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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Pädagogik

unterricht hinzu; am Ende des 15. Jahrh. gehörte ein humanistisch gebildeter Erzieher an jeden Fürsten- und größern Adelshof. Gleichzeitig wurde aber auch die Theorie dieser neuen Erziehung ausgebildet, auch sie in Anlehnung an die Alten, vor allem an Quintilian; ihre Hauptvertreter sind P. P. Vergerius, Mapheus Vegius, Äneas Sylvius und Battista Guarini der Jüngere. Durch die Reformkonzilien kam der Humanismus auch nach Deutschland und gewann hier in Rudolf Agricola eine Persönlichkeit, in deren harmonischer Natur er Geist und Leben war. Aber auf deutschem Boden war darum der Humanismus doch ein fremdes und künstliches Gewächs, und so fällt bald genug derHauptaccent auf das Aneignen dieses Fremden, auf Lernen und Wissen. Daher gewinnt er auch vor allem Boden auf Universitäten und Schulen und nimmt alsbald eine gelehrte und schulmäßige Wendung. Unter den Universitäten sind es zuerst die neugegründeten, die ihn recipieren, die ältern folgen zögernd und oft unter heftigen Kämpfen nach; allmählich erobern aber die "Poeten" überall einen oder mehrere Lehrstühle für klassische Philologie. Zuerst am Niederrhein drang er dann auch in die Schulen der Hieronymianer ein; besonders bekannt ist die Fraterherrnschule zu Lüttich, in Deventer lehrte Alexander Hegius, in Münster in Westfalen Johann Murmellius. Aus diesen Kreisen ging auch Erasmus hervor, der feinste Gelehrte unter den Humanisten und ein hervorragender Theoretiker der P.; das Wort rerum cognitio potior, verborum prior stammt von ihm. An den Oberrhein brachte der Westfale Dringenberg den niederdeutschen Humanismus und begründete in Schlettstadt eine berühmte Schule; einer ihrer Schüler war Wimpheling, der in Straßburg den Humanismus mit deutschnationalen Ideen verband und in seiner "Germania" den Plan zu einer großen humanistischen Lehranstalt entwickelte. Das Ziel aller dieser Schulen war die Verdrängung des scholastischen Lateins, das die Humanisten um Reuchlin in den "Epistolae virorum obscurorum" so geistreich verhöhnten, die Beseitigung des Doctrinale, die Kunst der lat. Rede, für die man sich immer ausschließlicher Cicero zum Vorbild nahm, und die Aufnahme des Griechischen in den Kreis der Unterrichtsfächer. Die Theoretiker verlangten eine humanere Behandlung der Kinder, denen das Lernen

angenehm gemacht werden müsse.

Im J. 1517 hatte der Humanismus auf der ganzen Linie gesiegt; da kam die Reformation, und nun schien es einen Augenblick, als ob vor dieser volkstümlichen religiösen Bewegung der aristokratische Humanismus die Waffen strecken müsse und das von ihm gegründete, vielfach noch an die alte Kirche sich anlehnende Schulwesen einem raschen Untergang verfallen sei. Allein nun nahm sich die Reformation selbst der Sache an, und mit seiner starken Stimme forderte Luther in seinem Sendschreiben an die Bürgermeister und Ratsherren aller Städte Deutschlands (1524) die weltliche Obrigkeit auf, daß sie christl. Schulen aufrichten sollten. Er dachte dabei an alles Volk in Stadt und Land, betonte aber zugleich auch das Mittel der Sprachen für das Evangelium so energisch, daß die allgemeine Volksschule noch einmal unausgeführt blieb und es nur zur Einrichtung prot. Gelehrtenschulen kam. So entstand die Verbindung der Reformation mit dem Humanismus, als deren Vertreter vor allem Melanchthon, der Praeceptor Germaniae, zu nennen ist. Die älteste dieser Neugründungen ist die Stadtschule zu Magdeburg (1524), die bekannteste das prot. Gymnasium zu Straßburg (1538), dessen gefeierter Schulrektor Johannes Sturm eine typische und vorbildliche Persönlichkeit geworden ist. Sein Ziel war die sapiens atque eloquens pietas, doch lag der Ton fast ausschließlich auf der eloquentia, und daher verengte sich der humanistische Gedanke einer neuen Bildung unter seinen Händen mehr und mehr zu einem Virtuosentum mit einseitiger Betonung des Formalen. Andere Rektoren gaben an ihren Anstalten den Realien (der sapientia oder eruditio) mehr Raum als Sturm, so Neander in Ilfeld und Wolf in Augsburg. Besonders bedeutsam aber war, daß neben einzelnen Städten nun auch die Regierungen prot. Länder die Organisation des Schulwesens auf humanistischer Grundlage für ihr ganzes Gebiet in Angriff nahmen und so ein an die Landeskirchen sich anlehnendes Landesschulwesen entstand. Den Anfang hatte schon Melanchthon durch das Visitationsbüchlein für Kursachsen gemacht, das trefflichste Schulgesetz jener Zeit aber war die württemb. Schulordnung von 1559, an die sich Braunschweig 1569, Kursachsen 1580 eng anschloß. Hier wird die Verstaatlichung des Schulwesens zum erstenmal mit klarem Bewußtsein und ausdrücklicher Begründung durchgeführt und die deutschen Schulen in den Dörfern und die lat. Partikularschulen in den Städten in einem Rahmen zusammengefaßt.

Auf kath. Seite, wo der Spanier Ludwig Vives der bedeutendste Theoretiker ist, bemächtigte sich der Jesuitenorden des höhern Unterrichtswesens; in der sorgfältig vorbereiteten Ratio studiorum von 1599 sind die Bestimmungen über Unterricht und Erziehung an den Jesuitenkollegien kodifiziert; diese Ratio hat sich bis 1832 im wesentlichen unverändert erhalten und gilt auch jetzt noch in allen Hauptzügen als maßgebend für den Jesuitenunterricht. Ziel und Methode ist im großen Ganzen humanistisch; aber weil den Jesuiten der Humanismus doch nur Mittel ist für ihre kirchlichen Zwecke, so stehen sie innerlich dem Geiste des klassischen Altertums fremd gegenüber, und so hat sich unter ihren Händen der Unterrichtsbetrieb der alten Sprachen rasch wieder dem unfrei scholastischen angenähert, namentlich ihr Latein nahm statt der klassischen die kirchlich scholastische Farbe an, und ebenso haben sie dem Geiste ihrer Ethik gemäß die humanistische Betonung der Aemulatio stark übertrieben und unethisch verzerrt.

III. Übergangszeit. Seit dem Ende des 16. Jahrh. beginnt der Niedergang des humanistischen Schulwesens; es werden Stimmen Unzufriedener laut, an der Langeweile und Unfruchtbarkeit des immer formalistischer und leerer werdenden Unterrichts wird scharfe Kritik geübt, vor allem vermißt man die Pflege der Muttersprache, teilweise auch schon den Unterricht in Realien; andere weisen auf das Ungenügende der religiösen Erziehung und Unterweisung hin. Der Dreißigjährige Krieg wirkt dann vollends verheerend, geradezu vernichtend. Doch treten gerade während des Krieges auch Reformversuche und Anstöße zu einem Neuen hervor. Seit 1612 verspricht Wolfgang Ratke (Ratichius) eine Methode, wie die Sprachen in kurzer Zeit leicht zu lernen seien, und erregt dadurch allgemeines Aufsehen und große Erwartungen. Der Versuch, den er mit seiner Methode in Cöthen in großem Stil machen