. s. w.

Geschichte des Kantons und der Stadt. Die Pfahlbauten des Züricher, Greifen- und Pfäffikersees beweisen, daß Z. schon in frühester Zeit besiedelt war; 58 v. Chr. kam der Kanton mit dem übrigen Helvetien unter röm. Herrschaft. Seit 406 von Alamannen bewohnt, kam Z. 496 unter fränk. Hoheit, durch den Vertrag von Verdun (843) an das Deutsche Reich, und ein Teil (der westliche) wurde schon im 9. Jahrh. als Zürichgau von dem alten Thurgau ausgeschieden. Mittelpunkt der Landschaft war die Stadt Z., die aus der kelt., später röm. Niederlassung und der durch ein Kastell geschützten Zollstätte Turicum hervorging. Das mittelalterliche Z. verdankt sein rasches Aufblühen namentlich den geistlichen Stiftern, die in der Karolingerzeit hier entstanden (Großmünsterstift St. Felix und Regula, Abtei Fraumünster). Im 9. Jahrh. wurde Z. zur Reichsvogtei erhoben, die später an die Lenzburger kam und 1097 an die Zähringer abgetreten wurde; aber thatsächlich wurde die Gewalt von den Lenzburgern bis zu deren Erlöschen 1173 ausgeübt. 1218 wurde Z. reichsfrei. Schon seit 1291 mit Uri und Schwyz verbündet, trat es nach einer durch den Bürgermeister Rudolf Brun bewirkten Verfassungsänderung (Zunftverfassung von 1336), die den Handwerkern neben den Rittern und vornehmen Bürgern Vertretung im Rat gewährte, und durch Verwicklungen mit Österreich gezwungen, 1351 der Eidgenossenschaft bei. Die Erhebungen des Adels und dessen Verschwörung mit Rapperswil ("Mordnacht", 23. Febr. 1350) wurden unter Bruns Führung vereitelt und hart bestraft. Unablässig bemüht, ihr Gebiet zu erweitern, gewann die Stadt 1415 durch Eroberung das bisher österr. Knonauer Amt und die Mitregierung in der Grafschaft Baden und den Freien Ämtern sowie durch Kauf vorher und nachher zahlreiche kleinere Herrschaften. Von 1436 an durch den Streit um das Erbe des Grafen Toggenburg den Eidgenossen entfremdet (der "alte Zürichkrieg") und mit Österreich verbunden, trat es 1450 wieder in den Bund zurück (s. Schweiz, Geschichte), erwarb durch Kauf 1452 die Grafschaft Kyburg und 1467 die Hoheit über Winterthur. An den Burgunderkriegen (1474-76) nahm es in hervorragender Weise teil. Die schweiz. Reformation 1519 ging von Z. ans (s. Zwingli). Im 16., 17. und 18. Jahrh. wich auch in Z. die mehr demokratische Staatsform allmählich der aristokratischen. Unruhen (am See, in Wädensweil 1646, zu Stäfa 1794-95) wurden unterdrückt.

Der Umsturz der alten Eidgenossenschaft machte 1798 der Herrschaft der Stadt über das Land ein Ende; der Kanton wurde der Helvetischen Republik einverleibt, erhielt aber, nachdem er 1799 der Kampfplatz der franz., ruß. und österr. Heere gewesen war, 1803 seine Selbständigkeit wieder. Hatte sich schon während der Mediationsperiode (1803-14) allmählich das polit. Übergewicht der Stadt über die Landschaft wiederhergestellt und 1804 einen Aufstandsversuch der letztern, den sog. Bockenkrieg, herbeigeführt, so wurde die bevorrechtete Stellung der Stadt durch die nur scheinbar repräsentativ-demokratische Verfassung von 1814 neu bestätigt. Die Mehrheit in den Räten sowie fast alle höhern Beamtungen fielen den Bürgern der Stadt zu. Erst die polit. Bewegung, welche die Französische Revolution von 1830 hervorrief, beseitigte die Vorrechte der Hauptstadt. Die Verfassungsreform, eingeleitet durch die Volksversammlung zu Uster (22. Nov. 1830), brachte dem Kanton eine wahrhaft repräsentativ-demokratische Verfassung, welche 20. März 1831 vom Volke mit großer Mehrheit angenommen wurde. Eine glänzende geistige Umwandlung folgte (musterhaftes Schulwesen, Kantonsschule, Hochschule u. s. w.); eine Menge ausgezeichneter Männer wirkten zusammen, um den Neubau des Züricher Staatslebens zu begründen und weiter zu entwickeln. Der demokratische Sinn der Massen stieß sich jedoch an den eingreifenden liberalen Reformen von oben herab, und die Häupter der zurückgedrängten Reaktionspartei sowie die kirchlich Orthodoxen wußten dies mit Erfolg zu benutzen. Als die Regierung 1839 David Friedrich Strauß (s. d.) an die Züricher Hochschule berief, drang 6. Sept. ein fanatisch erregter Haufe von 5000 bewaffneten Bauern unter Führung des Pfarrers Bernh. Hirzel von Pfäffikon in die Stadt Z. ein, und es kam mit den Truppen zu blutigem Zusammenstoß. Die Regierung nahm in dem Wirrwarr die Flucht, und die Häupter des Aufstandes setzten eine provisorische Regierung ein. Bald darauf fand die Neuwahl des Großen Rates statt, womit die konservativ-reaktionäre und kirchliche Partei völlig zur Herrschaft gelangte.

Nur allmählich kam der Liberalismus seit 1842 wieder zu Einfluß, zunächst durch die aargauische Klosterangelegenheit (s. Aargau), und erst 1845 erlangte er wieder vollständig die Oberhand. Der Parteigeist verlor seitdem mehr und mehr an Schärfe, und es gab sich in dem polit. Leben des Kantons im ganzen ein maßvoller und versöhnlicher Liberalismus kund. In diesem Sinne wirkten auch die Züricher Staatsmänner, als 1848 nach dem Sonderbundskrieg die eidgenössische Bundesreform ins Werk gesetzt wurde. In den sechziger Jahren trat indes im Volke das Verlangen hervor, der Kantonalverfassung eine noch breitere demokratische Grundlage zu geben und verschiedene wirtschaftliche Reformen durchzusetzen, denen sich die Liberalen (Anhänger des Repräsentativsystems) unter geistiger Leitung von Alfred Escher widersetzten. Nach heftigem Parteikampf wurde 1867 das System gestürzt und die demokratische Partei wurde Meister.