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Merck's Warenlexikon

Autorenkollektiv, Verlag von G. A. Gloeckner, Leipzig, Dritte Auflage, 1884

Beschreibung der im Handel vorkommenden Natur- und Kunsterzeugnisse unter besonderer Berücksichtigung der chemisch-technischen und anderer Fabrikate, der Droguen- und Farbewaren, der Kolonialwaren, der Landesprodukte, der Material- und Mineralwaren.

Schlagworte auf dieser Seite: Orleans; Orseille

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Orleans - Orseille

Orleans (frz. orléans; engl. orleans) sind halbwollne leinwandartig gewebte Kleider- und Futterzeuge, entstanden als Nachahmung der ehemaligen ganz wollnen Berkane. Die Kette besteht aus gezwirntem Baumwollgarn, das öfter fertig gescheert von England bezogen wird, der Einschlag je nach Mode aus deutschem Kammgarn Nr. 30-60, oder aus Mohair. Der Stoff kommt häufig einfarbig vor, zuweilen auch meliert, geflammt, moiriert, gedruckt, gerippt, façonniert und mit Seidenstreifen gewebt. Die Breite ist 0,70-0,85 m, die Länge 10-20 m. Die Garne werden roh verwebt, die Gewebe dann gedämpft, gesengt, gewaschen und gefärbt und schließlich gepreßt.

Der Stoff wird gewöhnlich auf Maschinenstühlen gewebt, welche für die gemusterte Ware mit Schaft- oder Jacquardvorrichtungen versehen sind. Es ist dies thunlich, da die Muster zu dieser Ware meist sehr klein genommen werden. In England liefern Huddersfield, Bradford, Halifax und Wakefield große Massen des Stoffes für den Weltmarkt. In Deutschland werden die geringsten und wohlfeilsten O. in der Lausitz gefertigt, bessere in Schedewitz (Sachsen), Elberfeld, Barmen, Reichenau bei Zittau, Wüstegiersdorf in Schlesien, Berlin. - Zoll gem. Tarif Nr. 41 d 5 und 6.

Orseille; ein aus gewissen Flechten bereiteter violettroter Farbstoff, der hauptsächlich zum Färben von Wolle und Seide Verwendung findet. Die hierbei zur Verwendung kommenden Flechten, im Handel irrtümlicherweise Orseillemoos genannt, enthalten jenen Farbstoff noch nicht fertig gebildet, sondern derselbe entsteht erst durch Einwirkung von Luft und Alkalien (gewöhnlich wendet man Ammoniak an) auf gewisse in diesen Flechten enthaltene Säuren (Erythrinsäure, Lecanorsäure, Roccellsäure). Diese farblosen, kristallisierbaren Säuren gehen hierbei zunächst in einen ebenfalls farblosen Körper, das Orcin, und dann in den eigentlichen Farbstoff, das Orceïn, über, welches in dem angewendeten Ammoniak mit violettroter Farbe gelöst bleibt.

Die Darstellung der O. war lange Zeit Fabrikgeheimnis der Florentiner, wie ganz ebenso die des Lackmus das der Holländer; jetzt wird O. als ein vielgebrauchter Färbereiartikel in allen Fabrikländern bereitet und der Rohstoff dazu aus aller Welt zusammengeholt. Obenan wird immer als Orseilleflechte Lichen roccella (Roccella tinctoria) genannt; es kommen aber noch manche andre verwandte Arten z. B. Roccella fuciformis, R. phycopsis und R. Montognei hinzu, wie schon das weite Auseinanderliegen der Sammelorte erwarten läßt; gewöhnlich sind auch mehrere Sorten in ein und demselben Ballen enthalten. Man sammelt sie sowohl an den felsigen Küsten des Mittelmeers als des Atlantischen, Stillen und Indischen Ozeans, namentlich häufig an den Azoren, den Kanarischen und Kapverdischen Inseln, ferner an den Küsten von Portugal, Spanien, England, des südlichen Frankreichs, in Angola, Benguela, auf St. Helena, Madagaskar, Zanzibar, an der Küste von Mozambique und auf Ceylon. Diese Ernten werden in Ballen dicht zusammengepreßt nach Europa gebracht. Hauptmärkte dafür sind Lissabon, Liverpool, London, Havre, Hamburg und Bremen.

Aus Flechten, die auf dem Festlande an Steinen, Baumrinden und auf der Erde wachsen und insgesamt Erdorseille heißen, botanisch aber sich in verschiedne Arten, Lecanora pallescens und tartarea, Variolaria, Usnea, Parmelia u. a. absondern, kann nur eine sehr geringwertige Sorte von O. bereitet werden. Solche Gewächse werden vorzüglich in Schweden in großer Menge gesammelt, ferner im Thüringerwald und der Rhön, im Jura und den Pyrenäen, in Schottland. Zur Bereitung der O. werden die Flechten gesäubert, zu Pulver gemahlen, mit einer ammoniakhaltigen Flüssigkeit in Trögen zu dünnem Brei angerührt und längere Zeit unter Umarbeiten der Lufteinwirkung überlassen. Als ammoniakalische Zusätze dienen fauler Urin oder geringer Salmiakgeist nebst einem Zusatz von Kalkhydrat. Es findet ein Gärungsprozeß statt, in dessen Folge die Masse im Laufe von etwa 4-6 Wochen durch Rot in Violett übergeht und inzwischen zu einem steifen Brei geworden ist, welcher in Fässer verpackt die Handelsware bildet.

Die Einzelheiten der Darstellung sind nicht genau bekannt; die richtige Leitung soll aber sehr schwierig sein. Aus denselben Flechten bereitet man auch den Persio (Cudbear, roter Indigo) im allgemeinen in gleicher Weise und ist derselbe im Grunde auch O., nur getrocknete und gepulverte. Das Pulver sieht ebenfalls violettrot aus. In Teig- wie in Pulverform geben die Stoffe mit Wasser unter Hinterlassung unlöslichen Rückstandes scharlachrote bis violette Lösungen, die durch Alkalien dunkler, durch Säuren hellrot gefärbt werden, mit Thonerdebeizen braunrote, mit Zinn salz hellrote Niederschläge liefern.

Außer der Teig- und Pulverform kommen unter dem Namen Orseille-Extrakt schon fertige und bis zur Sirupsdicke eingedünstete wässerige Lösungen in den Handel. Die O.- und Persiolösungen an sich geben schöne, anfangs sogar brillante violette und Lillafärbungen, die aber zu rasch verschießen und daher in dieser Weise keine Anwendung finden; vielmehr gebraucht man den Stoff nur in Kombination mit andern Farbstoffen, indem man entweder schon echt gefärbte Stoffe in Seide und Wolle noch durch ein Orseillebad nimmt, wodurch die Farben mehr Glanz und Feuer erhalten, oder zum Grundieren für Indigblau und Krapprot. Die Hauptverwendung aber geht jetzt auf Wollstoff zu braunen Nüancen, sog. Modefarben, Nakarat, Grenat, Cerise, Olive, für Färberei wie für Druck. Diese Färbungen sind echt und viel haltbarer als die mit Farbhölzern erhaltenen. Durch Zusatz von Aloëfarbstoffen, soll die O. lichtbeständig gemacht werden können. Zu erwähnen ist noch der von Guinon in Frankreich 1863 zuerst dargestellte französische Purpur (pourpre français). Er gibt eine echte, lebhaft purpurviolette Färbung, die auch der Einwirkung von Pflanzensäuren widersteht, durch welche das gewöhnliche Orseillerot in ein schmuziges ^[richtig: schmutziges] Weinrot verwandelt wird. Zur Bereitung desselben wird das Flechtenpulver mit verdünntem Salmiakgeist ausgezogen, die Flüssigkeit abgegossen und abgepreßt und mit Salzsäure