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Merck's Warenlexikon

Autorenkollektiv, Verlag von G. A. Gloeckner, Leipzig, Dritte Auflage, 1884

Beschreibung der im Handel vorkommenden Natur- und Kunsterzeugnisse unter besonderer Berücksichtigung der chemisch-technischen und anderer Fabrikate, der Droguen- und Farbewaren, der Kolonialwaren, der Landesprodukte, der Material- und Mineralwaren.

Schlagworte auf dieser Seite: Haare; Haargewebe

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Haare - Haargewebe

H.

Haare (frz. cheveux, engl. hair). Die H. verschiedner Tierarten, welche für sich als Ware in Betracht kommen, wie vom Biber, Hasen, Kaninchen, Roß, Ziegen etc. sind an den betreffenden Stellen zur Sprache gebracht, sodaß hier nur von dem Artikel Menschenhaare oder vielmehr Frauenhaare die Rede ist. Es werden aus solchen H. bekanntlich allerhand hübsche Flechtarbeiten gefertigt, doch ist der Stoffverbrauch hierzu im Verhältnis zum Ganzen unbedeutend. Die meisten H. dienen dazu, auf andre Köpfe verpflanzt zu werden, und es ist das Tragen fremder H. ein uralter Gebrauch, sei es um dadurch wirkliche Blößen zu bedecken oder nur eine größere Fülle zur Schau zu tragen, als die Natur sie gab. Zum Verkauf der eignen H. vom Kopfe weg entschließen sich erklärlich nur arme junge Mädchen und Frauen, zumal von der Landbevölkerung. Jüdische und andre Landgänger und Hausierer machen es sich zum Geschäft, die Ware aus erster Hand beizutreiben und weiter zu verhandeln. In Deutschland ist dieses Einkaufsgeschäft besonders in Schwaben, den Rheingegenden, in Thüringen, Hessen, Westfalen, der Altmark etc. etwas Gewöhnliches. Dänemark, Schweden und Norwegen liefern schönes blondes H.; starke Sendungen geringerer Ware kommen aus Rußland und den nördlichen preußischen Häfen. In Frankreich liefert das beste H. die Normandie. Auch Brabant liefert schönes H. von besondrer Länge. Im allgemeinen liefern die nördlichen Länder die meiste und beste Ware, vorzüglich blonde. Für die Wertstufe der H. sind die Farbe und Länge entscheidend. Man unterscheidet im Handel vier Hauptsorten, deren jede wieder Untersorten hat: blond, braun, schwarz und rot. Das blonde H. wird im allgemeinen am höchsten, und zwar das goldgelbe höher als das milchblonde taxiert. Das schwarze H., das Erzeugnis des Südens, wird sehr gut bezahlt, wenn es glänzend pechschwarz ist; meistens fehlt ihm aber eine ansehnliche Länge. Wegen der Seltenheit dieser Sorte wird viel andre, besonders braune Ware schwarz gefärbt, was natürlich der Kenner sofort sieht. Dieses Kunstprodukt ist im Werte geringer, weil es mit der Zeit verschießt und verdirbt. Braun ist das gewöhnlichste Vorkommnis, und wird wieder in dunklere und hellere Nüancen sortiert. Am wenigsten wert ist das rote. Die Wertskala bestimmt sich wie gesagt außer nach der Farbe auch nach der Länge, die in seltenen Fällen bis zu 1,2 und 1,4 m geht, sowie nach der Stärke. Weder zu dickes noch zu schwaches H. nimmt eine gute Kräuselung an, und ist also in dieser Hinsicht das mittlere Kaliber mehr wert. Bei den sehr teuer bezahlten natürlichen Kräuselhaaren, die also nicht lang sein können, findet überhaupt eine besondre Taxierung statt. Alles H. soll nur von lebenden Menschen genommen werden; totes, d. h. von Leichen genommenes ist sehr brüchig und geringwertig, daher es für Händler wesentlich ist, dasselbe durchs Gefühl zu erkennen, wo es untergeschoben mit vorkommt. Die aus den ersten Quellen kommende Rohware muß, um verarbeitet werden zu können, erst sorgfältig sortiert und präpariert werden. Das Sortieren wird schon von den Zwischenhändlern besorgt. Behufs der Reinigung muß die Ware mehrfach ausgekocht und mit Seife, Kleie etc. gewaschen werden. Damit sie sich ringeln, werden die H. auf Stäbe gewunden und längere Zeit der Sonne oder künstlicher Wärme ausgesetzt. Solche H. werden im Handel mit dem Namen reparierte H. belegt. In Deutschland sind Handelsplätze für H. Frankfurt a. M., Fulda, Heilbronn, Leipzig etc. Die meisten H. werden jedenfalls in Paris verarbeitet, Paris besitzt einen alljährlich wiederkehrenden großen Haarmarkt, zu dem die Händler aus den verschiedensten Ländern reisen. Eine Vorstellung von der Bedeutung dieses Marktes kann man sich machen, wenn man liest, daß auf dem Markte 1877 infolge der schlechten Zeiten allein 5-6000 kg der schönsten Bretagner H. I. Qualität von 45-80 cm Länge unverkauft blieben. Je nach Qualität und danach, ob die Ware roh oder präpariert ist, herrscht eine ungemeine Verschiedenheit in den Preisen, die von 12-360 Mk. pro kg gehen können. Für unbemittelte Modesüchtige werden künstliche H. aus präpariertem Bast, Jutehanf u. dgl. gefertigt. - Einfuhrzoll: Menschenhaare s. Tarif im Anh. Nr. 11 c. Imitierte H. sind zollfrei. Perückenmacherarbeiten aus Menschenhaar und Haarimitationen s. Tarif Nr. 11 d.

Haargewebe. Hierzu gehören sowohl gröbere als feinere Fabrikate. Die ersteren, unter dem Namen Haardecken, -ziechen, -tuch, bestehen aus kürzern Haaren von Pferden, Rindern und andern in Gerbereien abfallenden, welche man nach vorheriger Reinigung durch Waschen wie Wolle kardätscht oder krempelt, spinnt, dubliert und nach Leinwandart webt. Solche Ziechen dienen als Packtuch, zu ordinären Fußteppichen, Pferde- und Schiffsdecken, zu Preßtüchern beim Ölschlagen, zu Regenmänteln u. dgl. Eine andre Klasse bilden die Roßhaarstoffe aus den langen Haaren der Pferdeschweife, welche an sich schon Fäden darstellen und als solche unmittelbar verwoben werden, teils für sich, teils in Gemisch mit andern Spinnstoffen. Ein ständiger und der Mode nicht unterworfener derartiger Artikel ist der Siebboden, aus lauter Haaren gewebt und in verschiednen Abstufungen engmaschig. Man hat für verschiedne Nummern besondre Namen, als Pfefferböden, Safranböden, Pulver-, Müllerböden etc. Sie dienen zum Absieben verschiedner Sorten von Mehl, Gries, Gips, Schießpulver, feinen Gewürzen, Apothekerwaren. Für andre Zwecke sind die Roßhaargewebe gewöhnlich gemischte Stoffe (Haartuch), mit baumwollener Kette und Einschuß von Haaren, zur Verwendung in Damenhüte in Verbindung mit Stroh oder Manillahanf. Man verwendet sie als Einlage in Halsbinden, als bauschende Unter-^[folgende Seite]