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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Cholera
lerabacillus im menschlichen Darmkanal sich außer-
ordentlich stark zu vermehren vermag, während
bei Injektion in den Tierkörper nur eine geringe
Wucherung der Keime stattfindet und der Hauptteil
der Wirkung auf den schon fertig eingeführten Gift-
stoff des Bakterienleibes entfällt; daher genügen zur
Infektion beim Menschen wahrscheinlich schon ver-
einzelte Bacillen, während im Tierexperiment ziem-
lich große Mengen (etwa 200 Mill. Vacillen) ein-
geführt werden müssen, um die tödliche Wirkung zu
erhalten. Wenn sich also hiernach die durch den
Cholerabacillus beim Menschen und bei der künst-
lichen Tierinfektion hervorgerufenen Prozesse nur
teilweise decken, so war es doch andererseits zu weit
gegangen, wenn man, wie dies von einigen Seiten
geschehen, der Cholerainfektion der Meerschweinchen
jeden specifischen Charakter absprach und diesen Pro-
zeß als allgemeine Wirkung von Vakterienprotemcn,
die auch durch andere für den Menschen unschul-
dige Keime zu stände käme, erklärte. Der specififche,
absolut eigenartige Charakter der künstlichen Meer-
schweinchencholera erhellt vielmehr mit Sicherheit
aus den höchst merkwürdigen Erscheinungen der
Immunität, welche die Tiere nach Überstehen mehr-
maliger leichter Cholerainfektioncn für längere Zeit
erwerben; dieser Impfschutz erstreckt sich nämlich nur
gegen eine erneute Cholerainfektion, nicht aber gegen
Einimpfung mit andern, wenn auch in ihren son-
stigen Eigenschaften noch so sehr dem Cholerabacillus
ähnelnden Bakterien. Diese absolut specifische Wir-
kung vollzieht sich, wie man unter dem Mikroskop
unmittelbar verfolgen kann, durch direkte Auflösung
und Vernichtung der in die Bauchhöhle des im-
munisierten Tieres gelangten Choleravibrionen, die
oft schon in wenigen Minuten buchstäblich ver-
schwinden, während andere gleichzeitig eingespritzte
Bakterien ganz intakt bleiben und ungestört ihre
krankheitserregenden Wirkungen entfalten. Durch
Verimpfung des Blutserums solcher immunisierter
Tiere auf andere gesunde können diese ebenfalls
gegen Cholerainfektion geschützt werden. Diese aus-
schließlich auf den Choleraerreger wirkende, bakte-
rientötende Wirkung des Blutserums immunisierter
Meerschweinchen wird nach ihrem Entdecker, Prof.
N. Pfeiffer vom Institut für Infektionskrankheiten
in Berlin, als Pfeiffersche Reaktion bezeichnet
und ist in zahlreichen Versuchen mit stets gleichem
positiven Erfolge nachgeprüft worden; sie dient
gleichzeitig als feinstes Unterscheidungsmerkmal
zwischen dem Choleravibrio und verwandten Arten
und wird daher in besonders schwierigen Fällen der
Choleradiagnose zur Entscheidung herangezogen.
Die Thatsache, daß auch das Blut von Menschen,
die C. überstanden haben und die bekanntlich eben-
falls für längere Zeit gegen eine Neuinfektion ge-
festigt sind, dieselbe specifisch schützende Wirkung
auf Meerschweinchen ausübt, bringt einen neuen
Beweis für die principielle Gleichheit der krankheits-
erregendenWirkung des Cholerabacillus bei mensch-
licher und tierischer Insektion. Vollständig sicher
gestellt ist übrigens die specifische Bedeutung des
Cholerabacillus als Erreger der menschlichen C.
durch den positiven Ausfall der teils unabsichtlich,
teils absichtlich (durch die Selbstinfektionsversuche
von von Pettenkofer und Emmerich) zu stände ge-
kommenen Infektionen von Menschen mit Rein-
kulturen des Cholerabacillus, wobei jede andere Art
der Infektionsmöglichkeit (direkt vom Kranken aus
u. s. w.) absolut ausgeschlossen war; es ist auch be-
Artilcl, die man unter C ver
reits ein Todesfall an solcher zufällig erworbenen
Laboratoriumscholera vorgekommen. - Die
ursächliche Bedeutung des Cholerabacillus als Er-
reger der menschlichen C. steht hiernach fest begrün-
det; sie stützt sich auher auf den positiven Ausfall
des Infektionsergebnisses mit Reinkulturen zunächst
auf die Konstanz des Befundes der Cholerabacillen
in jedem sicher konstatierten echten Cholerafall;,
stets ist nach den Untersuchungen Kochs in den ver-
schiedensten Weltteilen, in den verschiedensten Jah-
ren in jedem echten Cholerafall der Nachweis der
Bacillen gelungen. Andererseits sind die Cholera-
bacillen nie beim Gesunden oder bei einer andere
Krankheit gefunden worden; nur in Zeiten von.
Choleraepidemien werden dieselben öfters auch im
Darm scheinbar gesunder Personen gefunden, die
mit notorischen Cholerakranken in Berührung ge-
kommen sind (Angehörige u. s. w.), und die durch"
ihre größere individuelle Immunität vor ernsterer
Erkrankung, abgesehen von leichten Dv.rchMen,
geschützt sind; diese Personen können aber nach-
weislich, ebenso wie schwer Erkrankte, zu neuen
schweren Infektionen bei andern Personen Veran-
lassung geben und sind daher praktisch als mindestens
ebenso gefährlich wie ausgebildete Cbolerafälle anzu-
sehen. Mit vollem Recht wird daher der positive
bakteriologische Befund als Kriterium dafür ange-
sehen, ob C. vorliegt oder nicht, ganz unbekümmert
um die Schwere der klinischen Symptome. Der
Wert der rechtzeitigen Feststellung auch der ver-
steckten Fälle, die sonst leicht der Sauitätspolizci ent-
gehen und oft gerade die weiteste Verbreitung der
Seuche bedingen, für die Choleraprophylaxe ist gar
nicht hoch genug anzuschlagen.
Die eigentliche Heimat des Cholerabacillus ist
Ostindien, wo die C. in einigen Bezirken, besonders
im Gangesdelta, endemisch ist; von dort aus kann
derselbe überallhin verschleppt werden. Seither ist
in der That kaum ein Land von der C. verschont ge-
blieben; nur verkehrsarme Orte im Hochgebirge und
in der arktischen Zone sowie einige Länder, die von
Indien aus nur durch lange Seereisen zu erreichen
sind, machen eine Ausnahme. Jede außerhalb In-
diens vorkommende Epidemie ist thatsächlich auf
eine Einschleppung zurückzuführen; autochthone Ent-
stehungen im Lande selbst kommen nicht vor. Für
einige Zeit vermag sich allerdings der Cholerakeim
in der verseuchten Gegend, z. V. in Flüssen, Teichen
u. s. w., lebend zu erhalten und kann so gelegentlich
nach scheinbarem Ablauf einer Epidemie einen ueuen
Ausbruch veranlassen; nach längerer Zeit jedoch
stirbt er ab, und es bedarf zum Wiedererscheinen der
C. einer neuen Einschleppuug. Daß dies wenigstens
für Europa zutrifft, spricht sich jedesmal sehr deut-
lich im Fortschreiten der Epidemien auf dem Land-
wege von Osten nach Westen, oder von der Meeres-
küste ins Innere aus.
In welcher Weise sich nun nach der einmal er-
folgten Einschleppung der Cholerakeim von Fall zu
Fall verbreitet und so eine Epidemie entstehen läßt,
darüber haben die Ansichten im Laufe der Zeit, be-
sonders nach der Entdeckung der Natur und der
Lebensbedingungen des Choleraerregers, bedeu-
tende Wandlungen erlitten. Vor der Entdeckung
des Cbolerabacillus war über die epidemiologischen
Verhältnisse der C. die Ansicht von Pettenkofers die
herrschende. Nach dieser sog. lokalistisch en Lebr e,
welche etwa von 185^ an datiert, wurde die Mög-
lichkeit einer direkten Ansteckung von Fall zu Fall
mißt, sind unter K aufzusuchen.