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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Bedeutung der indischen Kunst

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Indien.

der Natur und Sinn für einfachere, aber kräftige Formen, sowie in der Bemalung eine feine Farbenstimmung aufweisen.

Es zeigt sich überhaupt die merkwürdige Thatsache, daß der Inder im Kleinen all' jene Fehler vermeidet, die seinen Werken im Großen anhaften. Die reiche, fruchtbare Erfindungsgabe macht sich beispielsweise in den Verzierungsmustern im vollen Maße geltend, ohne jedoch in geschmacklose Uebertreibung zu verfallen. Das gilt auch von den Formen der Schmucksachen und Ziergeräte, die meistens - es giebt natürlich auch Ausnahmen - ein gefälliges Maß einhalten, so daß ich sagen möchte, der indische Geist giebt nur auf dem Felde der Kleinkunst Geschmack kund und hier leistet er sein Bestes. So sind auch die Kleinmalereien aus Elfenbein hinsichtlich der Ausführung manchmal vortrefflich gelungen, während die erhaltenen Wandmalereien in den Grottentempeln ziemlich roh erscheinen.

Bedeutung der indischen Kunst. Mangel an Thatkraft, Neigung zum Maßlosen und Ausschweifenden und Vorliebe für beschauliches Träumen sind jene Eigenschaften der indischen Volksmasse, welche es verhinderten, daß sie zu einer wesentlichen Bedeutung für die Weltkultur gelangte. So hat auch die indische Kunst die allgemeine Entwicklung nicht gefördert, war vielmehr stets mehr oder minder in Abhängigkeit vom Westen, und hat nur auf das hochasiatische Gebiet und die Naturvölker der ostindischen Inselwelt einen gewissen Einfluß geübt. Wenn auch Indien reich an fesselnden und anregenden Erscheinungen ist, so macht sich doch gerade hier am stärksten das Gefühl geltend, daß man es mit einer unserem Wesen und unserer Anschauung ganz fremden Eigenart zu thun hat. Man kann die indische Kunst bewundern, aber wird sie nie gefallsam finden.

^[Abb.: Fig. 58. Standbild des Buddha.

Aus Takht-i-Bahai. Berlin, Museum für Völkerkunde]