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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Athen

Befugnis, die Auslieferung (s. d.) und Ausweisung (s. d.) polit. Verbrecher und Agitatoren zu unterlassen. Eine Beschränkung des Asylrechts andern Staaten gegenüber liegt nur bei Abschluß besonderer verpflichtender Verträge und außerdem so weit vor, als auch ohne Vertrag eine völkerrechtliche Auslieferungs- und Ausweisungspflicht besteht. Sonst ist die Verweigerung eines genügend motivierten Ersuchens um Auslieferung oder Ausweisung nicht die Verletzung einer internationalen Rechts-, sondern nur einer internationalen Billigkeits- und Anstandspflicht, die den andern Staat berechtigt, Retorsion zu üben, z. B. einen Vertrag zu kündigen. Die Frage wurde 1889 zwischen Deutschland und der Schweiz strittig anläßlich des Falles Wohlgemuth. (S. Deutschland und Deutsches Reich, Geschichte, Bd. 5.) Die Anschauung der deutschen Reichsregierung, die schweiz. Behörden hätten nach dem Niederlassungsvertrag vom 27. April 1876 die Rechtspflicht, von den Deutschen, die in der Schweiz Wohnsitz nehmen wollen, die Vorlegung der Papiere zu verlangen, durch welche ihnen bescheinigt wird, daß sie sich im Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte befinden und einen unbescholtenen Leumund genießen, wurde von dem schweiz. Bundesrat unter Berufung auf den Wortlaut des Vertrages ("um in der Schweiz Wohnsitz zu nehmen, müssen die Deutschen mit einem Zeugnisse versehen sein, durch welches bescheinigt wird, daß der Inhaber einen unbescholtenen Leumund genießt") bestritten. Die deutsche Regierung erklärte darauf trotzdem nicht ihren sofortigen Rücktritt vom Vertrag wegen Nichterfüllung desselben von anderer Seite, sondern kündigte den Vertrag nur, was sie auf die nicht wegzuleugnende Verletzung einer Billigkeitspflicht seitens der Schweiz dem Völkerrecht gemäß jederzeit thun konnte. Nachdem die Schweiz durch Aufstellung eines eidgenössischen Generalanwalts für Fremdenpolizei ein Entgegenkommen gezeigt hatte, wurde auf Anregung Deutschlands 31. Mai 1890 ein neuer Niederlassungsvertrag abgeschlossen, aus dessen Art. 2 deutlicher nur ein Recht, keine Pflicht der schweiz. Behörden folgt, die Vorlegung von Leumundszeugnissen zu verlangen, wenn es dort heißt: "um die ihnen eingeräumten Rechte beanspruchen zu können, müssen die Deutschen in der Schweiz und die Schweizer in Deutschland mit einem Zeugnis ihrer Gesandtschaft versehen sein, durch welches bescheinigt wird, daß der Inhaber deutsche bez. schweiz. Staatsangehörigkeit besitzt und einen unbescholtenen Leumund genießt". Der neue deutsch-schweiz. Niederlassungsvertrag ist zunächst bis zum 31. Dez. 1900 abgeschlossen und soll, wenn kein Teil 12 Monate vor diesem Zeitpunkt ihn kündigt, weiterhin in Geltung bleiben, jedoch unter Vorbehalt jeweils einjähriger Kündigungsfrist.

Außer mit Deutschland ist die Schweiz 1882 einen Niederlassungsvertrag mit Frankreich eingegangen. Hiernach muß der Franzose, der sich in der Schweiz niederlassen will, nicht auch ein Zeugnis über unbescholtenen Leumund, sondern nur einen Immatrikulationsschein besitzen, der ihm von der Gesandtschaft der franz. Republik oder den von Frankreich in der Schweiz errichteten Konsulaten ausgestellt wird.

Es ist eine Frage der Politik, wie weit ein Staat innerhalb der rechtlichen Grenzen, d. h. soweit nicht Auslieferungs- oder Ausweisungspflicht besteht, in Ausübung seines Asylrechts gehen will. Zu weite Ausdehnung der Asylgewährung bringt die Gefahr der Verletzung internationaler Anstandspflichten mit sich. An freie staatliche Institutionen gewöhnt, setzt das Schweizer Volk seit Jahrhunderten seinen Stolz darein, weitherzig im Asylgeben zu sein. Die öffentliche Meinung ist gegen eine Verkümmerung dieses Asylrechts durch Polizeimaßregeln dort sehr eingenommen. In jüngster Zeit (1888) war es besonders die schweiz. Arbeiterpartei, welche zum Schutz des Asylrechts gesetzliche Regelung der Ausweisungsgründe und Übertragung des Ausweisungsrechts an die Gerichte verlangte und sich andererseits der Aufstellung eines besondern Bundesorgans für polit. Fremdenpolizei widersetzte. Allein die notwendige Ergänzung einer weitgehenden Asylgewährung ist eine gute Fremdenpolizei. Die Schweiz macht seit Jahrhunderten die Erfahrung, daß zu parteipolit. Feindseligkeiten und Angriffen gegen die Heimat von außen mit Vorliebe das Gebiet solcher Staaten benutzt wird, die ihr Territorium den Fremden weitherzig öffnen. Daraus erklärt sich die gegenüber andern Ländern große Zahl polit. Ausweisungen aus der Schweiz, das dort hervorgetretene Bedürfnis der Einrichtung eines besondern Bundesorgans zur Ausübung der polit. Fremdenpolizei durch Einsetzung eines eidgenössischen Generalanwalts und der Umstand, daß die geltende schweiz. Bundesverfassung von 1874 als einen Grund der Fremdenausweisung ausdrücklich die Gefährdung der äußern Sicherheit der Eidgenossenschaft hervorhebt (Art. 70).

In früherer Zeit hatten die Gesandten für ihr Hotel ein Asylrecht. Nach heutigem Völkerrecht muß der Gesandte in sein Hotel Flüchtende herausgeben. Ebenso verleiht das ital. Garantiegesetz dem Papst für seine Residenz kein Asylrecht, wenn es dieselbe auch für unverletzlich erklärt.

Vgl. Langhard, Das Recht der polit. Fremdenausweisung mit besonderer Berücksichtigung der Schweiz (Lpz. 1891).

*Athen (das neue). Nachdem im Stadtteil Plaka an den nördl. und östl. Abhängen der Akropolis die albanes. Sprache erloschen ist, ist sie nur noch in der weitern Umgegend A.s zu hören. Ein neuer schöner großer Park hat sich in den letzten Jahren gebildet; er dehnt sich zwischen dem Ausstellungsgebäude (dem sog. Zappeion) und den Überresten des Tempels des olympischen Zeus aus. Das Akademiegebäude wird vorläufig nur als Münzkabinett benutzt. Den großen schönen Gebäuden der Stadt schließt sich das in seinem alten Marmorschmuck auf Kosten von Averof errichtete Panathenäische Stadion an, dessen Vollendung in zwei Jahren bevorsteht. Es wird im ganzen etwa 4 Mill. Drachmen kosten. In demselben fanden im April 1896 die ersten sog. Olympischen Spiele (s. d.) statt. - Die Universität hat (Sommersemester 1896) 140 Docenten und 3120 Studenten, worunter 4 Mädchen. Die technische Hochschule hat (1895/96) 35 Lehrer und 260 Schüler und Schülerinnen, die 5 Gymnasien haben 1009 Schüler, 1 Realschule 241 Schüler, die 7 öffentlichen hellenischen Schulen 1108 Schüler, die 45 öffentlichen Volksschulen der Gemeinde A. 7169 Schüler und Schülerinnen, das Lehrerseminar 122 Schüler, die Bildungsschule für Theologen (die sog. Rhizarische Schule) 15 Docenten und 69 Schüler, die höhere mit einem Lehrerinnenseminar verbundene Töchterschule (nach dem Stifter Arsakeion genannt) hat (1894/95) 1186 Schülerinnen im ganzen. Außerdem hat die Stadt mehrere Privatschulen mit vielen Tausenden Schülern und Schülerinnen.