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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Streik
laubnis teilgenommen hatten, eine Strafe auferlegt
wurde; die Arbeiter forderten 30 M. statt 27 M.
Wochenlohn bei 9- statt 9^ stündiger Arbeit; ver-
stärkt wurde der S. noch durch den Boycott, den
die socialdemokratische Partei über sieben, später
über alle dem Verein der Brauereien Berlins an-
gehörigen Brauereien verhängte. Bei dem Friedens-
schlüsse 24. Dez. 1894 wurde von den Brauereien
versprochen, einen Arbeitsnachweis einzurichten;
es gelang den Arbeitern aber nicht, die sichere
Wiedereinstellung der entlassenen Arbeiter zu er-
langen. Die Opfer für die Streikenden waren sehr
bedeutende. (S. Boycotten.)
Umfassender als seit vielen Jahren ist die Streik-
bewegung von 1896 gewesen. Die Zahl der Ar-
beiter, die in diesem Jahre ausständig waren, wird
auf 200000 geschätzt. Namentlich ist der große S.
der Konfektionsarbeiter in Berlin zu verzeichnen.
Die Forderungen der Arbeiter und Arbeiterinnen
der Konfektionsbranche richteten sich nicht so sehr auf
Lohnerhöhung und Lohntarisierung, als vielmehr
auf Änderung der Betriebsweise, d. b. sie waren
gegen das sog. Sweatingsystem ls. d., Bd. 15) und
gegen die Zwischenmeister (s. d.) gerichtet. An
Stelle des Zwischenmeistersystems und an Stelle der
Hausarbeit sollten Betriebswerkstätten gesetzt wer-
den, um die Anwendung
mungen zu ermöglichen. Am 20. Jan. 1896 fanden
mehrere Versammlungen statt, in denen beschlossen
wurde, diese Forderungen den Unternehmern zu
übersenden; als die Forderungen bis zum bestimm-
ten Termin nicht bewilligt waren, wurde 10. Febr.
in 14 großen Versammlungen der S. proklamiert;
auch 1500 Zwischenmeister hatten sich für den S.
erklärt. Der S. wurde durch Vermittelung des als
Einigungsamt fungierenden Berliner Schiedsge-
richts beigelegt. Der Vergleich vom 19. Febr. brachte
für die Herrenkonfektion das Resultat, das; die Kon-
fektionäre einen 12^prozentigen Lohnzuschlag auf
alle vor dem S. gezahlten Lohnsätze bewilligten;
außerdem wurde auch ein Minimallohntarif festge-
stellt. Für die Damenkonfektion ist durch Vergleich
zwischen der Vertretung der Konfektionäre und der
Lohnkommission verabredet worden: auf die bisher
gezahlten Löhne bis zu 1M. 75 Pf. follen sowohl die
Zwischenmeistcr als die Arbeiterinnen einen Zuschlag
von 30 Proz. erhalten, von 1 M. 80 Pf. bis 4 M.
20 Proz., von 4 M. 10 Pf. bis 8 M. 15 Proz., von
8 bis 10 M. 10 Proz. Zuschlag. Wochenlobnarbeiter
erhalten 10 Proz. Zuschlag. Die Aufstellung eines
Minimallohntarifs wurde jedoch abgelehnt, und
nach der Beendigung der Saisonarbeiten hielten sich
eine grohe Anzahl von Arbeitgebern nicht mehr an
den Vergleich gebunden.
Im April 1896 wurde der große Tertilarbeiter-
ftreik, der lange Zeit in dem Mittelpunkte der Lau-
sitzer Textilindustrie, in Cottbus, geherrscht hatte,
beendet: etwa 5-6000 Arbeiter waren beteiligt.
Die Einigung beruhte auf einem Kompromiß zwischen
den Fabrikanten und Arbeitern, deren Forderungen
teilweise erfüllt wurden.
Seit 8. Juli 1896 hatten die städtischen Hafen-
arbeiter in Frankfurt a. M. einen S. begonnen;
er wurde zu Ungunsten der Arbeiter beendigt.
Am 21. Nov. 1896 brach in Hamburg ein Hafen-
arbeiterstreik aus, einer der größten und heftigsten,
die seit langer Zeit in Deutschland vorgekommen
sind. In der ersten Woche belief sich die Zahl der
streikenden Arbeiter bereits auf über 10000, wovon
6000 Verheiratete; es waren Schauerleute, Ewer-
führer, Speicher-, Quai-, Kohlenarbeiter, Schiffs-
mate u. s. f. Die Ursache des S. lag namentlich
in Lohnforderungen, die von feiten der Arbeiter
gestellt und von den Arbeitgebern nicht bewilligt
wurden. Die Schauerleute, die bisher einen Tage-
lohn von 4,20 M. hatten, verlangten 5 M. pro Tag;
für Nachtarbeit forderten sie 6 M., während sie bis-
her 5,40 M. erhalten hatten. Hierbei ist zu be-
merken, dah die Schauerleute keine regelmäßige
Arbeit haben, also einen Teil des Jahres arbeitslos
sind. Ferner verlangten sie eine andere Berech-
nung der Arbeitszeit; diese wird jetzt gerechnet von
6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends mit halbstündiger
Frühstücks- und anderthalbstündiger Mittagspause;
in Zukunft fordern sie, daß diese Arbeitszeit ge-
rechnet werde von Stadt zu Stadt, d. h. daß ihnen
eine Fahrgelegenheit gegeben werde, mit der sie vom
Lande abgeholt und wieder nach dem Lande gefahren
werden sollen. Anßerdem beanspruchten sie eine
andere Art von Lohnauszahlung, nämlich das
sog. Ticketsystem, d. h. daß ihnen, sobald die Arbeit
beendigt ist, wofür sie angenommen wurden, auf
Grund einer Lohnanweisung ihr Geld sofort aus-
gezahlt werden follte. Die Ewerführer verlangten
Verkürzung ihrer Arbeitszeit, die bisher von 5^ Uhr
morgens bis 7 Uhr abends dauerte oder, wenn dies
nicht möglich, höhere Bezahlung für die überstunden;
sie erhielten 4 M. Tagelohn; sie forderten 4,50 M.
Für überstunden, die mit 35 Pf. für die erste, mit
45 Pf. für die folgenden bezahlt wurden, verlangten
sie 50 Pf. Als den Arbeitern die Forderungen nicht
bewilligt wurden, brach der S. aus. Am 1. Dez. mach-
ten hochgestellte Hamburger Bürger den Vorschlag
auf Einsetzung eines Schiedsgerichts zur Beilegung
der Differenzen. Das Schiedsgericht sollte bestehen
aus den Herren, die ihre Vermittelung angeboten
hatten, aus einem Vertreter der Arbeitgeber und vier
seitens der Arbeiter zu wählenden Personen. Der
Vorschlag wurde von den Streikenden in zwei großen
Versammlungen einstimmig angenommen, dagegen
vom Arbcitgebcroerband abgelehnt. Als Antwort
auf den Beschluß dcr Arbeitgeber hatten die Arbeiter
den Generalstreik sämtlicher am Hafen beschäftigten
Personen proklamiert. Am 4. Dez. stellten deshalb
auch die am ^taatsquai beschäftigten Arbeiter (etwa
1700) fast sämtlich die Arbeit ein. Weitere Vermit-
telungsversuche verliefen ebenfalls refultatlos. Da
aber die Witterungsverhältnisse für die Schiffahrt
ungünstig waren und genügender Zuzug von Ersatz-
leuten stattfand, fo endigte der S. 6. Febr. 1897
mit einer völligen Niederlage der Arbeiter. Er hatte
11 Wochen gedauert und etwa 1^ Mill. M. ge-
kostet. Die Verluste der Arbeitgeber werden an-
nähernd auf 50-60 Mill. M. berechnet. Eine Prü-
fung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse wurde sofort
nach Beendigung des S. in Angriff genommen und
eine Lohnerhöhung zunächst für die Seeleute be-
schlossen. Im Gegensatz zum Hamburger S. wurde
der fast gleichzeitig begonnene S. der Hasenarbeiter
in Bremen <25. Nov. bis 2. Dez. 1896) binnen
einer Woche beendigt mit Hilfe des als Einigungs-
amt fungierenden Gcwerbegerichts. Von feiten der
Arbeitgeber wurde eine Lohnerhöhung und Ver-
sprechungen betreffs Wiedereinstellung der streiken-
den Arbeiter gewährt.
Ost erreich. Über die Zahl der S. in Osterreich
während der Jahre 1891-95 giebt folgende Tabelle
Auskunft:
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