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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Arbeiterfrage (Fabrikinspektion)
triebe mit mehr als 10 Arbeitern unter allen Umständen; 3) Betriebe mit weniger als 6 Arbeitern, die außergewöhnliche Gefahren für Leben und Gesundheit bieten oder den unverkennbaren Charakter von Fabriken aufweisen. Daneben haben einzelne Kantone den Arbeiterschutz durch besondere Gesetze gefördert: Glarus 8. Mai 1892, St. Gallen 5. Mai 1893, Zürich 18. Mai 1894, Solothurn 9. Febr. 1896. InFrankreich kommt ein Gesetz vom 12. Jan. 1895 in Betracht, betreffend die Sicherung des Arbeitslohnes gegen Exekutionen, und aus Belgien sind zwei Verordnungen vom 18. Aug. 1891 zu nennen, betreffend die hygieinischen Verhältnisse der Werkstätten und die Verhütung von Unfällen sowie die Neuregelung des Fabrikinspektorats. Dazu kommt dann noch als neueste Erscheinung das englische Fabrikgesetz vom 6. Juli 1895. Dasselbe betrifft hauptsächlich 1) Verschärfung und Erweiterung der Sanitätsvorschriften (Raummenge, Lüftung u. s. w.); 2) Lebens-, Gesundheits- und Unfallsicherheit; 3) Verringerung der gesetzlich gestatteten Überstundenarbeit für Frauen und jugendliche Arbeiter, und Beschränkung des Mitnachhausenehmens von Arbeit, die nach der Beschäftigung in der Fabrik fertig gestellt werden soll; 4) Verpflichtung der Arbeitgeber, Details über Lohnverhältnisse anzugeben; 5) Ausdehnung der Fabrikschutzgesetzgebung auf Dockarbeit, Gebäude mit Maschinenbetrieb, Waschanstalten. In den Vereinigten Staaten von Amerika ist die Fabrikgesetzgebung nicht Bundes-, sondern Staatsfache, daher ohne innere Abrundung und keineswegs im Einklang mit dem sonstigen großen Fortschritt der Industrie. Zum Teil dürfen noch Kinder unter 12 Jahren beschäftigt werden, und alle Bestimmungen haben nur da Wert, wo eine aufmerksame, tüchtige, in ihrem Personal nicht zu oft wechselnde Fabrikinspektion besteht, wie dies in Massachusetts und Neuyork (im Gegensatz zu Ohio und Pennsylvanien) der Fall ist, denn nur da findet die Gesetzgebung seitens der Fabrikherren Beachtung.
Fabrikinspektion. So dankenswert nun die Vervollständigung der Fabrikgesetzgebung ist, so bedarf sie doch, wenn sie wirksam werden soll, einer energischen Beaufsichtigung ihrer Ausführung. Sollen alle die gut gemeinten heilsamen Anordnungen nicht auf dem Papier stehen bleiben, so bedarf es einer ausgedehnten Fabrikinspektion. Das ist neuerdings allgemein anerkannt, und überall giebt es, um den etwaigen Widerstand der Fabrikanten zu brechen und die berechtigten Interessen der Arbeiter wahrzunehmen, staatliche Beamte als Kontrollorgane. Nur funktionieren sie nicht überall mit gleichem Erfolge. In Deutschland leidet zunächst die Thätigkeit der Fabrikaufsichtsbeamten unter einer Unklarheit des Gesetzes. Die Novelle von 1891 hat es nämlich einer kaiserl. Verordnung vorbehalten, mit Zustimmung des Bundesrats den Zeitpunkt festzusetzen, an dem die wichtigern Arbeiterschutzbestimmungen auf alle Werkstätten, in denen durch elementare Kraft bewegte Triebwerke nicht bloß vorübergehend gebraucht werden, Anwendung finden sollen. Diese Verordnung ist noch nicht erschienen, und so ist darüber, welche Etablissements eigentlich überwacht werden sollen, eine Unsicherheit entstanden, unter der der Vollzug des Dienstes leidet. Im übrigen hat gerade die Novelle von 1891 eine Erweiterung des Geschäftsbereichs der Aufsichtsbeamten nach mehrern Richtungen be- wirkt, und diese Vergrößerung ihrer Zuständigkeit hat Veranlassung zu einer Verordnung der, wie man jetzt richtiger sagt, Gewerbeinspektion (statt wie früher Fabrikinspektion, da die Beaufsichtigung auch von Werkstätten geplant ist) geboten. In mehrern Staaten sind neue Dienstanweisungen und Verordnungen ergangen: in Preußen 27. April 1891 und 23. März 1892, Bayern 31. März und 12. Nov. 1892, Sachsen 1. und 6. April 1892, Württemberg 16. Mai und 11. Juni 1892. Die anzustellenden Beamten sind Landesbeamte, indes in ihrem Wirkungskreis nicht ausschließlich, sondern neben den ordentlichen Polizeibehörden zuständig. Die Ordnung der Zuständigkeitsverhältnisse zwischen Polizei und Fabrikinspektion bleibt den einzelnen Bundesstaaten vorbehalten. In Bayern z. B. haben die Ortspolizeibehörden die Fabrikinspektoren durch periodische Revisionen der Fabriken zu unterstützen. Im. allgemeinen sollen des Gewerbewesens vollkommen kundige Personen zur Bekleidung dieser Posten ausersehen und die Aufsichtsdistrikte so groß gewählt werden, daß die Kraft eines Beamten für sie ausreicht.
Ist nun auf diese Weise die Zahl der Aufsichtsbeamten erheblich vermehrt worden (in Preußen sind z. B. jetzt 163 Beamte thätig, während Frankreich nur 90, England 16, Osterreich 24, die Schweif 5 haben), so kleben der heutigen Einrichtung doch noch Mängel an. Es bleibt bedauerlich, daß wenigstens in den größern Staaten die Dampfkesselrevision mit der Gewerbeinspektion verbunden, ja die letztere förmlich zu einem Anhängsel der erstern geworden ist. Socialpolitisch durchaus befähigte Männer erscheinen vom Amte ausgeschlossen, sofern sie nicht als Ingenieure oder Baumeister auch die Kesselrevision auszuführen vermögen. Ärzte, Nationalökonomen und andere geeignete Personen können nicht verwandt werden und die technisch zur Kesselrevision qualifizierten behalten bei Überbürdung nicht genug Zeit für die Gewerbeinspektion übrig. Es ist in Preußen wohl schon davon die Rede gewesen, die Verbindung zu trennen, aber doch zunächst, weil man die Frage noch nicht für spruchreif hält, davon abgesehen worden. Auch in Württemberg hat die Zweite Kammer 10. Mai 1895 einen Antrag auf Loslösung der Kessel- von der Fabrikrevision angenommen und sind Erhebungen über die zweckmäßigste Art der Ausführung im Gange, und in Sachsen hat die Kammer im März 1896 ebenfalls der Trennung beider Inspektionen zugestimmt.
Gerügt werden ferner, insbesondere von socialistischer Seite, die mangelhafte Thätigkeit der Ortspolizei, die die Inspektion nicht genügend unterstützt, die ungeschickte Zusammenstellung der einzelstaatlichen Berichte in den "Amtlichen Mitteilungen", die seltsamen Verschiedenheiten, die in den einzelnen Bundesstaaten bezüglich der Veröffentlichung der Berichte bestehen, der geringe Verkehr der Beamten mit den Arbeiterorganisationen. Auf seiten der Unternehmer dagegen werden nicht selten, so neuerdings im März 1896 im sächs. Landtage, schwere Angriffe gegen die Beamten gerichtet, die zu intimen Verkehr mit den Arbeitern pflegen, "Übereifer" in Sachen des Arbeiterschutzes zeigen und über die bloße Unfallverhütung übergreifen sollen. Es ist schwer, zu einem sichern Urteil über die Berechtigung derartiger Beschwerden zu gelangen. Die Pflege engerer Beziehungen zu den Arbeiterkreisen erscheint z. B. als eine unabweisbare Notwendigkeit, und durchaus mit Recht hat die Fabrikaufsicht in Baden Sprechstunden für die Arbeiter eingeführt, von denen nur noch wenig Gebrauch gemacht wird. Im