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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Arbeiterfrage (Deutsche Fabrikgesetzgebung)
Arbeit an Sonn- und Festtagen festzusetzen. Wie sich die heutigen Normen bewähren, ist bei der Kürze der Zeit, seit sie wirksam sind, noch nicht zu sagen. Bei den Handelsgewerben scheint man zu befürchten, daß durch die Sonntagsruhe ein Anwachsen der Hausiergewerbe erfolgen könne. In Preußen sind auf Initiative des Handelsministeriums von den Landrats- und Oberbürgermeisterämtern sowie von den Handelskammern im Juni 1895 Erhebungen über diese Wirkungen veranstaltet worden. Doch ist darüber noch nichts an die Öffentlichkeit gedrungen und sind diese Maßnahmen wohl kaum als reaktionäre aufzufassen. Bein: deutschen Eisenbahnverkehr läßt die Sonntagsruhe jedenfalls sehr viel zu wünschen übrig.
In Österreich ist durch das Gesetz vom 16. Jan. 1895, das am 1. Mai in Kraft trat, ebenfalls eine entscheidende Wendung in der bisherigen Regelung angebahnt, die freilich nicht allgemein befriedigt. Die ältere Gewerbeordnung wies keine Bestimmungen über die Sonntagsruhe auf, und erst die Novelle von 1885 bewirkte insofern eine Besserung, als bis dahin in den einzelnen Landesteilen ganz verschiedene Anordnungen galten, von da ab jedoch der Schwerpunkt für die Regelung dieser Verhältnisse in die Centralstellen, die Ministerien des Handels, des Innern, des Kultus und des Unterrichts verlegt wurde. Das neue Gesetz verfügt jetzt, daß an Sonntagen alle gewerblichen Arbeiten ruhen sollen, sowie daß die Sonntagsruhe spätestens von 6 Uhr morgens am Sonntage zu beginnen und mindestens 21: Stunden zu dauern hat. Beim Handelsgewerbe soll im Princip die Sonntagsarbeit 6 Stunden nicht übersteigen. Im übrigen sind wie im deutschen Gesetz gewisse Verhältnisse vorgesehen, derentwegen eine Thätigkeit am Sonntage erlaubt ist, und es sind 24. April 1895 diese Ausnahmebestimmungen in einer Ausführungsverordnung veröffentlicht worden. Dieselben sind nun freilich derart, daß sie das Gesetz zum großen Teil illusorisch machen. Dazu kommt eine sehr nachsichtige Handhabung von seiten der Behörden. Infolgedessen herrscht nicht nur in socialpolitisch-radikalen, sondern auch in den christlich und konservativ gesinnten Kreisen Unzufriedenheit. Beispielsweise war in Wien bis zum Nov. 1895 die Zahl der Anzeigen gegen Bäckermeister, die ihren Gehilfen keine Sonntagsruhe gewähren, auf 3300 gestiegen, was um so bemerkenswerter ist, da jede Anzeige eines Gehilfen ihn um seine Stelle bringen kann. Daß das Gesetz nach einer neuerlichen Anordnung des Handelsministers vom Jan. 1896 auch auf die Gehilfen der Fiaker und Einspänner Anwendung finden soll, so daß jedem allwöchentlich ein Ruhetag eingeräumt werde, könnte ihn: größere Beliebtheit verschaffen; jedoch kommt es auch hier auf die Durchführung an. Das Gesetz vom 16. Jan. 1895 gilt auch für den Hausierhandel (s. d.).
Außer in den beiden erwähnten Punkten hat die deutsche Fabrikgesetzgebung durch die Novelle von 1891 noch in andern Beziehungen wesentliche für die Zukunft verheißungsvolle Neuerungen getroffen. Betrachten wir zunächst die allgemeinen Vorschriften. Bezüglich des Trucksystems hatte die ältere Gesetzgebung verfügt, daß die erlaubte Veranschlagung von Lebensmitteln nur zu einem die Anschaffungskosten nicht übersteigenden Preise vor sich gehen dürfe, für andere Bedarfsgegenstände, wie Wohnung, Feuerung, Landnutzung u. s. w. aber nichts bestimmt. Nunmehr ist angeordnet, daß Wohnung und Landnutzung gegen die ortsüblichen Miet- und Pachtpreise, Feuerung, Beleuchtung, regelmäßige Beköstigung, Arzneien und ärztliche Hilfe sowie Werkzeuge und Stoffe zu den den Arbeitern übertragenen Arbeiten lediglich unter Anrechnung für den Betrag der durchschnittlichen Selbstkosten bei der Lohnzahlung verabreicht werden dürfen. Lohn- und Abschlagszahlungen dürfen ferner in Gast- und Schankwirtschaften nur dann erfolgen, wenn die untere Verwaltungsbehörde es genehmigt hat. Dadurch soll der Neigung der Arbeiter, den empfangenen Lohn sofort in Speisen oder Getränke umzusetzen oder unnötige Einkäufe zu machen, ein Riegel vorgeschoben werden. An Dritte dürfen Lohn- und Abschlagszahlungen auf Grund von Rechtsgeschäften, die laut Gesetz vom 21. Mai 1869 unwirksam sind, überhaupt nicht erfolgen. Nach diesem Gesetz war schon bisher jede Cession oder Anweisung des noch nicht verdienten Lohnes ungültig; jetzt aber sind die Arbeitgeber strafbar (150 M. oder 4 Wochen Haft), die auf Grund solcher ungültiger Rechtsgeschäfte au Dritte Zahlung leisten. Ferner ist bei strenger Strafe untersagt, in den vom Arbeitgeber auszustellenden Zeugnissen irgend welche Merkmale anzubringen, die den Zweck haben, den Vorweiser desselben in einer aus dem Wortlaute des Zeugnisses nicht ersichtlichen Weise zu kennzeichnen. Endlich sind die früher (in §. 120 der Gewerbeordnung) nur im allgemeinen angegebenen Pflichten der Fabrikbesitzer, ihre Anstalten so einzurichten, daß die
Arbeiter gegen Gefahren für Leben, Gesundheit und Sittlichkeit geschützt sind, eingehender specialisiert.
Arbeitsordnung. Namentlich wichtig sind in der deutschen Novelle die Bestimmungen über die Arbeitsordnungen und Arbeiterausschüsse. Die Vereinigung einer größern Zahl von Arbeitern an einem Orte bedingt den Erlaß einer besondern Arbeits- oder Fabrikordnung, während in dem engern Raume einer Werkstätte der Handwerksmeister durch mündliche Befehle die Ordnung aufrecht zu erhalten vermag. Solche Arbeitsordnung verfolgt einen doppelten Zweck. Sie stellt ein für allemal die Bedingungen auf, die der Arbeitgeber den bei ihm Beschäftigung suchenden Arbeitern anbietet, zweitens aber enthält sie Vorschriften, die zur Aufrechterhaltung der technischen und wirtschaftlichen Ordnung des Betriebes dienen sollen. Sie war bei ihrer Unentbehrlichkeit auch schon seither üblich, jedoch haftete ihr ein großer Übelstand an. Die Arbeitsordnung nahm sich nämlich in der Regel wie eine durch die Willkür der Arbeitgeber diktierte Dienstordnung und wie ein einseitig auf dem Herrschaftsverhältnis des Unternehmers über den Arbeiter beruhender Erlaß aus. Sie war ein Ausfluß der Autokratie des Unternehmers, der an keine Rücksicht gebunden war und seine Betriebsordnung so abfaßte, wie sie seinen Ansichten am meisten zu entsprechen schien. Infolgedessen kamen in den Ordnungen Vorschriften vor, die den Arbeiter sehr drückten, und die um so lästiger waren, als er sie oft beim Eintritt in die Fabrik gar nicht vorgelegt bekam, und sich der Fabrikant vorbehielt, über alle nicht durch die Ordnung geregelten Angelegenheiten ohne weiteres verbindliche Bestimmungen zu treffen. Dem gegenüber ist jetzt der Erlaß von Arbeitsordnungen für Fabriken, in denen mindestens 20 Arbeiter beschäftigt werden, obligatorisch, und vor der Bekanntmachung muh den in der Fabrik beschäftigten großjährigen Arbeitern Gelegenheit gegeben werden, sich über ihren Inhalt zu äußern. Was sie