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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Böhmer-Wald-Bund - Bojen
stehenden Verfassung der Krieg erklärt und ein ge-
meinsamer Boden für weitere Operationen gefunden.
Auch noch eines weitern Erfolges konnten sich die
Iungczechcn rühmen, indem während des Landtages
bekannt gemacht wurde, daß der ihnen so verhaßte
Statthalter Graf Thun die Enthebung von seiner
Stelle erbeten und erhalten habe. Am 16. Febr.
trat er zurück; sein Nachfolger wurde der bisherige
Landespräsident von Schlesien, Graf von Couden-
hove. Als jedoch die Czechen die Herausforderung
so weit trieben, 10. Aug. im Prager Stadtverord-
netenkollegium Beschlüsse gegen die angebliche Ver-
gewaltigung der Czechen im geschlossenen deutschen
Sprachgebiet zu fassen, rafften sich die Deutschen
auf dem 20. Sept. in Teplitz abgehaltenen deutsch-
bo'hm. Städte- und Bezirkstag zu einem energischen
Protest auf, indem sie konstatierten, daß derartige
Bedrückungen keineswegs stattgefunden hätten. Zu-
gleich nahmen sie die Gelegenheit wahr, noch ein-
mal die Ausführung des ihnen feierlich gegebenen
Versprechens zu fordern, die Provinz B. in ein
deutsches und in ein böhm. Verwaltungsgebiet zu
teilen, um endlich den nationalen Streitigkeiten ein
Ende zu machen.
Litteratur. Außer den Veröffentlichungen des
statist. Centralbureaus in Wien und der Kommission
zur Landesdurchforfchung von B. in Prag, vgl.
Special-Ortsrepertorium von B. (hg. von der
k. k. statist. Centralkommission, Wien 1893); Die
Österreichisch-Ungarische Monarchie in Wort und
Bild. Böhmen (2 Bde., ebd. 1894 u. 1896); Beiträge
zur Geschichte der deutschen Industrie in B. (hg. vom
Verein für Geschichte der Deutschen in V., I-IV,
Prag 1895); Lippert, Socialgeschichte B.s in vor-
hussitischer Zeit (ebd. 1896).
Böhmer-Wald-Vund, Deutscher, 1883 zu
Budweis gegründete Vereinigung zur Verteidigung
des deutschen Sprachgebietes im südwestl. Böhmen.
Er zählt (1896) 24000 Mitglieder in 298 Vundes-
gruppen, davon im Thätigkeitsgebiet 199 mit 18 000
Mitgliedern. Sitz der Bundesleitung ist Bud-
weis. Die Gesamteinnahmen beliefen sich 1895 auf
10 839,55 Fl., die Ausgaben auf 9587,75 Fl. Der
Kapitalbestand beträgt 78000 Fl. Der Deutsche V.
sucht seinem Ziel durch Unterstützung bedürftiger
Deutscher, Hebung der Landwirtschaft, Industrie und
Gewerbe, des Handels, Verkehrswesens und Frem-
denverkehrs zu erreichen. Zu letztcrm Zweck rief er
das Passionsspiel in Höritz (s. d.) wieder ins Leben.
Zur Bekämpfung des Deutschen B. wurde 1884 in
Prag der Czechisch e Böhmer - Wald - Bund
Mai-oäni jsänota i)08umllV8kiy gegründet, der mit
ähnlichen Mitteln arbeitet und (1896) 15-20000
Mitglieder in etwa 200 Gruppen hat.
Böhmisches Staatsrecht. In den parteipolit.
Kämpfen wie in der wissenschaftlichen Litteratur
wird von den Czechen die Behauptung vertreten, die
gegenwärtige Gestaltung Böhmens als Provinz
Österreichs, als Kronland sei rechtswidrig, Böhmen
sei ein selbständiger Staat, könne also sein Staats-
recht selbst bestimmen; Böhmen sei 1526, wo die
böhm. Königskrone an das Haus Habsburg kam,
lediglich in Personalunion zu den übrigen Ländern
der Österreichisch-Ungarischen Monarchie getreten,
und dieser Bestand sei nachmals nicht verändert,
sondern durch die Ferdinand e'ische Landesordnung
vom 10. Mai 1627, durch die Konfirmation der
Privilegien der böhm. Stände vom 29. Mai 1627
und durch Herkommen bestätigt worden. Der Vor-
behalt in der Ferdinande'ischen Landesordnung, daß
das Gesetzgebungsrecht im Erbtönigreich Böhmen
dem König allein gebühre und ihm alles zu-
komme , was dieses Recht mit sich bringe, beziehe
sich nur auf die Ordnung des Privat-, nicht auf die-
jenige des Staatsrechts. Dagegen wird von deutsch-
österr. Seite richtig eingewendet: Aus der genannten
Landesordnung ergiebt sich eine Beschränkung des
Gesetzgcbungsrechts des Königs auf Privatrecht
nicht; die Landesordnung ist d:e Folge einer polit.
That, des Sieges in der Schlacht am Weißen Berge
(1620); das dem König darin zu alleiniger Ausübung
vorbehaltene Gesetzgebungsrecht bezieht sich gerade
in erster Linie auf das Staatsrecht, also konnte der
König allein die Verfassung ändern, Böhmen des
Staatscharakters berauben und damit insbesondere
auch den in der Ferdinandei'schen Landesordnuug
enthaltenen Satz aufheben, daß den böhm. Stünden
die Wahl eines böhm. Königs beim Aussterben des
königl. Geschlechts gebühre. Jüngeres Staatsrecht
setzt älteres außer Kraft. Spätestens seit Maria
Theresia ist Böhmen nur Provinz. Die böhm.
Stände sind beseitigt, insbesondere durch die Neichs-
verfassung vom 4. März 1849. Der gegenwärtige
böhm. Landtag ist nicht der Rechtsnachfolger der
alten Stände, sondern eine Neuschöpfung. Das V< E.
ist somit kein geltendes, sondern ein politisch höch-
stens anzustrebendes Recht. - Vgl. Toman, Das
V. S. und die Entwicklung der österr. Neichsidee
(Prag 1872); Artikel Böhmen im "Österr. Etaats-
wörterbuch", Bd. 1 (Wien 1895). (S. auch Öster-
reichisch-Ungarische Monarchie, Bevölkerung.)
^Böhm von Batverk, Eugen, wurde 1895 zum
Senatspräsidenten beim Verwaltungsgerichtshof er-
Bohrlöcher, s. Tiefbohrungen. ^nannt.
Boisdeffre (spr. böadchr), Raoul Francois
Charles Le Mouton de, franz. General, geb. 6. F'ebr.
1839 zu Alcncon (Depart. Orne), trat 1860 als
Unterlicutcnan't aus der Militärfchule St. Cyr, war
1863 Lieutenant im Generalstabskorps und wurde,
1866 zum Hauptmann befördert, Adjutant des Ge-
nerals Chanzy. Er nahm als Generalstabs ofsizier
beim 13. Armeekorps teil an der Schlacht bei
(^edan und war einer der wenigen, die sich durch-
schlugen. In Paris mit eingeschlossen, wurde er im
Luftballon mit einer Sendung an den General
Chanzy, den Oberbefehlshaber der Loirearmee, ab-
gefchickt und führte diefelbe glücklich aus. Im Dez.
1870 zum Major befördert, begleitete er 1873 Chanzy
nach Algerien, als dieser zum Civilgouverneur da-
selbst und zum kommandierenden General des
19. Armeekorps ernannt wurde. 1878 ging er mit
Chanzy als Militärattache' nach Petersburg, 1882
war er scin Untergeneralstabschef, als der General
an die spitze des 6. Korps gestellt wurde. In dem-
selben Jahre zum Oberst, 1887 zum Vrigadegeneral
ernannt, wurde er Souschef im Großen Generalstab
und verblieb in dieser Stellung bis 1892, wo er
zum Divisionsgeneral befördert wurde. 1893 wurde
er nach Miribels Tode mit der Leitung des Großen
Gcncralstabes betraut und 1894 zum Chef desselben
ernannt. Im Mai 1896 wurde er als Vertreter
Frankreichs zu den Krönungsfeierlichkeiten des
Zaren Nikolaus II. nach Moskau entsandt.
^Boisgobey, Fortune, starb Ende Febr. 1891.
^ Bojen. Distanzbojen nennt man V., die
zur Bezeichnung einer gewissen, genau bestimmten
Entfernung, z. B. 1 Seemeile, ausgelegt sind. Tele-
graphenbojen sind einerseits B., die zum Schutze