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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Bakterien
halb weiter Grenzen den Verhältnissen des Nähr-
substrats anzupassen vermögen; dies befähigt sie
sicherlich außerordentlich zu ubiquitärer Verbreitung
und mannigfaltigster Ausnutzung der Nährstoffe.
Viele V. enthalten in ihrem Zellleib Farbstoffe, die
jedoch eine sehr verschiedene physiol. Bedeutung haben
können; entweder stellen sie einfach wertlose Exkretc
dar, oder es handelt sich um Bestandteile des
Zellleibes, denen bestimmte Funktionen zugewiesen
sind; zu letztern B., die von Veyerinck als chromo-
phore Arten im Gegensatz zu den ersterwähnten chro-
moparen B. bezeichnet werden, gehören z. B. die
wenigen Arten, die echtes Chlorophyll führen und
wie Pflanzenzellcn im Sonnenlichte Kohlensäure zu
assimilieren vermögen; ferner einige Arten, die ein
dem Chlorophyll verwandtes, aber anders, z. V.
rot, gefärbtes Chromophyll enthalten und ebenfalls
im stände sind, die Energie der Sonnenstrahlen aus'
zunutzen. Einige Arten enthalten in ihrem Zellleib
auch Schwefelkörner, andere haben eine mit Eisen-
oxyd imprägnierte Scheide; doch sind dies mehr ver-
einzelte Befunde ohne allgemeine Bedeutung für das
Verständnis der Lebcnsprozesse der V. überhaupt.
In ihren Ernährungsverhältnissen zeigen die V.
ganz außerordentliche Verschiedenheiten je nach ihren
verschiedenen Arten, wie man sie sonst bei morpho-
logisch so nahe stehenden Organismen derselben
Klasse kaum vorfindet. Im allgemeinen decken die
B. ihren Nährstoffbedarf am besten aus komplizier-
ten organischen Verbindungen, wie sie z. V. massen-
haft als Abfallstosfe tierifchen und pflanzlichen Lebens
erzeugt werden; hierdurch nähern sie sich dem Ver-
halten der Tiere und Pilze und unterscheiden sich
streng von den höhern chlorophyllführendcn Pflan-
zen, die ihre Leibessubstanz mit Hilfe der Energie
des Sonnenlichts aus einfachsten Stoffen, nämlich
Kohlensäure, Wasser und Nitraten, aufbauen. Eine
Ncihe von B. ist überhaupt ausschließlich auf eine
solche Ernährung mit hoch komplizierten organischen
Verbindungen angewiesen, so eine große Anzahl
krankheitserregender B.; manche derselben vermögen
überhaupt nur innerhalb des lebenden menschlichen
Körpers zu wuchern und gehen selbst in seinen un-
mittelbaren Sekreten nach kurzer Zeit zu Grunde,
wie z. B. die bisher noch unbekannten Syphilis-
erreger; einige wiederum sind so wählerisch, daß sie
nur aus wenigen ganz bestimmten Stoffen ihren
Nährstosfbedarf decken und ohne dieselben nicht zu
existieren vermögen, wie z. B. die Influenzabacillen
notgedrungen auf den Blutfarbstoff, das Hämo-
globin, angewiesen sind. Andere V. hingegen ver-
mögen ihre Ernährung ebensowohl aus relativ ein-
fachen Stoffen, wie aus den komplizierten unmittel-
baren Abkömmlingen des tierischen Stoffwechsels zu
bestreuen; so ist es gelungen, viele Krankheitserreger,
sogar neuerdings den Tuberkclbacillus, auf relativ
sehr einfachen Nährböden künstlich zu züchten. End-
lich sind eine große Zahl von den massenhaft in der
Natur vorkommenden Saprophyten befähigt, auch
mit den einfachsten Stoffen auszukommen, und stellen
auch quantitativ so geringe Ansprüche, daß sie selbst
in reinem destilliertem Wasser durch Ausnützung der
darin enthaltenen minimalen Stoffmengen zu üppig-
ster Vermehrung befähigt sind. Eine ganz eigen-
artige Stellung ihrer Ernährung nehmen die Nitro-
bakterien und die stickstofffixierenden V. ein.
Die von Winogradsky erst neuerdings entdeckten
Nitrobakterien, welche im Boden in ungeheurer
Verbreitung vorkommen und hier die Umwandlung
des Ammoniaks, des stickstoffhaltigen Endprodukts
tierifchen Stoffwechsels, in die für die Pflanzen ver-
wertbaren Nitrate bewirken und demnach das lange
gesuchte Salpeterfermcnt darstellen, decken ihren ge-
samten Bedarf an Kohlenstoff, wie die höhern Pflan-
zen, aus der atmofphürifchen Kohlensäure; dieses
Verhalten ist um so merkwürdiger und von geradezu
fundamentaler Bedeutung, als die Ni.trodcckt.eri.en
nicht mit Chlorophyll ausgestattet sind und die
Energie der Sonnenstrahlen nicht ausnützen, sondern
ohne Mitwirkung des Lichtes die vollständige Syn-
these des lebenden Eiweißes von der freien Kohlen-
säure ausgehend vollziehen; die Nitrobakterien bilden
hiernach in ihrem physiol. Verhalten den Übergang
zu den Pflanzen, während die obligaten Parasiten
unter den V. die größte Annäherung an den tierischen
Stoffwechsel erkennen lassen. Die ausschlaggebende
Rolle übrigens, die man dem Chlorophyll früher
für die Synthese der lebenden Substanz aus ein-
fachsten Verbindungen, speciell aus Kohlensäure, zu-
schrieb, wird nach dem Verhalten der Nitrobakterien
eine wesentliche Einschränkung erfahren müssen; das
Chlorophyll ist bei den höhern Pflanzen wahrschein-
lich nur ein für den genannten Zweck besonders
differenziertes Organ oder ein Hilfsapparat.
Fast noch merkwürdiger als das Verhalten der
Nitrobakterien ist jedoch die Fähigkeit gewisser im
Boden wuchernder und in den Wurzelknöllchen der
Leguminosen schmarotzender Mikroorganismen, der
stickstofffixierenden B., die den freien Stickstoff
der Atmosphäre zum Aufbau ihrer Leibesfubstanz
verwerten und demgemäß den Gehalt des Acker-
bodens an wertvollem stickstoffhaltigem Nährmaterial
für Kulturgewächse nicht nur nicht vermindern, son-
dern bedeutend erhöhen, Verhältnisse, die für die
Landwirtschaft von größter Tragweite sind. Wie
der freie Stickstoff, diefer in seiner chem. Reaktions-
fähigkeit doch überaus trüge Körper, die chem. Ver-
bindung mit andern Elementen eingeht, um das
Molekül des lebenden Eiweißes zu bilden, ist noch
unklar; vielleicht wird zuerst durch Gärthätigkeit
Wasserstoff frei und verbindet sich in 8ww uiiäcenäi
mit dem Stickstoff zu Ammoniak, von wo aus der
Aufbau des lebendigen Eiweißes in ähnlicher Weise
wie bei andern V. erfolgen könnte.
Ebenso merkwürdige Variationen wie die eben be-
sprochenen Ernährungsverhültnisse zeigt das Ver-
halten der V. zum Sauerstoff. (S. Anaerobien.)
Die Produkte des Stoffwechsels der B. zeigen eine
außerordentliche Mannigfaltigkeit; von praktischer
Wichtigkeit sind insbesondere die Gifte derB. (Toxine,
Toxalbumine), welche für ihre Rolle als Krankheits-
erreger eine hohe Bedeutung besitzen, sowie die isolier-
baren Fermente, durch die sehr weitgehende Um-
setzungen im Nährmatcrial, oft von größter Bedeu
tung für die Technik, hervorgerufen werden. Viele
V. vermögen außerdem Gärungen verschiedener Art
zu erregen. Über die krankheitserregende Wirkung
der V. endlich s. Ansteckung (Bd. 1), Infektionskrank-
heiten (Bd. 9) und Kontagium (Bd. 10).
Neben diesen mannigfaltigen, im wesentlichen
chem. Leistungen und der bereits besprochenen aktiven
Lokomotion sind manche V. noch zu besondern
Leistungen fähig; so bewirken einige durch ihren
Lebensprozeß intensive Temperaturerhöhung im
Nährmedium, z. V. im Dünger, im Heu, in der
Baumwolle; wahrscheinlich sind die Selbstentzündun-
gen der letztern ebenfalls auf solche intensive Wärme-
produktion durch B. zurückzuführen. Andere B.