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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

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Die hellenische Kunst

weithin versandte. Asiatische Formen (geflügelte Gestalten) und Ziermuster (Teppichnachahmung) verdrängen den geometrischen Stil und die Neigung zur Ueberladung tritt zu Tage.

Grundlage der griechischen Kunst. In dieser Uebergangszeit bildet sich aber die Arbeitsfertigkeit der Griechen aus; die innere Festigung der Gemeinwesen und der steigende Reichtum schaffen die Grundlagen, auf welchen sich die höhere Kunst, und zwar ganz im griechischen Geiste, entwickeln kann. Mit Ende des 7. Jahrhunderts haben die Griechen sich alles angeeignet, was ihr älteres Volkstum und jenes der Ostländer an Kunstformen hervorgebracht hatte, und nun wird dieser Besitz verarbeitet zu einer die griechische Eigenart voll zur Erscheinung bringenden Kunst, welche später zur Weltherrschaft gelangte.

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Die "hohe" Kunst. In dem "mykenischen" Zeitalter herrscht die Zierkunst vor, welche in dem menschlichen Triebe: "zu schmücken" ihre Wurzel hat und sich vor allem auf Gegenstände erstreckt, welche mit den Bedürfnissen des gewöhnlichen Lebens zusammenhängen. Die Ausbildung des "geistigen Lebens" ist die Voraussetzung des Fortschrittes zu jener Kunst, welche man gewöhnlich die "monumentale" nennt, die ich aber als "hohe Kunst" bezeichnen möchte, da sie sich nicht mehr blos mit den gemeinen Lebensbedürfnissen beschäftigt, sondern ihr Endziel auf Höheres richtet: einen Gedanken in schönen Formen zum Ausdruck zu bringen sucht. Die Erhebung über das blos Leibliche findet zunächst in der Religion - zu welcher auch der Totenkult zu rechnen ist - ihren Ausdruck, und die hohe Kunst erscheint daher immer im Dienste derselben. Während in der "mykenischen" Zeit die Baukunst sich mit Burgen und Palästen beschäftigte, wird das neue Zeitalter der hohen Kunst durch Tempelbauten gekennzeichnet, und von diesen nehmen auch die anderen Künste, Bildnerei und Malerei, ihren Ausgang. In der Folge wird dann die Kunst von der Religion unabhängig, sie erhält einen Selbstzweck und gewinnt damit die Freiheit.

Die griechischen Gottheiten. Bei den einzelnen griechischen Stämmen hatte jeder ursprünglich eine besondere Stammgottheit (oder Ortsgottheit); der engere Zusammenschluß dieser Stämme zu einem - allerdings nicht staatlich geeinten Volke - hatte zur Folge, daß diese verschiedenen Gottheiten gemeinsam wurden und der "griechische Götterhimmel" entstand. Einzelne solcher ursprünglich verschiedenen Ortsgottheiten verschmolzen dabei zu einer Gottheit, so sind beispielsweise unter den Namen Apollo und Aphrodite solche zusammengefaßt worden. Auch in der Folge findet sich in jedem Staat oder jeder Stadt eine besondere Hauptgottheit, neben welcher die von den Anderen übernommenen Götter eine

^[Abb.: Fig. 91. Das Denkmal des Lysikrates zu Athen.

(Nach Photographie.)]