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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gewerkvereine
denen Titeln etwa 73000 M. ausgegeben. Nach dem
Bericht des Centtalrats der deutschen G. betrug
Ende 1895 das Verbandsvcrmögen (das Vermögen
der einzelnen G. nicht inbegrisfen) 03862,8? M.
Vei den socialdemokratischen Gewerkschaften
tritt das Unterstützungswesen noch sehr zurück', ihr
Vermögen ist zumeist nicht ansehnlich und der Mit-
gliederwechsel vielfach beträchtlich. Dafür sind sie
aber sehr energisch in der Vertretung der Interessen
der Arbeiterschaft. 1894 zählte man 54 Central-
vcrbände und 4 durch Vertrauensmänner centra-
lisierte Organisationen, daneben noch eine Reihe
von Lokalvereinen. Die Mitgliedcrzahl aller dieser
G. wird 1894 auf etwa 250000 zu schätzen sein.
Für das einheitliche Wirken kommen in Betracht
(neben der Organisation ganzer Gewcrbszweige in
den schon erwähnten Verbänden) die auf 1889 zurück-
gehende Gründung von Gewerkschaftskartellen (Ge-
werkschaftskommissionen u.s. w.), welche dieG. einer
Stadt verbinden, und die Generalkommission
der Gewerkschaften Deutschlands. 1890 fand zu Ber-
lin eine Konferenz der Gewerkschaftsvorstände statt,
bei welcher die Generalkommission eingesetzt wurde.
Auf dem Gewerkschaftskongreß zu Halbcrstadt 1892
wurde aber aus den Obliegenheiten der Kommission
die ihr seiner Zeit zugewiesene Unterstützung von Ab-
wehrstreiks wieder beseitigt und ihr nur eine Wirk-
samkeit für die Agitation, die Statistik, die Heraus-
gabe eines Korrespondcnzblattes und die Pflege inter-
nationaler Beziehungen zugewiesen. Im Mai 1896
tagte ein zweiter Gewerkschaftskongreß in Berlin.
Was die Gcwer kschafts presse in Deutschland
anlangt, so bestanden im April 1896: 1 dreimal
wöchentlich erscheinendes Blatt, 27 einmal wöchent-
lich, 19 alle 14 Tage, 1 alle drei Wochen und 2 alle
Monate erscheinende Blätter.
InAsterreich werden von gewerkschaftlicher Seite
selbst für 1893 etwa 50000, für Ende 1895: 88826
organisierte Arbeiter in 730 Organisationen ange-
geben, zu welchen noch etwa 2000 Mitglieder der 20
Organisationen kommen, welche die von der Gewerk-
schaftskommission versandten Fragebogen nicht be-
antwortet hatten. Ordnet man die Verufsgruppen
nach dem Verhältnis der organisierten Arbeiter zur
Gesamtheit, so ergiebt sich folgende Tabelle:

Organisierte Arbeiter
Bibliotheken

Verufsgruppen
Ve-chäftigte




Arbeiter





ber
HZ
N
V

"52


in Fl.
Polygraphische Gewerbe Eisenbahn- und Trans-portbedicnstete . . .
21375
8 258
38,77
1950
16400
122 318
17851
14,60
unbe
annt
Industrie der Steine





und Erden ....
119 974
7 591
6,33
2 558
3 009
Eisen- und Mclattver






arbeilnnsl ....

246 023
14 867
6,04
12177
12452
Berg- u. Hüttenwcsei

139 769
7710
5,50
15 951
1322

287 283
719
5,32
420

Industrie der Holz- u






Schnihstoffe . . .

163 400
6 673
4,03
6177
5 357
Piyier- und Leder






industrie ....

57 411
2 070
3,60
1251
1629
Sonstige Gewerbe .

123 693
3 357
2,71
3 706
3 004
Baugewerbe ....

252 900
3 251
1,68
3 793
3551
Textilindustrie . . .

399 938
6 265
1,56
2 934
3 089
Chemische Industrie

19 312
281
1,45
1 185
798
Bekleidungsindustrie

383 339
6614
1,07
4 453
3 361
Industrie der Nah-





rungsmittel ....
317 600
3 319
1,04
1915
3124
Zusammen ^2 654 335^86 626 j 3,3" ,5^470 62646
Relativ am stärksten ist die Organisation bei den
graphischen Gewerben vorgeschritten; nach der Be-
rechnung wären im allgemeinen jedoch nur 1,35 Proz.
der industriellen Arbeiter beiderlei Geschlechts orga-
nisiert. Als Centralvertretung der Gewerkschaften,
Fach- und Bildungsvereine besteht in Wien die Ge-
werkschaftskommission Österreichs.
In Frankreich unterstchen dieArbeitergewerk-
und Fachvereine nach wie vor dem Gesetz vom
21. März 1884 über die gewerblichen Syndikate.
Man zählte dort 1. Juli 1894: 2178 Arbeitersyndi-
kate mit 408 025 Mitgliedern, und außerdem sind
die Arbeiter an den sog. gemischten Syndikaten, die
aus Arbeitern und Unternehmern bestehen, beteiligt,
welche jedoch nur in der geringen Anzahl von 177
mit 29124 Mitgliedern vorhanden waren. Haupt-
sitze der Arbeitersyndikate sind Paris mit 313, Lyon
mit 118, Marseille mit 90, Toulouse mit 74, Bor-
deaux mit (>5 u. s. f. Verbünde von Arbeitersyndi-
katcn bestanden in der Anzahl von 73; außerdem
tonnen die sog. Arbeitsbörsen <s. Arbeitsnachweis),
1894 in der Anzahl von 34, als Vereinigungen von
Arbcitersyndikaten gelten. Von den Arbeitersyndi-
katen gewährten 108 Reiseunterstützung, 69 Ar-
beitslosenunterstützung, 229 unterhielten Kranken-
kassen, 315 pflegten den Arbeitsnachweis; die Zahl
jener, die Altersvcrsorgungsanstalten, Konsumver-
eine, Kreditgenossenschaften u. s. w. gründeten oder
unterhalten, ist gering. Die Arbeitersyndikate neh-
men in bobem Maße Anteil an der polit. Bewegung
in socialistischer Richtung und leiden unter der Spal-
tung der socialistischen Parteien in Frankreich, wes-
halb es an Reibungen unter ihnen und Errichtung
konkurrierender Verbände nicht fehlt, was die ge-
ringe Mitgliederzahl vieler Syndikate mit erklärt.
Im öffentlichen Leben wird ihnen viel Beachtung
geschenkt, und im Frühjahr 1894 siel das Ministe-
rium Casimir-Perier, welches den Angestellten der
staatlichen Behörden das Recht bestritt, sich zu einem
Syndikat zu verbinden, über diese Frage, indem die
Kammer im gegenteiligen Sinne entschied. In Zu-
sammenhang mit dieser Rolle der Syndikate im polit.
Leben steht es, wenn Änderungen an den gesetzlichen
Bestimmungen über dieselben vielfach die gesetz-
gebenden Körper beschäftigen, wenngleich es wegen
der Unbeständigkeit der Regierungen und wegen der
ständigen Meinungsverschiedenheit zwischen der mehr
radikalen Kammer und dem mehr konservativen Senat
nicht leicht zu einer wirklichen Aktion kommt und kom-
mendürfte. Fragen, die schon lange diskutiert werden,
sind beispielsweise die Erlassung von Strafbestim-
mungcn gegen Arbeitgeber, welche das Verhalten
von Arbeitern gegenüber den Syndikaten beein-
flussen durch Androhung von Entlassung u. s. w.
(Gesetzantrag Bovier Lapicrre), Änderung des Art. 2
des Syndikatsgesetzes, welcherdie Syndikate ausPer-
sonen bestehen läßt, die dasselbe oder ein verwandtes
Gcwcrbc betreiben, durch die Zulassung von Perso-
nen, welche den betreffenden Gewerben nicht mehr
angehören oder nie angehört haben, u. a. m.
InItalien erweist sich als wichtig für die Organi-
sation des Arbcitcrstandes die Errichtung von sog.
Arbeitskammern ((^in6i-6 dei I^voro) in ver-
schiedenen Städten Mailand 1891, Bologna 1893,
Florenz 1893, Rom 1893, Neapel 1894u. a.m.), welche
regelmäßig dazu bestimmt erscheinen, sowohl die Ar-
beitcrvcrbändc ihres Bezirkes als auch unorgani-
sierte Arbeiter zu einer gemeinsamen Vertretung der
ökonomischen und geistigen Interessen der Arbeiter-