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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Burgörner
die schweren Satzperioden und zahlreichen Verwei-
sungen im ersten Entwurf vermieden werden sollen.
Wie schwer es aber ist, dem formellen Bedürfnis zu
genügen, zeigt am besten der Umstand, daß die zadl-
re/chen Kritiken der zweiten Kommission gerade in
dieser Richtung am wenigsten mit entsprechenden
Vorschlägen an die Hand zu gehen vermochten.
Dennoch war der Fortschritt, den der zweite Entwurf
aufwies, am stärtsten in der Form. Dieselbe war
weniger juristisch, allgemeinverständlicher, faßlicher
geworden. Zwar hatte der neue Entwurf 2359 Para-
graphen gegen 2164 des ersten, trotzdem daß eine
Reihe von Bestimmungen, namentlich prozeßrecht-
liche, in das Einführungsgesetz verwiesen wurden
(dasselbe zählt nunmehr 218 gegen früher 129 Pa-
ragraphen); aber dies kam daher, daß viele Para-
graphen in mebrere zerlegt wurden. Ganz ließen sich
nicht leicht verständliche Fassungen nicht vermeiden, !
eben da nicht, wo schwierigeRechtsfragen zurBehand- !
lung standen und leichte Faßlichkeit nur auf Kosten
sachlicher Gründlichkeit oder formeller Präcision zu
erreichen gewesen wäre (Berechnung des Pflichtteils,
§z. 2310 fg., Gesamthvpothek, 8§. 1172 fg. u. s. w.>.
Materiell macbten sich in dem Entwurf bei dem
Streben nach einheitlicher Auffassung an Stelle ein-
seitig jurist. Anschauung die Einflüsse verschiedenster
Gesellschaftsgruppen und der Voltsgesamtheit gel-
tend. Beispiele hierfür bieten einerseits die Auf-
nakme der Rentenschuld (^. 1199 fg.) als dritte
Art der hypothekarischen Belastung (agrarischer Ein-
fluN), audererseits die Zulassung der Geisteskrank-
beitals Ehescheidungsgrund, die Veschützung des
bürgerlichen Namens gegen Mißbrauch, also die
Etatuierung eiues besondern Namenrechts (§. 12>.
DieAnderung der staatlichen Wirtschaftspolitik zeigte
sich in dem erhöhten Schutz der Schwachen (Frau,
Mieter, Dienstleistender), in der Haftung für uner-
laubte Handluugen auch ohne Verschulden, in dem
erweiterten Anspruch des Fiskus auf erblosen Nach-
laß, in der Umgestaltung des Inventarrechts. Die
größere Verschiedenartigkeit der Zusammensetzung
zusammeu mit dem Einfluß der Kritik hat dann auch
mehr deutschrechtlichen Gedanken zur Aufnahme
verholfen, so im Gesellschafts- und ehelichen Güter-
recht. Außerdem fanden sich mehr äußerliche Unter-
schiede in Form anderer Gruppierungen (im Erb-
recht Doranstellung des gesetzlichen Erbrechts^ und
im Recht der Schuldverhältuisse) als im ersten Ent-
wurf, dessen allgemeine Einteilung in fünf Bücher
sonst, auch mit der bisherigen Reihenfolge (allge-
meiner Teil, Recht der Schuldverhältnisse, Sachen-,
Familien- und Erbrecht), beibehalten wurde.
Der Entwurf erfuhr innerhalb der Reichstags- ^
kommission und damit auch innerhalb des Reichs-
tagsplenums keine principiellen Abänderungen. Nur
an Einzelbestimmungen wurde aus ethischen oder
socialwirtschaftlichen Gesichtspunkten geändert oder
zugefügt (insbesondere allgemeines Wucher- und j
Schikaueverbot, M. 138 und 226; Zinsfuß 4 statt
5 Proz., §8. 246, 288; Fürsorge für den erkrankten
Dienstboten, §.617', Bekämpfung des Makleruuwe-
sens, besonders der Heiratsvermittelung, Hß. 654-
656;KlaglosigkeitderDifferenzgeschäftc,8.764). Die !
die maßgebenden Parteien trennenden Punkte (Ver-
eins- und Eherecht) wurden durch ein Kompromiß
zwischen Centrum und Nationalliberalen beseitigt ^
und so der Entwurf in: Reichstag 1. Juli 1896 end-
gültig angenommen. Das Gesetz trägt das Datum
des 18. Aug.1896, da es, nachdem ihm der Bundes-
rat zugestimmt hatte, an diesem Tage vom Kaiser
ausgefertigt wurde. In Geltung treten wird das
neue, 238.) Paragraphen zählende Gesetzbuch am
1. Jan. 1900.
Das ganze bürgerliche Recht Teutschlands ist in
dem neuen Gesetzbuch uicht enthalten. Das würde
das Werk politisch zu schwierig gestaltet und darum
unmöglich gemacht haben. Die weitere Vereinheit-
lichung ist der Zukunft vorbehalten. Vor allem
läßt das neue Gesetzbuch die privatrechtlichen Be-
stimmungen der bestehenden Reichsgesetze soweit
wie möglich unberührt, um den Zusammenhang
der letztern und damit ihr Verständnis nicht zu
erschweren, und dann sind Vorbehalte für das
Landesrecht gemacht, teils weil für die betreffen-
den Materien zugleich Maßnahmen des öffentlichen
Rechts erforderlich sind (Bergrecht, Enteignung,
Gemeinheitsteilung, Zusammenlegung der Grund-
stücke, Regulierung der gutsherrlich-bauerüchen Ver-
bältnisse, Ablöfung der Dienstbarkeiten und Real-
lasten), teils weil sie vermöge ihres Zusammen-
hangs mit den örtlichen und wirtschaftlichen Ver-
hältnissen der verschiedenen deutschen Gebiete einer
einheitlichen Bebandlung widerstreben (Familien-
fide'ikommisse, Lehen, staunn- und Rentengut, Erb-
pacht j zum Teili, Anerbenreckt in land- und forst-
wirtschaftliche Grundstücke, Wasscrrecht mit Müh-
len- und Flößereirccht und den Vorschriften zur Be-
förderung der Bewässerung und Entwässerung der
Grundstücke und den Vorschriften über Anlandungen
lAlluvion^, entstehende Inseln und verlassene Fluß-
betten, Deich- und Sielreckt, in der Hauptsache auck
svgl. Einführungsgesetz Art. 69 -72j Jagd- und
Fischerei-, zum Teil auch Gesiuderecht). Verlags-
uud Versicherungsrecht sollen als Nechtsteile, die
jeder für sich ein selbständiges Ganzes darstellen, zum
Gegenstand besonderer Reichsgesetze gemacht werden.
Über weitere Ausnahmen und die Einzelbestim-
mungen vgl. Einführungsgesetz Art. 55-140. Im
allgemeinen gilt aber der Satz (Einführungsgesetz
Art. 55), daß die privatrechtlicken Vestimmuugen des
Landesrechts alle außer Kraft treten. Auf der andern
Seite greift das Bürgert. Gesetzbuch aber in seinen
Wirkungen auch über das eigentliche bürgerliche
Recht hinaus. Es macht eiue Revision des Handels-
gesetzbuchs <s.d.), des Gerichtsverfaffungsgesetzes, der
Civilprozcsi- und Konkursordnung, noch unmittel-
barer eine Grundbuch- und eine einheitliche Sub-
hastationsordnung (Entwurf letzterer 16. März 1896
dem Bundesrat vorgelegt) und eine teilweise Rege-
lung der freiwilligen Gerichtsbarkeit, namentlich in
Sachen des Familien- und Erbrechts, erforderlich.
Diese Gesetze sollen (Einfübrungsge^etz Art. 1) eben-
falls am 1. Jan. 1900 in Geltung treten.
Das Bürgert. Gesetzbuch nebst Einführungsgesetz
ist bereits in zahlreichen Tertausgaben mit Wort-
und Sachregister veröffentlicht worden; kommentierte
Ausgaben besorgten die Redaktion des Reichsgesetz-
buchs für Industrie, Handel und Gewerbe (Berl.
1896), A. Achilles (ebd. 1896), H. Pilz (Lpz. 1896)
und W. Vrandis (ebd. 1896). - Vgl. Sndemann
und Gareis, Einführung in das Studium des Bür-
gerlichen Gesetzbuchs M. 1, Verl. 1896).
Burgörner, Dorf und Gut in: Mansfelder Gc-
birgskreis des prcust. Reg.-Bez. Merscburg, an der
Wipper, hat (1895) 3769 E., Postagenwr, Fern-
sprechverbinduug, 2 evang., 1 kath. Kirche, Ruine
einer Burg <um 1200 erbaut) der Grafen von Mans-
feld, Gedenktafel für Alexander von Humboldt, dessen