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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

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Aegypten.

schritten, insbesondere die Griechen, wurde diesen nur "merkwürdig", aber nicht mehr vorbildlich, und hatte daher zuletzt keinen Anteil mehr an der allgemeinen Entwicklung der Kunst. Immerhin war die ägyptische Kunst zu einer hohen Entfaltung gediehen, welche jene in Mittel- und Ostasien übertraf, auch unserem Empfinden näher kam und daher mit Recht bewundernde Anerkennung verdient.

Dichtkunst. Das Vorwiegen der Verstandesthätigkeit zeigt sich auch darin, daß die Wissenschaften in Aegypten zu einer hohen Vollkommenheit ausgebildet wurden, während die Dichtkunst zu keiner Bedeutung gelangte. In dem ägyptischen Schrifttum fand sich bisher nur ein Heldengedicht vor, sonst sind uns nur Volkslieder und Märchen, sowie "Romane" erhalten geblieben. Daß letztere aufkamen, ist gerade bezeichnend für die ägyptische Eigenart; der Roman nähert sich ja am meisten der Geschichtsdarstellung, das Wirkliche dient ihm als Grundlage und wird nur ausgeschmückt und umgestaltet. Die Volkslieder tragen die semitische Eigenart und zeigen viel Verwandtes mit den hebräischen Dichtungen. Die besondere Vorliebe für Märchen ist vielleicht ein Erbteil des Negerblutes, denn diese Dichtungsart trifft man in überraschender Weise bei allen Negerstämmen verbreitet.

Tonkunst. Ueber die Tonkunst weiß man natürlich so viel wie nichts; es liegt ja im Wesen dieser Kunstart, daß sich ihre Gebilde nur durch ein Hilfsmittel - die Notenschrift - erhalten lassen, das erst eine spätere Zeit erfand. Aus den Abbildungen von Tonwerkzeugen läßt sich nur schließen, daß eine immerhin ansehnliche Entwicklung stattgefunden haben dürfte.

Bauwesen. Um so reicher sind die Werke der bildenden Künste, welche erhalten geblieben sind. Am meisten bewundert wurde von jeher die Bauthätigkeit - ich sage absichtlich nicht "Kunst" - der Aegypter. Das Bewundernswerte liegt aber weniger in der Erfindungsgabe hinsichtlich Formen und Anordnung - also nach der künstlerischen Seite hin - sondern vielmehr in der Arbeitsfertigkeit und in der Bewältigung von Schwierigkeiten. Man denke nur daran, welche Aufgabe es war, eine 20-28 m lange Granitsäule - Obelisk - aus dem Felsen zu hauen, an ihren oft viele Tagereisen weit entfernten Ort zu schaffen und aufzurichten. Ueber den letzteren Punkt hat man in neuerer Zeit allerlei scharfsinnige Vermutungen ausgeheckt, ohne die Sache ergründen zu können.

Der Kunsttrieb in dem Sinne, etwas Besonderes zu schaffen, gab sich daher zuerst in dem Streben kund, besonders große Schwierigkeiten zu überwinden. Das Ungeheure, das Massenhafte ist daher bezeichnend für die ältesten Bauwerke. Die Größe ist ja das Sinnfälligste und macht den augenblicklich stärksten Eindruck, für Feinheit und zierliche Durchbildung der Formen wird der Mensch erst bei höherer Bildung empfänglich.

Denkmale. Sphinx. Pyramiden. Die ältesten Baudenkmale stammen aus der Zeit von 2800-2500 v. Chr., von denen am meisten genannt und bekannt sind: Sphinx von Giseh und die Pyramiden in der Umgebung von Memphis, welches die älteste Stadt ist, von welcher beglaubigte Nachrichten vorliegen.

^[Abb.: Fig. 12. Granitsarkophag des Königs Menkere.

Nachahmung eines Holzbaues.]