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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Anastigmatlinsen - Anerbe
über die Ziffern der in Frankreich lebenden An-
archisten hat jüngst der Parifcr "^i^ai-o" angeblich
aus authentifcher Quelle einige Daten veröffentlicht.
Danach kennt die Sicherheitspolizei in Frankreich
etwa 2000 Anarchisten (500 Franzofen und 1500
Ausländer). Das Hauptkontingent dieser fremden
Anarchisten sollen die Italiener bilden (45 Proz.),
dann folgen Schweizer, Deutfche, Nüssen u. a.
In Deutschland hat der A. jetzt eine ebenso geringe
Bedeutung wie früher; einzelne früher socialdemo-
kratisch Gesinnte haben als sog. "Unabhängige" die
Verbreitung anarchistischerIdeen übernommen, ohne
nennenswerten Anhang gefunden zu haben; ihr
Organ ist der in Berlin erscheinende "Socialist".
In Belgien (namentlich Lüttich), in Spanien, wo
Barcelona ein Hauptherd des A. ist, und in Italien
verlief die anarchistische Bewegung der letzten Jahre
gleichmäßiger; erst eine Zeit lang lebhafte Agitation
und rascher Aufschwung der Presse und der Partei-
organisation, dann eine Neihe von Attentaten nebst
Dynamitexplosionen und schließlich schärfste Reak-
tion der bedrohten Gesellschaft, die zu harten Aus-
nahmegcfetzcn und zur völligen Lahmlegung der an-
archistifchen Agitation führte.
In Amerika geht seit dem Cbicagoer Vombenatten-
tat (1886) die anarchistische Strömung stetig zurück,
und der Hauptführer der Bewegung, Most, hat feinen
Einfluß fast ganz verloren; indessen hat der fried-
liche, philofophifche A., der auf Proudhons Theorie
zurückgeht, eine gewisse Bedeutung erlangt; der
geistige Führer dieser anarchistischen Sekte ist Iosiah
Tucker, der die Zeitschrist "I^idert^" herausgiebt.
Neuerdings haben anarchistische Ideen auch unter
den armenischen Revolutionären Anklang gefunden,
die 1896 durch verfchiedene Putfche in Konstantinopel,
wobei sie nach anarchistischer Weise mit Dynamit-
bomben operierten, die Großmächte zu einem Ein-
schreiten gegen das Osmanische Reich zu veranlassen
suchten, dadurch aber nur die Wut des mohammed.
Pöbels anstachelten und schreckliche Metzeleien ver-
anlaßten. (S. Armenien und Osmanisches Reich.)
Ein gegen die Königin Victoria und den Zaren
Nikolaus 11. gelegentlich seines Besuchs in England
(Sept. 1896) geplantes anarchistisches Attentat
wurde durch die engl. Polizeibehörden verhindert.
Eine schärfere Scheidung zwischen Anarchisten
und Socialisten hat fich namentlich in den letzten
Jahren vollzogen, was sich in dem Ausschluß der
Anarchisten von den Internationalen Arbeiter-
kongressen (s. d.), die allerdings erst nach harten
Kämpfen erfolgte, dokumentierte.
Vgl. Zenker, Der A., Kritik und Geschichte der
anarchistischen Theorie (Jena 1895). Stammler, Die
Theorie des A. (Berl. 1894), behandelt den A. vom
rechtsphilof. Standpunkte aus. Ferner vgl. Dubois,
I^s M-ii HnarokiZw (Par. 1894; deutsch Amstcrd.
1894); Lombroso, Die Anarchisten (deutsch Hamb.
1895); Plechanow, Socialismus und A. (Berl.1894);
Tucker, Staatssocialismus und A. (ebd. 1895).
Anastigmatlinsen, s. Linsenkombinationen.
Anatolische Eisenbahnen, s. Osmanisches
Reich.
"Anderledy, Antonius, starb 19. Jan. 1892 in
Fiesole. Sein Nachfolger wurde der span. Pater
Luis Martin (s. d., Bd. 11).
*Andlau, Gaston Joseph Hardouin, Graf, starb
im Jan. 1892 in Neuorleans.
"Andlaw, altes deutfches Adelsgefchlecht. Graf
Otto von A. (geb. 7. Sept. 1811) starb 28. Aug.
1890; ihm folgte sein Sohn Graf Camill von A.,
geb. 31. Dez. 1849, großherzoglich bad. Kammer-
herr und^berbofmarfchall.
Andrade, Francisco d', portug. Sänger (Bari-
ton), geb. 11. Jan. 1859 zu Lissabon, trieb in Mai-
land Gesangsstudien bei Miraglia und Ronconi und
trat zum erstenmal 1882 in San Remo als Sänger
vor die Öffentlichkeit. Seitdem machte er Gastreifen
in die Hauptstädte von Italien, England, Portugal,
Spanien, Rußland, Deutschland, Österreich-Ungarn,
Schweden, Holland und der Schweiz. Sowohl als
Opern- wie als Konzertsänger hat A. große Erfolge
gehabt. Zu seinen besten Leistungen gehört die Titel-
rolle in Mozarts "Don Juan".
Andrässy, Julius, Graf, ungar. Staatsmann,
geb. 30. Juni 1860 als Sohn des Grafen Julius
Andrässy (s.d., Bd. 1), betrat nach Beendigung seiner
Studien die diplomat. Laufbahn und wirkte als
Attache bei den österr.-ungar. Botschaften in Kon-
stantinopel und Berlin. 1884 entsendete ihn der
Wahlbezirk Cfik-Szcnt-Märton in den Reichstag, wo
er sich, getreu den Traditionen feiner Familie, der
liberalen Partei anfchloß und sich anläßlich der
kirchcnpolit. Kämpfe mit Feuereifer für die liberalen
Reformen einfetzte. 1892 wurde er zum Staats-
fekretär im Ministerium des Innern ernannt, welche
Stellung er im Juni 1894 mit derjenigen des Mi-
nisters am königl. Hoflager vertaufchte. Beim Rück-
tritt des Kabinetts Wekerle im Jan. 1895 nahm auch
A. feine Entlassung; seither ist er im ungar. Reichs-
tag Abgeordneter des 6. Bezirks von Budapest.
""Anerbe. Das frühere Anerben- oder Höferecht
ist ein durch den Willen der Beteiligten unabänder-
liches, gesetzlich gegebenes (obligatorisches), beson-
deres bäuerliches Erbrecht. Nach modernem Recht
kann das Anerbenrecht auch nur ein fakultatives sein,
d. h. die Ancrbengutseigenschaft für den einzelnen
Hof erst durch Eintrag in eine Höferolle oder in das
Grundbuch begründet werden (s. Höferecht, Bd. 9);
dann ist es auch bei andern als bäuerlichen Gütern
möglich (so in Österreich bei "Höfen mittlerer Größe"
fchlechthin), und endlich ist die Testamentsfreiheit
des Eigentümers gewahrt, das Anerbenrccht nur
Intestaterbrecht. Das Intestaterbrecht ist entweder
direktes oder indirektes Anerbcnrccht. Im erstern
Falle findet Anerbenrecht statt, sobald der Eigen-
tümer nicht von Todes wegen (letztwillig) anders
verfügt hat, im letztern findet es nur statt, wenn der
Eigentümer die Besitzung nicht in eine Ausschluß,
rolle (Register der vom Anerbenrecht ausgeschlosse-
nen Güter) bat eintragen lassen. Anerbenrecht in
Form des obligatorischen, direkten Intestaterbrcchts
entspricht den Gegenden Deutschlands, wo vertrags-
müßige oder testamentarische Übernahme des bäuer-
lichen Anwesens durch einen der Erben üblich^ist,
was in dem größten Teile Deutschlands der Fall
ist (im rechtsrhein. Bayern zu sieben Achteln). Sonst,
also insbesondere da, wo Naturalteilung unter
mehrere Erben als Regel gilt (in der größeren Hälfte
der Rheinprovinz, einem Teile Thüringens und
Südwestdeutfchlands und in den poln. Teilen Ober-
schlesiens), ist nur gesetzliches oder noch besser nur
fakultatives, d. h. von Eintragung abhängiges, in-
direktes Intestatanerbenrecht angezeigt. Viel An-
wendung wird das Anerbenrecht als Intestaterbrecht
nie finden, weil es unter den Bauern sehr üblich
ist, bei Lebzeiten das Gut zu übergeben. Auch, wo
Übergabe an einen Erben bäuerliche Sitte ist,
sträubt man sich gegen direktes Intestatanerbenrecht.