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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Arbeitsnachweis
mischen Reiche trieb die Konkurrenz der mit billigen
Sklaven wirtschaftenden LatifundienbesitzerdieKlein-
banern zu Tausenden als arbeitsloses Proletariat
in die Hauptstadt. Auch im Mittelalter war un-
verschuldete A. zuweilen weit verbreitet, und nur die
mangelhafte Einsicht jener Zeit verwechselte sie ge-
meinhin mit der damals drakonisch streng bestraften
Arbeitsscheu. Die größte Verbreitung erlangte die
A. aber in der Neuzeit, und zwar steigend im Ver-
hältnis der immer großartiger sich entwickelnden
Weltwirtschaft mit ihren Perioden wirtschaftlichen
Aufschwungs und Niedergangs und ihren verschic-
denartigen Krisen, welche immer eine vermehrte A.
im Gefolge haben.
Mit der Erkenntnis vom Wesen der A. sind auch
Vorschläge zu ihrer Bekämpfung oder gar Ver-
hütung gemacht worden und haben vielerorts in der
Schaffung eines geeigneten Arbeitsnachweises (s. d.)
und Einrichtung von Arbeitslosenversicherungen
(s. Arbeiterfrage) praktifchen Ausdruck gefunden.
Doch sind dies erst schwache Ansätze, welche sich zwei-
fellos in kurzer Zeit noch weiter entwickeln werden.
Zunächst hat es meist bei den üblichen Mitteln zur
Linderung eingetretener A. sein Bewenden. Zierher
gehören die Notstandsarbeiten, meist Arbeiten der
Tiefbauverwaltung, die unentgeltliche oder gegen
geringes Entgelt erfolgende Speisung von Kindern
in den Schulen und Speisenabgabe in den Volks-
küchen, die Errichtung von Würmehallen, Abgabe
von Brennholz u. dgl. Doch sind diese Gegenmittel
fast immer unzulänglich, und eine systematischere
Bekämpfung der A. erweist sich als ein dringendes
Bedürfnis. - Litteratur f. Arbeitslosenstatistik, be-
sonders die "Sociale Praris"; über Notstands-
arbeiten vgl. auch das "Jahrbuch deutscher Städte",
5. Jahrg., Abschn. 19 (Vresl. 1896).
Arbeitsnachweis. In einer früher ungeahn-
ten Weise hat die Frage der Regelung des A. in
neuester Zeit die öffentliche Aufmerksamkeit gefesselt.
Dies hängt zusammen teils damit, daß die Stetig-
keit des Arbeitsverhültnisses abgenommen hat, der
Wechsel in den Arbeitsplätzen dadurch größer wurde
und die Verkehrsverhältnisse im allgemeinen kompli-
zierter geworden sind, weshalb an die Leistungsfähig-
keit der Arbeitsvermittelungseinrichtungen höhere
Ansprüche gestellt werden müssen, teils aber auch mit
mannigfachen andern Umständen. Die wachsende
sociale Bewegung bringt die Bedürfnisse und Wünsche
der arbeitenden Klassen überhaupt zu einer schärfern
Formulierung und drängt dazu, ihnen entgegenzu-
kommen, soweit dies innerhalb der gegenwärtigen
Gesellschaftsordnung möglich ist. Das Aufsuchen von
Arbeit durch Umschau, durch die Vermittelung der
Zeitungen u. dgl. stellt nun einen höchst unvollkom-
menen, den Stellesuchenden oft schwer bedrückenden
Vorgang dar; eine rationelle Arbeitsvermittelung
durch auf sich selbst angewiesene gemeinnützige Ver-
eine oder Interessentenvcrbände (Innungen, Fach-
vereine u. s. w.) findet nur in beschränktem Umfang
statt; in den letztern Fällen entsteht dabei die Gefahr,
daß der A. einseitig, d. h. im Interesse der einen
Partei beim Arbeitsvertrag, gehandhabt werde.
Unter diesen Umständen ist es begreiflich, daß die
Idee einer Organisierung des A. durch öffentliche
Veranstaltungen oder zum mindesten durch Unter-
stützung .privater Einrichtungen aus öffentlichen
Mitteln in der letzten Zeit eine große Verbreitung
gefunden hat, womit außerdem das Ziel verfolgt
wird, den A. aus dem Kreise socialer Kampfobjekte
herauszubringen und ihm eine streng neutrale und
humane Geschäftsführung zu sichern.
Im Deutschen Reiche knüpft die Bewegung
an Vorgänge in Stuttgart an, woselbst das Ge-
werbegericht 1893 auf Veranlassung seines Vor-
sitzenden, Lautenschläger, die Gründung einer städti-
schen Arbeitsnachweisstelle in Antrag gebracht hatte.
Dieses Arbeitsamt sollte einer Kommission unter-
stehen, die aus dem Vorsitzenden des Gewerbege-
richts und acht Mitgliedern zu bestehen hätte, welche
die Beisitzer des Gewerbegerichts aus ihrer Mitte,
und zwar je zur Hälfte die Arbeitgeber und die
Arbeitnehmer, zu wählen hätten. Damit sollte er-
zielt werden, daß sowohl die Unternehmer wie die
Arbeiter der Leitung gleiches Vertrauen zuwenden,
was nicht der Fall wäre, wenn diese lediglich den
Arbeitervereinigungen oder der Gemeindeverwal-
tung selbst überlassen würde, in der die Arbeitgeber
den ausschlaggebenden Einfluß besitzen. Die Arbeits-
vermittelung Hütte ferner, um den Zuspruch zur An-
stalt thunlichst allgemein zu gestalten, unentgeltlich
zu geschehen. Diese Verbindung zwischen städtischem
A. und Gewerbegericht wurde vielfach besprochen,
sie erscheint zum erstenmal wirklich durchgeführt bei
dem städtischen Arbeitsamt in Eßlingen, das seine
Thätigkeit mit I.April 1894 aufnahm. Desgleichen
gelangten städtische Arbeitsnachweisstellen zur Grün-
dung in Erfurt (1894), Trier (1894), Stuttgart
(1895), Frankfurt a. M. (1895), München (1895)
n. s. w., allerdings mit Abweichungen in den Be-
stimmungen über Organisation, Leitung u. s. w.
Schwierigkeiten ergaben sich mehrfach aus der Frage,
wie das Verhalten des städtischen A. bei Streiks zu
regeln sei. Neuestens stehen die öffentlichen Arbeits-
nachweisstellen in Württemberg miteinander in
regelmäßiger telephonischer Verbindung und teilen
sich einander die nicht besetzten Arbeitsstellen mit,
wofür eine staatliche Subvention vorgesehen ist. In
Baden ist gleichfalls eine Staatsunterstützung für
die mit kommunalen Mitteln dotierten Arbeitsver-
mittelungsanstalten in Aussicht genommen. Auch
für die Kommunalverbände wird die Frage der Orga-
nisation des A. praktisch; so ist seit 1895 in Horde
(Westfalen) eine öffentliche unentgeltliche Arbeits-
nachweisstelle ins Leben getreten, welche der Auf-
sicht des Kreisausschusses und der Leitung einer
Kommission untersteht, deren Mitglieder von den
Beisitzern des Kreisgewerbegerichts gewählt werden.
Auch die Regierungen befaßten sich in der letzten
Zeit mit der Frage einer zeitgemäßen Ausgestaltung
des A. Zunächst wurde in Württemberg die Central-
stelle für Gewerbe und Handel zu einem Gutachten
aufgefordert, welches, im Aug. 1894 abgegeben, als
den berufensten Träger, welcher die Einrichtung für
eine verbesserte Arbeitsvermittelung in die Hand
nehmen sollte, bei den dermaligen Verhältnissen die
Gemeinde bezeichnete. 1894 erließ das bayr. Mini-
sterium des Innern eine Verfügung an die Vezirks-
regierungen, Bestrebungen, welche auf die Bildung
kommunaler Arbeitsnachweisstellen gerichtet sind,
thunlichste Förderung angedeihen zu lassen, gleich-
zeitig aber bei den kommunalen Behörden der haupt-
sächlich in Betracht kommenden Städte die Errich-
tung von Arbeitsnachweisstellen durch die Gemein-
den in Anregung zu bringen. In Preußen richteten
der Handelsminister und der Minister des Innern
das Cirkular vom 31. Juli 1894 an die Regierungs-
präsidenten, welches sich gleichfalls mit der Reform
des A. befaßt und billigend darüber ausspricht, dah