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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Belgische Eisenbahnen - Belgisches Heerwesen
gesetz angenommen. Inzwischen war 14. Inni die
verfassungsmäßige zweijährige Frist für die Erneue-
rung der Hälfte der Abgeordnetenkammer verstrichen,
und es zogen sich sämtliche Liberale samt den Ab-
geordneten von Antwerpen zurück, worauf die
Sitzungen aufgehoben werden mußten.
Bei den ersten allgemeinen Wahlen nach dem neuen
Wahlrecht, im Okt. 1894, verschwand die liberale
Partei in beiden Kammern fast gänzlich, in der Ab-
geordnetenkammer bis auf 15 Stimmen, dagegen
traten hier die Socialisten mit 32 Stimmen als
neue Partei aüf. Die Klerikalen behielten eine über-
wältigende Mehrheit, in der Abgeordnetenkammer
von 104 Stimmen, aber innerhalb derselben hatte
sich der Gegensatz zwischen Konservativen und christl.
Demokraten, deren bedeutendster Führer Nothomb
ist, bedeutend verschärft. Im April 1805 wurde in
der Kammer und im Senat auch der erste Teil eines
Wahlgesetzes für die Gemeinderäte angenommen,
und zwar im allgemeinen nach den Grundsätzen des
Wahlgesetzes für den Senat. Ebenfo kam die schon
lange schwebende Frage wegen Übertragung des
Kongostaates von seinem Souverän, dem belg. Kö-
nig, an den bclg. Staat jetzt zur Verhandlung. Als
aber hauptsächlich wegen vorauszusehender finan-
zieller Vefchwerde die Mehrheit sich ziemlich abge-
neigt zeigte, da wurde die Vorlage von der Negie-
rung zurückgenommen, was den feit Ende März
1892 im Amte befindlichen Minister des Äußern,
de Merode, veranlaßte zurückzutreten. Sein Nach-
folger wurde der Kabinettschef de Vurlet, an dessen
Stelle Schollaert Minister des Innern wurde (Juni
1895). Nun bequemte die Kammer sich bald darauf
zu einer Anleihe von 6 Mill. Frs. an den Kongostaat
und von 5 Mill. an die Kongoeisenbahngesellschaft.
Ein Gesetzentwurf, der die Garantie des belg. Staates
für die Emission der Kongoeisenbahnobligationen ge-
nehmigt, wurde 15. Mai 1896 von der Kammer
mit 61 gegen 55 Stimmen angenommen.
Im Sinne der Protektionisten, besonders der
Agrarier, wurden nach heftigem Widerstreit durch
Gesetz vom 12. Juli 1895 verschiedene Einfuhrzölle
bedeutend erhöht. Gewaltige Aufregung erregte ein
17. Sept. 1895 veröffentlichtes Schulgesetz, wonach
der Religionsunterricht in der öffentlichen Schule
der Geistlichkeit unterstellt und in der Weise für alle
Schulen verpflichtend gemacht wurde, daß dicfc nur
auf einen förmlichen Antrag der Eltern davon ent-
hoben werden könnten. Der zweite Teil des Gesetzes
für die Gemcindewahlen, 12. Sept. 1895, macht den
Versuch mit einer Art proportioneller Vertretung,
wonach im Falle, wo keine absolute Stimmenmehr-
heit erreicht wurde, keine Nachwahlen stattfinden,
sondern die nächst größten Stimmcnzahlcn die Ent-
scheidung geben. Die Gemeindcratswahlcn am
17. Nov. 1895 brachten den Liberalen eine geringere
Niederlage, als nach den Erfahrungen der Kammer-
wahlen des vorigen Jahres zu erwarten stand: be-
sonders litten die Radikalen. Am 2. Jan. 1896 starb
der alte Führer der liberalen Partei, Fröre-Orban.
Aus Gesundheitsrücksichten mußte der Kabinettschcf
de Burlet zurücktreten; sein Nachfolger als Minister
des Äußern wurde dc Favereau, Kabincttschcf der
Finanzministcr de Smct-de-Naycr, 26. Febr. 1896.
Ein von der Kammer angenommener Artikel des
Budgets für das landwirtschaftliche Ministerium
wurde 19. Juni 1896 vom Senat abgelehnt; als die
Regierung und die Rechte sich geneigt zeigten, diesem
Beschlusse beizutreten, kam es in der Kanmer zu
lärmenden Scenen; doch wurde schließlich der Re-
gierung mit 83 gegen 27 Stimmen ein Vertrauens-
votum erteilt. Bei den Neuwahlen zur Kammer
5.Iuli 1896 erlangten dieSocialisten einen bedeuten-
den Stimmenzuwachs; doch stimmten bei den Stich-
wahlen die Liberalen überall für die Klerikalen, so
daß nun die Kammer 111 Katholiken, 29 Socialisten,
9 Radikale und 3 Liberale zählt gegen 104 Katho-
liken, 28 Socialisten, 20Radikale oder Liberalevorher.
Im Nov. 1896 nahm der Kriegsminister (seit Mai
1894) General Vrassine seine Entlassung, weil der
Ministerrat eine abermalige Verschiebung derHeeres-
reformvorlage beschloß, deren Grundlage der per-
sönliche Heeresdienst sein sollte; dem Eisenbahn-
minister Vandenpeercboom wurde interimistisch die
Leitung des Kricgsministeriums überragen. Einen
Fortschritt der vläm. Bewegung bezeichnet ein
22. Nov. von der Kammer angenommenes Gesetz,
das die Veröffentlichung aller Gesetze und Verord-
nungen in franz. und vläm. Sprache vorschreibt.
Litteratur. E. Poullet, B. unter der Statt-
halterschaft Erzherzog Karls 1793, 1794 (Tl. 1-3,
Wien 1893-94); Pirenne, LidlioFrapIiie äo!'ki3-
toii-6 äe LelFiquL (Gent 1893); Valau, I.H Lei-
ßjhU6 80U3 l'Umpiro 6t lg. äökaiw äs ^Vaterioo,
1804-15 (2 Bde., Par. 1894).
* BelgifcheEisenbahnen. Belgien besaßi.Ian.
1895 ein Eisenbahnnetz von 5545 Iliu; auf je 100
hkm Flächeninhalt kamen 18,8, auf je 10000 E. 8,8
km. Einschließlich sämtlicher Straßenbahnen mit Lo-
komotivbetrieb erhöhte sich jedoch das Netz auf 5991
km, darunter 3290 kni Staatsbahnen, 1219 km
nationale Nebenbahnen und 1482 km Privatbahnen.
Zur Bewältigung des Verkehrs waren 2947 Loko-
motiven, 6919 Personenwagen sowie 61623 Güter-
und Gepäckwagen vorhanden, und es wurden 1894:
96938 777 Personen und 45520898 t Güter beför-
dert. Die Betriebseinnahmen betrugen 199910058,
die Betriebsausgaben 110395325 Frs. oder 55,22
Proz. der Einnahmen.
* Belgisches Heerwesen. Die belg. Armee
ergänzt sich mittels freiwilliger Verpflichtung und
jährlichen Aufgebots (Losziehung eines jährlich
durch'Gesetz derart festgelegten Bestandes, daß die
Armee eine Stärke von ungefähr 130000 Mann
erhält). Stellvertretung ist gestattet. Die Dauer
der Dienstzeit ist 8 Jahre im stehenden Heere und
5 Jahre in der Reserve. Die eingestellten Wehrpflich-
tigen haben ein Anrecht auf 6 Wochen Urlaub in
jedem Jahre des aktiven Dienstes. Sie werden mit
unbegrenztem Urlaub entlassen, wenn sie 28 Monate
im Laufe der 3 ersten Dienstjahre bei der Linien-
infantcrie, den Jägern und dem Train, 36 Monate
während der 4 ersten Dienstjahre bei den Grenadieren
oder Karabiniers, 3 Jahre bei der Festungsartillcrie,
dem Genie oder der Verwaltung, 4 Jahre bei der
Kavallerie oder Feldartillcrie aktiv gedient haben.
Die Wehrpflichtigen, die nur 28 Monate aktiv ge-
dient haben, können während des vierten Dienst-
jahrcs auf einen Monat wieder einberufen werden.
An höhern Stäben bestehen im Frieden: 4 Infan-
teriedivisionen (Gent, Antwerpen, Lüttich, Brüssel)
mit 9 Infanteriebrigadcn (die 4. Division hat 3 Bri-
gaden), 2 Kavalleriedivisionen mit 4 Brigaden,
2 Feldartillerie- und 2 Fcstungsartilleriebrigaden.
DieZusammensetzung ist folgende. 1) Infanterie:
1 Karabinicr-, 1 Grenadier-, 3 Jäger- und 14 Li-
nicnrcgimcnter. Jedes Regiment hat 3 aktive Ba-
taillone zu 4 Compagnien, 2 Neservebataillone und