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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Arzt
*'Arzt. In neuerer Zeit ist die Bewegnng in
ärztlichen Kreisen, zu einer festen, vom Staat mit
Disciplinarbefugnissen ausgestatteten ärztlichen
Standesvertretung zu gelangen, besonders lebhaft
aewesen und hat verschiedentlich zu gesetzgeberischem
Vorgehen geführt. Die schwierige Lage, in die der
ärztliche Stand schon einerseits durch die in der Ge-
werbeordnung (1869) freigegebene Ausübung der
Keilkunde, andererseits durch den großen Andrang
zum Medizinstudium geraten war, ist zuletzt durch
die Organisation eines großen Teils des Publikums
in Krankenkassen, die als mächtige Verbände den
einzelnen Ärzten gegenüber ein großes Übergewicht
besitzen, noch gesteigert worden. Dadurch sind zum
Teil die Erwerbsverhältnisse in der ungünstigsten
Weise niedergedrückt worden. Der moralischen Schä-
digung, die der ärztliche Stand durch Zusammen-
wirken aller dieser Verhältnisse erleidet, entgegen-
zutreten, haben sich die ärztlichen Standes-
ve reine, die auch schon vor Erlaß der Gewerbe-
ordnung zahlreich bestanden, zur besondern Auf-
gabe gestellt. 1896 gab es in Baden 16 Vereine,
in Bayern 62, in Sachsen 24, in Württemberg 10,
in Hessen 18, in Braunschweig 4, in Preußen 182,
in Mecklenburg 7, in Thüringen 11, in Oldenburg
und Bremen je 2, in Elsaß-Lothringen, Anbalt und
Lippe-Detmold je 3, in Lübeck, Altenburg, Schaum-
burg-Lippe und Damburg je 1. Rein wissenschaftliche
ärztliche Vereine bestehen außerdem 96, Vereine für
öffentliche Gesundheitspflege 15, nnlitärärztliche 13.
ärztliche Unterstützungskassen giebt es 69 mit einem
Vermögen von über 5 Mill. M.
Gestützt auf diese staatlich anerkannten Vereine
besteht in Bayern, Sachsen, Württemberg, Hessen
und Oldenburg eine vom Staate eingerichtete ärzt-
liche ^tandesvertretung, während eine entsprechende
Vertretung neuerdings in Preußen und Hamburg,
wie schon lange vorher in Baden und Braunschweig,
geschaffen worden ist ohne organische Verbindnng
mit den bestehenden ärztlichen Vereinen und ohne
alle Rücksicht auf dieselben. Zweck dieser i^tandes-
oertretungen ist im allgemeinen die Erörterung und
Vorberatung aller Fragen und Angelegenheiten,
welche den ärztlichen Beruf oder das Interesse der
öffentlichen Gesundheitspflege betreffen, oder auf
die Wahrnehmung und Vertretung der ärztlichen
Standesinteressen gerichtet sind.
In Baden wählen seit 1864 sämtliche Ärzte des
Landes alle 4 Jahre einen aus 8 Mitgliedern be-
stehenden ((Ärztlichen Ausschuß", welcher aus eige-
ner Initiative oder auf Berufung des Ministeriums
zusammentritt. Die ihm zugehenden Vorlagen teilt
er den Vereinen des Landes zur Vorberatung mit.
In Sachsen besteht seit 1865 (1872) je ein ärzt-
licher Vezirksverein (mit obligatorischem Beitritt
seit 1896) innerhalb eines jeden Medizinalbezirks:
die Vezirksvereme jeder Kreishauptmannschaft (4)
bilden den ärztlichen Kreisverein und wählen aus
ihren Mitgliedern die Delegierten zum ärztlichen
Kreisvercinsausschuß. Die Kreisvereine sind die
Wahlkammern für die aus der Mitte der praktischen
Ärzte der betreffenden Kreishauptmannschaft dem
Landesmedizinalkollegium zuzuordnenden außer-
ordentlichen ärztlichen Mitglieder (10 seit 1896).
In Vraunschweig wird seit 1866 von sämt-
lichen Ärzten (und Apothekern) die "Kammer der
Ärzte und Apotheker" auf je 5 Jahre gewühlt; sie
besteht aus 7 Ärzten und 3 Apothekern und ver-
sammelt sich nach Ermessen des Vorsitzenden.
In Bayern wählen seit 1871 (1895) die Vezirks-
vereine (mit fakultativem Veitritt) innerhalb eines
jeden der 8 Regierungsbezirke Delegierte, durch
deren Zusammentritt die Ärztekammern der be-
treffenden Regierungsbezirke entstehen. Die Kam-
mern werden vom Ministerinn: alljährlich, aber
auch, auf Antrag der ständigen Ausfchüsse der Ve-
zirksvereine, zu außerordentlichen Sitzungen ein-
berufen und haben aus ihrer Mitte wiederum die
8 Abgeordneten der Ärztekammern zum Obermedi-
zinalausschuft zu wählen.
Die den ärztlichen Landesverein in Württem-
berg bildenden 8 Vezirksvereine (mit fakultativem
Beitritt) wühlen seit 1875 auf je 3 Jahre Dele-
gierte, welche den Ausfchuß des ärztlichen Landes-
vereins darstellen. Der Ausfchuß tritt aus eigener
Initiative zu Sitznngen zusammen oder wird vom
Ministerium zur Teilnahme an den Verhandlungen
des Medizinalkollegiums zugezogen.
In Hessen wählen seit 1877 die ärztlichen Kreis-
vereine (mit fakultativem Veitritt) einer jeden Pro-
vinz (3) je 2 Abgeordnete auf je 2 Jahre in den
ärztlichen Centralausschuß, welchem auch andere
Sachverständige angehören und welcher jährlich ein-
mal vom Ministerium einberufen wird.
In Preußen bestehen durch Verordnung vom
25. Mai 1887 Ärztekammern für jede Provinz, deren
Mitglieder von den innerhalb des Wahlbezirks (Re-
gierungsbezirk) wohnhaften, dem Deutschen Reiche
angehörenden und im Besitze der bürgerlichen Ehren-
rechte befindlichen Ärzten auf je 3 Jahre derartig ge-
wäblt werden, daß auf je 50 Wahlberechtigte ein
Mitglied und ein Stellvertreter kommt. Vertreter
der Ärztekammern sind als außerordentliche Mit-
glieder zu den Sitzungen der Provinzialmedizinal-
kollegien und der Wissenschaftlichen Deputation für
das Medizinalwesen, und zwar zu erstern je 2, zu
letztern je 1, zuzuziehen, falls allgemeine Fragen
oder besonders wichtige Gegenstände der öffentlichen
Gesundheitspflege oder Anträge von Ärztekammern
zur Beschlußfassung stehen. Zur Ausübung einer
vermittelnden Thätigkeit zwischen dem Minister der
Medizinalangelegenheiten und den Ärztekammern
wie auch zwischen diesen untereinander ist durch Ver-
ordnung vom 6. Jan. 1896 ein, die Zuständigkeit der
Ärztekammern nicht beschränkender Ärztekammer-
ausschuß mit dem Sitz in Berlin errichtet worden, in
welchen jede Ärztekammer einen Delegierten wählt.
InOldenburg wählen seit 1891 die Mitglieder
des im Großherzogtum bestehenden Ärztevereins
(mit fakultativem Veitritt) aus ihrer Mitte eine
fünfgliedrige Ärztekammer auf je 3 Jahre, welche
jäbrlich einmal, nach Ermessen des Vorstandes und
auf Antrag von 5 Vereinsmitgliedern auch öfter
einbernfen wird.
In Hamburg endlich ist seit 1. Jan. 1895 eine
"Ärztcordnung" in Kraft getreten, welche die Bil-
dung einer aus 15 Mitgliedern bestehenden Ärzte-
kammer für das hamburgifche Staatsgebiet vor-
schreibt. Die Ärztekammer wird von sämtlichen in
die Matrikel der hamburgischen Ärzte aufgenomme-
nen, dort wohnenden Ärzten, unter denfelben Vor-
aussetzungen wie in Preußen, gewählt und ent-
sendet 3 ihrer Mitglieder in das Medizinalkolle-
gium. In den übrigen deutschen Vundesstaaten
! besteht eine offizielle ärztliche Standesvertretung
! zur Zeit noch nicht.
! Die größte freie ärztliche Standesvertretung, der
i Deutsche Ärztevereinsbund, umfaßte 1895
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