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Merck's Warenlexikon

Autorenkollektiv, Verlag von G. A. Gloeckner, Leipzig, Dritte Auflage, 1884

Beschreibung der im Handel vorkommenden Natur- und Kunsterzeugnisse unter besonderer Berücksichtigung der chemisch-technischen und anderer Fabrikate, der Droguen- und Farbewaren, der Kolonialwaren, der Landesprodukte, der Material- und Mineralwaren.

Schlagworte auf dieser Seite: Wolle

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Wolle - Wolle

der südlichen Erdhälfte die Schafzucht in Angriff genommen und zu solcher Ausdehnung gebracht haben, daß eine bedeutende Rückwirkung auf die europäische Wollzüchterei schon seit einer Reihe von Jahren vorhanden ist und auch in Zukunft fühlbar sein wird. In frühern, auch schon eine bedeutende Tuchweberei aufweisenden, Jahrhunderten verarbeitete man die W. wie sie die gewöhnlichen Landschafe gaben, doch bestanden auch da schon Qualitätsunterschiede je nach den verschiednen Ländern; namentlich galt die englische W. als die beste und längste und wurden große Mengen davon für die niederländischen Tuchmachereien ausgeführt, bis 1660 die Ausfuhr streng verboten wurde, eine Maßregel, die sich bis 1825 erhalten hat. Vor etwa 100 Jahren begann eine neue Periode in der Wollproduktion durch Einführung der edeln spanischen Schafe, womit man zuerst in dem Kurfürstentum Sachsen Erfolge erzielte. Die hier gezüchteten feinen Wollschafe waren meistens Eskurials und werden seit dem Leipziger Wollzüchterkonvent, 1825, Elektorals genannt, weil sie die feinste Wolle geben. Die edeln spanischen oder eigentlich maurischen, aus Afrika stammenden Schafe, die Merinos, zerfallen in die Träger der Elektoralwolle, und in die Negrettis. Die ersteren sind nur Stallvieh; die andern mit dichterem, kräftigem und nicht ganz so feinem Vließ, aus jenen entstanden, sind auch Weidevieh und führten in Spanien ein Wanderleben, indem sie im Sommer in den Gebirgen von Altkastilien und Arragonien, im Winter in den Ebenen von Estremadura und der Mancha geweidet wurden. Nach dem Vorgange Sachsens haben dann auch die übrigen Länder, Österreich, Ungarn, England, Frankreich, spanische Schafe aus Spanien oder Deutschland eingeführt und ihre Herden durch spanisches, bzw. sächsisches Blut veredelt, teils durch Elektorals, teils durch Negrettis. Die meisten Schäfereibesitzer halten jetzt mehr oder weniger veredeltes Vieh und streben durch Kreuzungen bei möglichster Wollfeinheit nach Wollmenge und Körperschwere. Edle Zuchtwidder sind immer sehr teuer. Das reine Merinoschaf ist klein und für Fleischlieferung nicht vorteilhaft, daher die Engländer schon lange dessen Haltung aufgegeben haben, jedoch nicht ohne daß ihre eigenen Rassen durch Kreuzung mit spanischen Widdern bedeutend gewonnen hätten. Es wird in England hauptsächlich auf großen Schafen die lange, kräftige und glänzende Wolle gezüchtet, welche zu Kammgarn erforderlich ist. Die Verpflanzung der spanischen Edelschafe ist nirgends besser gelungen als in Sachsen und in Preußen; die Merinowolle ist hier meist besser, weicher und zarter, als in ihrem Vaterlande. Die englischen Firmen, welche hochfeine Wolle kaufen müssen und früher von Spanien bezogen, kaufen jetzt die Hauptmenge in Deutschland, besonders in Schlesien, Sachsen, Altenburg, Preußisch-Sachsen, Pommern, Brandenburg und Westpreußen. Im Süden ist die Feinzucht unbedeutend, in Württemberg, Baden und Franken hauptsächlich die Zucht großer Fleischschafe für den Export nach Frankreich vertreten und zwar mit deutschem Vieh und mit durch englisches Mastvieh veredelten Tieren. In Österreich besteht bedeutende Schafzucht in Mähren, Schlesien, Böhmen und Ungarn. Hier gibt es auf Großgütern, wie die von Esterhazy, Sina u. a., die großartigsten Herden veredelter Schafe. Man nimmt das Erzeugnis der österreichisch-ungarischen Monarchie durchschnittlich auf etwa 24250000, das Deutschlands auf 35 Mill. kg an. Von andern europäischen Ländern ist namentlich Rußland von Bedeutung, das in seinen südlichen Provinzen sich der Zucht veredelter Schafe befleißigt und jährlich etwa 17715000 kg W. produziert. Die Türkei und Griechenland haben keine eigentliche Wollkultur und produzieren nur geringe W., weil sie das Schaf nur als Fleischtier halten. Bis zu einem gewissen Belauf gilt dies auch von Frankreich, das feine W. nicht hinlänglich selbst produziert. Das Feinste liefern dort die Schafe aus Roussillon. Die Rambouillets der gleichnamigen staatlichen Stammschäferei sind aus Negrettis gezüchtet. Bedeutende Mengen W. erhält Frankreich jetzt aus Algerien. Ostindische W., die in England und Frankreich verarbeitet wird, ist nur zu Teppichen und Decken brauchbar. -

Das Merinoschaf ist aber auch in ferne Länder verpflanzt worden, welche selbst keine Wollindustrie besitzen und daher ihre W. nach Europa senden müssen. Die hauptsächlichsten dieser neuen Wollländer sind Australien, die Laplatastaaten in Südamerika und die Kapkolonie. Neuseeland scheint ebenfalls eine größere Bedeutung zu gewinnen und selbst von Honolulu sind schon Sendungen herübergelangt. Die Produktion der drei erstgenannten Länder wuchs in der Mitte der sechziger Jahre gewaltig, zumal die dortigen Züchter keine Ausgabe für edle Zuchttiere scheuen (vergl. Viehhandel). Die massenhaften, im Preise sinkenden Zufuhren an den Londoner Markt und der plötzlich in Nordamerika auf rohe W. gelegte hohe Eingangszoll brachten nach 1866 eine schwere Krisis über die deutsche Wollproduktion mit gewaltigen Preisstürzen und Schwankungen aller Verhältnisse, deren Nachwehen noch heute verspürt werden. Es wurden 1868 aus Australien, wo die Schafzucht so viel Spielraum hat und beinahe kostenlos ist, 491000, vom Laplata 234000, vom Kap 141000, zusammen also die kolossale Menge vou ^[richtig: von] 866000 Ballen W. nach Europa gebracht; 1878 dagegen 800000, 270000, bezüglich 170000 Ballen, also zusammen 1240000 Ballen. Diese W. sind namentlich für die Mittel wollen eine starke Konkurrenz, denn zu feinen Sachen besitzen dieselben noch nicht genügende Qualität, sodaß die feinen deutschen W. immer englische, französische und niederländer Käufer haben und überhaupt am wenigsten von der Krisis berührt worden sind. Für die übrigen kommt es darauf an, ob die Kolonien ihre Wollzucht noch mehr erweitern oder darin nachlassen werden. In Deutschland hat die Krisis auf Einschränkung der Schafzucht gewirkt, die ohnehin in die jetzigen landwirtschaftlichen Verhältnisse im allgemeinen nicht recht mehr passen will. Ein schlimmer Umstand bei der Wollfrage war, daß viele Wollzüchter, aus Rücksicht auf die