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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Arbeiterwohnungen
billigen Baustellen oder Darleihung von billigen Baugeldern. Stadtgemeinden haben auch in Konstanz und Ulm selber billige Wohnungen erbaut und in Lahr und Offenburg i. B. den Invaliditäts- und Altersversicherungsanstalten gegenüber eine ähnliche Vermittlerrolle eingenommen, wie sie der kommunale Kreisverband von Merzig in der Rheinprovinz mit Glück durchgeführt hat. Dieser baut, nachdem er einen Grundstock, der zur Erbauung von A. auf dem armen Hunsrück von einem Wohlthäter gestiftet war, durch ein mit 3 1/2 Proz. zu verzinsendes und mit 2 1/2 Proz. zu tilgendes Baukapital ergänzt hatte, auf Antrag einzelne Häuschen, die ins Eigentum der Antragsteller übergehen, und erhält für seine Baukostenforderung eine erste Hypothek auf Grundstück und Haus. Bis Ende 1895 waren 38 Neu- und Umbauten von A. ausgeführt, deren geringste Baukosten sich auf rund 1700 M. belaufen haben. Von dem im Kreise angesessenen Großindustriellen von Boch zu Mettlach wurden Wohnhäuser errichtet, deren kleinste mit einem Wohnraum, Küche und Keller sogar nur 1000 bis 1400 M. gekostet haben. Nach einer andern Richtung hin können jedoch mehr oder minder alle Städte die Erbauung von A. fördern, nachdem der Zusammenhang zwischen der Wohnungsfrage und dem Bebauungsplan klar erkannt ist. (Vgl. hierüber die Verhandlungen des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege, die 1894 zu Magdeburg stattgefunden haben.) Es kommt darauf an, für Häuser mit kleinen Wohnungen geeignete Bauplätze zu schaffen, die zur Vermeidung von Hinterwohnungen nicht zu tief sein dürfen.
Ein braunschweigisches Gesetz vom 8. April 1892 regelt die Unterbringung von Arbeitern in sog. Arbeiterkasernen vom Standpunkte der Anforderungen öffentlicher Gesundheit und Sittlichkeit. Der preußische Staat hat 1895 zur Erbauung von Wohnungen für Arbeiter in staatlichen Betrieben und gering besoldete Staatsbeamte, wie zu Baudarlehen für diesen Zweck 5 Mill. M. zur Verfügung gestellt.
Auf dem in Deutschland meist festgehaltenen Grundsatze der Selbsthilfe beruhen auch die TTTTT in Nordamerika, deren es nach dem neuesten Bericht 5838 mit über300 Mill. Doll. Kapital giebt und die ihren Mitgliedern den Erwerb von Eigenhäusern ermöglichen. Dem gegenüber sucht man in Österreich durch ein Gesetz vom 9. Febr. 1892 den Bau von gesunden und billigen A. durch besondere Steuerfreiheiten zu fördern. Neue A. sollen nach Vollendung 24 Jahre lang frei sein von Hauszinssteuer, von der 5prozentigen Einkommensteuer, die sonst Neubauten zu entrichten haben, und steuerfrei bezüglich der auf den betreffenden Gebäuden lastenden Schulden. Erbauer müssen sein Gemeinden, gemeinnützige Vereine und Anstalten, Arbeitergenossenschaften mit der Beschränkung auf ihre Mitglieder, Arbeitgeber, die für ihre Arbeiter A. einrichten. Die A. dürfen nicht, auch nicht bezüglich des Fußbodens, unter dem Straßenniveau liegen und müssen eine bestimmte Minimal- und Maximalgröße einhalten, ferner zu einem gesetzlich begrenzten Mietpreis (je nach der Einwohnerzahl im Orte 0,80 bis 1,75 Fl. für den Kubikmeter) abgegeben werden. Die Geltung des neuen Gesetzes in den einzelnen Kronländern ist davon abhängig, daß dort den A. für die Zeit ihrer staatlichen Steuerfreiheit Befreiung von Landes- und Bezirkszuschlägen und Ermäßigung der Gemeindezuschläge zu den Staatssteuern, von welchen die A. befreit sind, gewährt werden. Gerade diese Zuschläge verhinderten bisher die Erbauung von A. Das niederösterr. Gesetz vom 31. Juli 1892 ist in der Steuerfreiheit über die Anforderungen des staatlichen Gesetzes sogar noch hinausgegangen.
In Frankreich gewährt der Staat nach dem Gesetze vom 30. Nov. 1894 (Loi relative aux habitations ouvrières) an Gesellschaften, die den Bau kleiner Wohnungen betreiben, die Zuwendung billiger Baugelder, die Befreiung von allen Gebühren und der Einkommensteuer, und, falls das Kapital eines Gesellschafters unter 2000 Frs. bleibt, auch diesem Befreiung von der Einkommensteuer, ferner Stempelfreiheit und unentgeltliche Ausfertigung der Urkunden, ratenweise Abzahlung der Umsatzsteuer, endlich fünfjährige Steuerfreiheit für jedes von einer derartigen Gesellschaft erbaute Haus, wenn der Nutzungs- oder Mietwert gewisse Grenzen, die nach der Einwohnerzahl der Gemeinden festgesetzt sind, nicht überschreitet. Zur Überwachung der Gesellschaften ist ein besonderer Conseil supérieur eingesetzt.
In England ist den größern Gemeinden ein Enteignungsrecht für ungesunde Wohnungen gegen die Verpflichtung, den frei gewordenen Raum ganz oder teilweise zu A. zu benutzen, eingeräumt (Torrens Act von 1868 mit Novellen von 1879, 1882 und 1885; Cross Act von 1875, 1879, 1885). Allein die Gemeinden machen von dem Recht kaum Gebrauch, teils weil in den Gemeindebehörden meist die Interessen der Hausbesitzer vertreten sind, teils weil die Durchführung der Enteignungen und Neubauten die Steuerzahler oft zu stark belasten würde. Dagegen wird von der gesetzlichen Bestimmung (Gesetz von 1866) viel Gebrauch gemacht, daß für A. an Behörden, Gesellschaften und Private Darlehen aus öffentlichen (staatlichen) Mitteln bei einer Rückzahlungsfrist von 40 Jahren zu 4 Proz. (bei kürzern Fristen seit neuerer Zeit 3 1/8 Proz.) gewährt werden. Ein neues Baugenossenschaftsgesetz hat 1894 eine Wendung zum Bessern herbeigeführt. Die Baugenossenschaften bezwecken, Arbeiter zu Ersparnissen anzuregen und Vorschüsse für sie auszuwirken, mittels deren sie Eigentümer ihrer Bebauungen werden können. Jedoch waren dieselben unter der bisherigen Gesetzgebung so schlecht beaufsichtigt, daß mehrere fallieren konnten, wodurch viele Arbeiter ihrer jahrelangen Ersparnisse verlustig gingen. In Zukunft hat jede unter die neue Akte fallende Genossenschaft in ihrem Jahresabschluß anzugeben, welche Beträge auf Hypotheken ausstehen, und muß der Registerführer auf Ersuchen von 10 Mitgliedern einer solchen Genossenschaft einen Bücherrevisor oder Versicherungstechniker mit der Revision der Bücher und der Berichterstattung über das Ergebnis der Revision beauftragen. In London speciell hat eine neue Bauordnung einen wesentlichen Fortschritt für gesundheitlicheres und menschenwürdigeres Bauen, insbesondere der großen Wohnkasernen, die dem Arbeiter Unterkunft bieten, bewirkt.
Einem eigentümlichen Gedanken huldigt man in Petersburg. Dort hat nämlich die Stadtärztin, eine Frau D. Pokrowskaja, in einer Sitzung des Vereins für Volksgesundheitspflege nachgewiesen, unter welchen ungünstigen hygieinischen Bedingungen die Arbeiter, deren Zahl stark in die Höhe geht, wohnen. Dem abzuhelfen, will man Häuser errichten, wo die einzelnen Wohnungen nach bestimmter Zeit Eigentum der Mieter werden, und somit schlich-^[folgende Seite]