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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Austritt aus der Kirche
schieden, insbesondere bezüglich der wichtigsten
Rechtsfolge des A. a. d. K., der Frage der religiösen
Kindererziehung. Allgemein anerkannt ist heute,
daß ein A. a. d. K. überhaupt erfolgen kann, ohne daß
die strafrechtlichen Folgen des kanonischen Rechts
irgend welchen Einfluß auf das bürgerliche Gebiet
haben könnten. Dies ist eine logische Konsequenz
aus der Bekenntnissreihcit. Allgemein anerkannt ist
ferner, daß der A. a. d. K. zugleich ein übertritt zu
einer andern Kirche oder Religionsgesellschaft sein
kann. Nicht ganz ebenso allgemein anerkannt ist
dagegen die Zulässigkeit des A. a. d. K. ohne übertritt
zu einer andern Kirche oder Religionsgesellschaft;
für die Verfassungen seit Mitte dieses Jahrhunderts
folgt sie zweifelsohne aus dem Princip der Bekennt-
nisfreiheit, nachdem seitdem das Streben nach Kon-
fessionslosigkcit häusiger wurde, also im Sinne der
Zeit unier Vekenntnisfreiheit auch Religionslosig-
keit zu verstehen war.
Für den A. a. d. K. haben die Staatsgesetze zum
Teil bestimmte Formen vorgeschrieben, von deren
Einhaltung erst die Befreiung von Abgaben an die
betreffende Religionsgemeinde eintritt.
Das preußifche Gesetz vom 14. Mai 1873
schreibt für den A. a. d. K. ohne gleichzeitigen übertritt
zu einer andern mit Korporationsrechten versehenen
Religionsgesellschaft vor, daß die Austrittserklärung
von dem Austretenden in Person vor dem für Auf-
nahme von Handlungen der freiwilligen Gerichts-
barkeit bestimmten Richter (Amtsrichter) seines
Wohnortes abzugeben ist. Der Aufnahme der Er-
klärung hat ein hierauf gerichteter mündlich zu Pro-
tokoll gegebener oder schriftlich eingereichter Antrag
voranzugehen. Der für vollständig befundene An-
trag ist seitens des Richters unverzüglich dem Vor-
stande (nicht dem Geistlichen) der Kirchengemeinde,
welcher der Antragsteller angehört, in Abschrift nach-
richtlich zuzustellen. Die Aufnahme der Austritts-
erklärung sindet nicht vor Ablauf von vier Wochen
nach Eingang des Antrags zu gerichtlichem Proto-
koll statt. Die Anberaumung eines besondern
Termins zu jener Aufnahme findet nicht statt, der
Antragsteller kann sich an jedem Geschäftstagc vom
29. bis 42. Tage nach Eingang des Antrags melden.
Auf Verlangen wird eine Vcscheiniguug des Aus-
tritts erteilt. Außer baren Auslagen werden nur
Abschriftsgebühren erhoben. Die Austrittserklä-
rung bewirkt Befreiung von den pekuniären Pflichten
gegenüber dem bisherigen Neligionsverband. Für
Austritt mit übertritt zu einer andern anerkannten
Religionsgesellschaft läßt es das Gesetz vom 14. Mai
1873 beim bestehenden Recht. Dies ist für die ver-
schiedenen Rechtsgebiete Preußens verschieden. Nach
Preuß. Landrecht II, 11, §. 41, erfolgt der Übergang
zu einer andern Religionspartei durch jede ausdrück-
liche, d. h. bestimmte Willenserklärung. Zu einer
solchen Erklärung genügt die Eintrittserklärung; es
bedarf keiner Austrittserklärung. Die Erklärung
bedarf keiner besondern Form. Für das kurhess.
Gebiet gilt noch das kurhess. Gesetz vom 29. Okt.
1848; hiernach hat eine Austrittserklärung an den
Pfarrer zu erfolgen. Für die übrigen preuß. Pro-
vinzen fehlen gesetzliche Bestimmungen. - In
Bayern ist Erklärung an die geistlichen Vorstände
beider Kirchen zu richten. - In Sachsen ist der
Konfessionswechsel zwischen zwei ausdrücklich aner-
kanntcn christl. Konfessionen nach Mandat vom
20. Febr. 1827 bedingt durch persönliche Anzeige
beim Pfarrer der bisherigen Konfession, der hierüber
aber erst nach einer dem Anzeigenden aufzuerlegen-
den vierwöchentlichen Bedenkzeit und erst nach
Berichterstattung an den Vorgesetzten Zeugnis er-
statten darf, und durch Aufnahme in die andere
Kirche, für welche der Staat keine Form vorschreibt.
Für den Austritt aus einer anerkannten Religions-
gesellschaft ohne gleichzeitigen übertritt in eine an-
dere anerkannte christl. Konfession gilt nach Gesetz,
vom 20. Iuui 1870, daß der Austretende seinen
Austritt seinem ordentlichen Nichter persönlich zu
Protokoll anzeigt und dabei glaubhaft nachweist,
daß er dem Pfarrer seiner Parochie vier Wochen
vorher die Absicht auszutreten persönlich zu erkennen
gegeben hat. - In Württemberg ist jeder Aus-
tritt aus der evang. Kirche beim Vorsitzenden des
Kirchengemeinderats, der Austritt aus der kath.
Kirche beim Vorsitzenden des Kirchenstiftungsrats
(Gesetze vom 14. Juni 1887) vom Austretenden selbst
schriftlich oder mündlich anzuzeigen. - In Ham-
burg ist der Austritt vor dem Standesbeamten zu
erklären. - In Österreich (Gesetz vom 25. Mai
1868) ist der Austritt aus einer anerkannten Reli-
gionsgemeinschaft der polit. Behörde erster Instanz
(Vezirkshauptmannschaft, Stadtmagistrat) zu mel-
den, welche dem Vorsteher oder Seelsorger der ver-
lassenen Religionsgesellschaft die Anzeige übermittelt.
Den Eintritt in eine neugewählte anerkannte Reli-
gionsgemeinschaft muß der Eintretende dem Vor-
steher oder Seelsorger persönlich erklären.
Im allgemeinen ändert sich mit der Religion der
Eltern auch die der Kinder, d. h. der Vater bestimmt,
ob und in welcher Religion das Kind unterrichtet
werden darf. Es ist dies die Frage der religiösen
Kindererziehung (s. d., Bd. 10). Das Einfüh-
rungsgefetz zum Vürgerl. Gefetzbuch Art. 134 hat
hier das vielgestaltige Landesrecht aufrecht erhalten^
teils weil die Frage nicht rein privatrechtlich ist,
sondern auch öffentlichrechtliche Verhältnisse, daK
interkonfessionelle Kirchenstaatsrecht, berührt, teils
weil der Versuch, die Frage im Bürgerl. Gesetzbuch
zu ordnen, wegen der in dieser Frage bestehenden
scharfen konfessionellen und polit. Gegensätze zu einer
Gefahr für das Zustandekommen des Bürgerl. Ge-
setzbuches geworden wäre. Die preuß. Verwaltungs-
praris zwingt der Verfassung wohl zuwider auch
die Kinder konfessionsloser Eltern zum Besuch des-
Religionsunterrichts einer anerkannten Glaubens-
gesellschaft, weil dieser obligatorischer Volksschul-
lehrgegenstand sei. In Österreich zieht der Austritt
der Eltern oder eines der Elternteile nicht den Aus-
tritt der bereits geborenen Kinder aus ihrem Reli-
gionsbekenntnisse nach sich.
Von welchem Zeitpunkt ab selbständig der A. a. d. K.
und die Religionswahl erfolgen kann, ist streitig. Im
alten Reiche hatte sich eine allerdings bestrittene
Observanz für das 14. Lebensjahr als "Unterschei-
dungsaltcr" (annu8äi8e<r6ti0iii5) gebildet. Späterhin
wurde diefe Frage in den Einzelstaaten in sehr ver-
schiedener Weise geordnet; einige Staaten, so ins-
besondere Preußen, Württemberg, Hessen, Mecklen-
burg, Oldenburg, haben das 14. Jahr beibehalten,
andere sind bis zum Volljährigkeitsalter hinaufge-
gangen, fo besonders Bayern, Sachsen und eine
Reihe von Kleinstaaten; ferner räumen die meisten
Gesetzgebungen der empfangenen Firmung oder
Konfirmation eine gewisse rechtliche Wirkung ein.
Vgl. A. Schmidt, Der A. a. d. K. (Lpz. 1893);
Artikel Konfessionslose Personen im "Osterr. Staats-
wörterbuch", Bd. 2 (Wien 1896).