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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Bildnerei; Streben nach Naturtreue; Verzierungen

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Aegypten.

Die ursprünglich vierteilige Form wird jedoch in zweierlei Art verändert. Die eine ist, daß der Blumenkelch zu einer vollständigen runden Masse wird, welche man mit bunten Schriftzeichen verziert. Bei der anderen tritt statt des geschlossenen der geöffnete Blumenkelch auf, dessen Grundform dann in mehrfacher Weise verändert und ausgestaltet wird.

Gegen die ganze Lotosblumen-Form des Knaufes wird von dem Standpunkt unserer heutigen Anschauung aus eingewendet, daß sie eine unmögliche Vorstellung, einen inneren Widerspruch zwischen Mittel und Zweck enthält; weder die Spitze einer Knospe noch die ausgebreitete Blüte vermag die Last eines Gebälkes zu tragen, sie muß zusammengedrückt werden.

Eine seltsame Abart von Säulenknäufen kommt daneben noch vor. Auf dem Säulenschaft ruht unvermittelt ein vierseitiges Gebilde auf, das auf jeder Seite ein Menschenantlitz zeigt; auf diesen vier Köpfen sitzt ein Würfel, welcher Außenseiten eines Tempels zur Darstellung bringt. Das ist eben auch keine sehr glückliche Verbindung. In der übrigen Gestalt der Säule blieb auch die - aus der Nachahmung zusammengebundener Stämme hervorgegangene - untere und obere Einschnürung beibehalten, welche eine Anschwellung in der Mitte bedingt. Der im ganzen Bauwesen leitende Grundgedanke, durch Masse zu wirken, kommt natürlich auch bei den Säulen zum Ausdruck, die fast immer wuchtiger und umfangreicher sind, als es für den Zweck unbedingt notwendig wäre, so daß ein gewisses Mißverhältnis störend auftritt. (Abbildungen der wichtigsten Säulenformen findet man am Schlusse des Buches in den Erläuterungen unter "Säule".)

Verzierungen. In rein baulichen Verzierungen entwickelten die Aegypter auch keine sonderliche Erfindungsgabe und hielten an den frühesten Formen fest. Es sind dies der Rundstab, der mit einem Band umwunden ist, und die vorspringende Hohlkehle, welche eine Deckplatte trägt.

Die oft überreiche Bedeckung der Innen- und Außenwände mit Inschriften und bemalten, halberhabenen Bildniswerken (Reliefs) und die Aufstellung von recht zahlreichen freien Bildhauerarbeiten in den Räumen mußte die im Grunde genommen ärmliche Einfachheit der rein baulichen Formengebung verdecken.

Bildnerei. Wie in der Baukunst Fertigkeit und Scharfsinn sich weitaus mehr ausprägen als Gedankenschwung und Erfindungsgeist, so sehen wir dies auch in der Bildnerei, und wie dort, sind gleichfalls hier die Schöpfungen der älteren Zeit eigentlich erfreulicher als jene der späteren. Eine der frühesten, die schon erwähnte Sphinx, ist nicht nur wegen der Arbeit an sich bemerkenswert, sondern auch wegen der verhältnismäßig bedeutenden Vollendung in der Wiedergabe eines ausdrucksvollen Menschenantlitzes. In der Zeit um 2600 v. Chr. hatte die Bildnerei schon eine Stufe der Vervollkommnung erreicht, welche in der That unsere Bewunderung herausfordert. Die hier gegebenen Beispiele von Werken aus dieser Zeit können dies bekräftigen.

Streben nach Naturtreue. Das Hauptgewicht legte die ägyptische Bildnerei auf die Darstellung des Kopfes, beziehungsweise Gesichtes, und strebte hierbei die vollste "Natur-^[folgende Seite]

^[Abb.: Fig. 17. Der Tempel von Elephantine. (Nach Perrot und Chipiez.)]

^[Abb.: Fig. 18. Grundriß des Tempels von Elephantine.]