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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Handwerkerfrage (Handwerksminister. Gefängnisarbeit. Bauhandwerker u. s. w.)
Vuchbinderarbeiten, deren die Eisenbahnen bedürfen,
vermeidet auch die Anwendung von Maschinen. In
Preußen hat eine Verfügung vom 7. Okt. 1895 die
Gefängnisarbeit auf Strickmaschinen eingeschränkt
und eine andere empfohlen, daß die Gefängnisver-
waltung selbst Abnehmerin der von Gefangenen her-
gestellten Webwaren würde, liberall wird nach einer
Mitteilung des Iustizmiuisters im Abgeordneten-
bause dahin gestrebt, daß die Gefängnisse sich mög-
lichst derjenigen Industrien enthalten, die in der
nähern Umgebung hauptsächlich Gegenstand des
Kleingewerbes und der Hausindustrie sind. Endlich
bemüht man sich nach einer Verordnung vom 14. Jan.
1895, die Gefangenen häufiger bei landwirtschaft-
lichen Meliorationen zu beschäftigen und sie dem
Unternehmerbetriebe zu entziehen.
Sicherung der Bauhandwerker. Wie man sich in
den Kreisen der Handwerker zur Sicherung der Bau-
handwerker stellt, beweist die im Nov. 1895 ergangene
Petition des Innungsverbandes deutscher Bauge-
werksmeister. Sie will Maßregeln vermeiden, die
durch Erschütterung des Grundkredits oder Er-
schwerung der Bauerlaubnis von der Bauthätigkeit
abschrecken würde. Aber sie verlangt dennoch bei
Geltendmachung der Ansprüche ein Vorzugsrecht der
Vauhandwerker vor Kaufgelderforderungen, soweit
sie den reellen Wert übersteigen, und gewisse Pfand-
rechte sowie Schutz gegen betrügerische Machen-
schaften. Seitens des Centralausschusses vereinigter
Innuugsverbände Deutschlands ist im Jan. 1896 den
Staatsregierungen vorgeschlagen worden, Sachver-
ständigenkommissionen zu ernennen, zu denen auch
bewährte praktische Handwerksmeister zuzuziehen
wären, um die für Regelung des Submissionswesens
sowohl als auch zur Bekämpfung des Bauschwindels
laut gewordenen Abhilfmahregeln zu begutachten.
Der Reichstag, der 23. Jan. 1896 über Antrüge zur
Sicherung der Vauhandwerker zu beraten hatte, hat
eine abwartende Haltung eingenommen. Die
deutfchsociale Reformpartei verlangt ein gesetzliches
Vorrecht vor sämtlichen Hypotheken, die national'
liberale Partei ein gesetzliches Pfandrecht in der
Weise, daß vor Beginn und nach Schluß der Bau-
arbeiten eine gerichtliche Schützung erfolgt und die
Differenz als Hypothek eingetragen wird. Eine
Einigung wurde nur darin erzielt, daß man die Re-
gierung zu ersuchen beschloß, einen Gesetzentwurf
vorzulegen, durch den die Bauhandwerker und Bau-
arbeiter für ihre aus Arbeiten und Lieferungen an
Neu- und Umbauten erwachsenen Forderungen ge-
sichert werden. Für Preußen hat diese Anregung
schon etwas weiter geführt,indem das Abgeordneten-
haus 18. Mai 1896 einen Antrag angenommen hat,
betreffend die Einführung von Ortsstatuten zur Si-
cherstellung der Forderungen für Lieferungen und
Arbeiten bei Bauten. Es sollen Bauschöfsenämter
gebildet werden, bestehend aus einem von der Ge-
meinde anzustellenden besoldeten Gemeindebeamten
als Vorsitzendem und einigen aus der Zahl der Ge-
meindemitglieder durch die Gemeindevertretung zu
wählenden Vauschöfsen; diese Amter haben alsdann
über die Zahlungsfähigkeit oder Zuverlässigkeit des
Bauherrn Ermittelungen anzustellen und event,
von ihm für die Forderungen der Vauhandwerker
Sicherheit stellen zu lassen. Von ihrer Zustimmung
soll die baupolizeiliche Genehmigung eines Neu-
oder Umbaues durch die Polizeibehörde abhängen.
Submissionswesen. Eine erneute Regelung des
Submissionswesens hat der Evangelische Handwer^
gelegenheiten und die Abänderung des Statuts vor-
behalten sind. Ein anderer Entwurf, wie er im
Reicksamt des Innern aufgestellt worden ist, sucht
eine allgemeine Vertretung des Handwerks in der
Form von Kammern durchzuführen. Zu diesen
Kammern wählen alle mindestens 30 I. alten
Personen, die seit mindestens einem Jahre im Be-
zirk der Kammer ein Handwerk selbständig betreiben.
Ihnen liegt ob: 1) bei der Organisation des Hand-
werks mitzuwirken; 2) über den den Handwerks-
kammern zu gebenden Unterbau sich gutachtlich zu
äußern; 3) die Staats- und Gemeindebehörden in
der Förderung des Handwerks zu unterstützen;
4) Jahresberichte über ihre Thätigkeit und über ihre
die Verhältnisse des Handwerks betreffende Wahr-
nehmungen zu erstatten; 5) Wünsche und Anträge,
die das Handwerk berühren, zu beraten und den
Behörden vorzulegen. Bemerkenswert ist, daß sach-
verständige, um das Handwerk verdiente NichtHand-
werker Mitglieder der Kammern werden können.
Handwerksminister. Neu aufgetaucht ist seit dem
Halleschcn Handwerkertage die Forderung eines
Handwerksministers. Man hofft, durch diesen bei
der Regierung größeres Verständnis für die Lage des
Handwerks hervorbringen zu können. Die Landwirt-
schaft, der Handel, die Justiz, der Unterricht haben
ihre Specialminister - so sollte das Handwerk, das
so viele Menschen beschäftigt, auch einen eigenen
Vertreter haben. Richtig ist es ja, daß das Ressort
des Ministers für Handel und Gewerbe ein sehr
großes ist. Ob aber eine Trennung der beiden Ge-
biete sich bequem bewerkstelligen ließe, ist doch in
hohem Grade fraglich.
Gefangnisarbeit. Unter der Konkurrenz der Ge-
fängnisarbeit haben unzweifelhaft einige Zweige des
Handwerks noch immer zu leiden. Dahin gehören
Schuhmacher, Schneider, Korbmacher, Bürsten-
macher, Tischler. Neuerdings werden auch Druck-
sachen verschiedener Art in Gefängnissen hergestellt.
Auch Maschinenstrickerei und Spinnerei sind in den
Anstalten weit verbreitet. Es kommt auch vor
(Hessen-Nassau, Württemberg), daß die sämtlichen
Anstaltsinsassen einer einzigen Firma zu niedrigem
Tagelohn zur Verfügung gestellt werden. Selbstver-
ständlich liegt in solcher Verdingung wohlfeiler Ar-
beitskräfte an Privatunternehmer für das Kleinge-
werbe ein empfindlicher Schaden. Das Unternehmer-
tum wird großgezogen, und die nach dem Princip
der Arbeitsteilung auf irgend eine Specialität ein-
geübten Gefangenen haben bei ihrer dereinstigen
Entlassung es überdies recht schwer, in ihrem Fache
Arbeit zu finden. Dem gegenüber muß daran fest-
gehalten werden, daß für die Eingekerkerten die
Arbeit ein unentbehrliches Zucht- und Vesserunqs-
mittel ist und die dummen, die das Gefängniswesen
kostet, so bedeutend sind, daß ihre Verminderung
wünschenswert ist. Diese aber wird erreicht, indem
man den Gefangenen zwingt, durch seine Thätigkeit
wenigstens einen Teil seines Unterhalts zu bestreiten.
Übrigens nehmen die Regierungen doch, soweit sie
in der Lage sind, auf die von den Handwerkern er-
hobenen Proteste gegen die gewerbliche Beschäftigung
der Strafgefangenen Rücksicht. In Bayern ist
neuerdings der Grundsatz aufgestellt, daß die An-
zahl der in einem Handwerkszweige beschäftigten
Strafgefangenen 3 Proz. der sämtlichen freien
Arbeiter dieses Gewerbes nicht übersteigen soll. In
Württemberg läßt man die Zuchthäusler für den
Staatsbedarf thätig sein, beschäftigt sie z. B. mit