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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Kleinasien

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Die östlichen Mittelmeerländer. Syrien. Kleinasien.

oder um es kurzweg zu sagen, sie vermengten mehr oder minder geschickt jene beiden "Stile". Vom 6. Jahrhundert an übten auch griechische Formen starken Einfluß und verdrängten allmählich die anderen. Namentlich in Karthago scheint man vorwiegend griechische Künstler beschäftigt zu haben.

Wenn auch die gefundenen Reste für die Phöniker nicht besonders rühmlich sind, so möchte ich doch wiederholen, daß nach diesen wenigen kein endgiltiges Urteil zu fällen sein dürfte. Es ist zu beachten, daß die Funde nicht aus den Hauptsitzen, sondern aus Nebenorten stammen, sowie sich die Einfachheit und verhältnismäßig niedere Stufe der Formen bei den Gefäßen daraus erklären läßt, daß man hier zufällig es zu thun hat mit "gemeiner Marktware" für die Masse, welche ja auch heutzutage an hergebrachten geschmacklosen Formen hängt.

Einen weit besseren Eindruck machen die Schmuckgegenstände, welche in Kurion gefunden wurden. Diese weisen nicht nur eine vollendete Arbeitsfertigkeit, sondern auch eine Mannigfaltigkeit in den Formen und einen ausgebildeten Geschmack auf. Allerdings sind auch bei diesen durchwegs ägyptische und mittelasiatische Muster verwendet und miteinander verarbeitet, so daß man beispielsweise einen Mann in ägyptischer Tracht mit einem assyrischen Flügeltier kämpfend dargestellt sieht.

Vorhin hatte ich Venedig zum Vergleich erwähnt. Auch dieses besaß in den früheren Jahrhunderten keinen "eigenen" Stil, wir sehen den morgenländischen (in der Markuskirche), den romanischen und gotischen in den ältesten Palästen verwendet. Die eigen-venetianische Kunst entwickelte sich erst später; zunächst hielt man sich an das aus der Fremde geholte. Aehnlich erscheinen mir die Verhältnisse bei den Phönikern gewesen zu sein. Daß sie über die Verwendung der fremden Stilformen nicht hinaus und zu einer - für uns erkennbaren - Selbständigkeit gelangten, lag darin begründet, daß ihnen die politische Selbständigkeit und eigene Herrschaft fehlte und sie auf die Vermittlerrolle angewiesen blieben. Hierzu mag aber noch der Umstand kommen, daß der semitische Geist zwar ungemein regsam und scharfsinnig auftritt, aber diese Eigenschaften vorwiegend auf dem Gebiete der Arbeitsthätigkeit und des Denkens äußert, die schöpferische Einbildungskraft dagegen nicht in gleichem Maße zur Geltung kommt.

Kleinasien. Den Boden Kleinasiens hatten in den ältesten Zeiten Stämme besiedelt, welche einem besonderen Volkstum angehörten, das nicht semitisch war. Genaueres hat sich bisher darüber nicht feststellen lassen. Im 16. Jahrhundert v. Chr. hatte eines dieser Völker, die Cheta oder Hethiter, ein großes Reich gegründet, das sich über das nördliche Syrien ausdehnte und dabei mit den Aegyptern in harte Kämpfe geriet. Die Urbevölkerung wurde vielleicht schon in frühester Zeit von indogermanischen Stämmen durchsetzt; nachweisbar erscheint freilich nur die Einwanderung der Thraker, welche von der Balkanhalbinsel herunterkamen und das nordwestliche Kleinasien besetzten. Später folgten den Thrakern Stämme der Griechen, welche sich an der Westküste festsetzten. Zwischen 1500-1000 v. Chr. vollzog sich nun eine Vermischung dieser Bestandteile dahin, daß die Randlandschaften Kleinasiens mit jenen der Balkanhalbinsel und den Inseln des ägäischen Meeres ein Kulturgebiet bildeten, in dem die griechische Eigenart herrschte. Der östliche Teil Kleinasiens und das Innere wurden dagegen von der semitischen (babylonisch-assyrischen) Kultur beeinflußt, die auf diesem Wege nach Westen vordrang.

Die Eigenkultur der kleinasiatischen Urbevölkerung wurde so von zwei Seiten her überwältigt. Daß eine solche bestanden habe, ist mit hinlänglicher Begründung nachgewiesen. Auch eine selbständige Kunstübung erscheint bezeugt durch verschiedene Denkmale, insbesondere durch riesige in Felsen eingehauene Flachbildwerke, Gestalten von Kriegern, Göttern und Tieren, darstellend.

Von irgendwelcher Bedeutung ist diese alte Eigenkunst Kleinasiens nicht, dessen weiteres Kunstleben im untrennbaren Zusammenhang mit dem griechischen sich entwickelt.