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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die hellenische Kunst

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Die hellenische Kunst.

Boden eingebürgert, nachdem man sie im Osten kennen gelernt hatte. Diese wurden auch für die Bildnerei unmittelbar fruchtbar, wichtiger ist aber wohl, daß in dieser Zeit überhaupt alle Handfertigkeiten nachdrücklich ausgebildet und so bessere Vorbedingungen für die wirkliche Kunstübung geschaffen wurden, die sich nun rasch entfaltete.

Aelteste Stätten. Kleinasien und die Inseln sind auch die ältesten Stätten der Bildnerei; es mag hier bemerkt werden, daß auf der Insel Delos das alte Hauptheiligtum für den ganzen jonischen Stamm sich befand. Auf den Inseln Delos, Samos, Chios, Naxos - diese wird vielfach als die erste Hauptstätte der Steinbildnerei angesehen - fand man in der That die frühesten Standbilder als Weihegeschenke. Dann erscheint Milet, diese reichste kleinasiatische Stadt, als eine Pflegestätte der Bildnerei; die "heilige" Straße, die vom Hafen zum Apolloheiligtum führte, war mit Standbildern geschmückt, die jedenfalls auch als Weihegeschenke im obenerwähnten Sinne aufzufassen sind. In Sicilien und Unteritalien entwickelt sich gleichfalls die Bildnerei, und zwar ziemlich selbständig, so daß man von einer eigenen "Schule" sprechen kann.

Eigenart der Werke des ersten Zeitraums. Was nun die Werke dieser ältesten Zeit (7. und 6. Jahrhundert v. Chr.) anbelangt, so kommen neben freien Standbildern hauptsächlich die Flachbildwerke in Betracht, welche zum Schmuck der Giebelflächen und Metopen dienten. Bei diesen sind die Figuren sehr voll heraus gearbeitet, so daß sie nahezu wie Freifiguren erscheinen; sie treten aber nie aus der Plattenfläche heraus, sondern sind nur stark eingetieft. (Die Füße sind daher auch dann in der Seitenstellung, wenn der Oberkörper nach vorn gewendet ist.)

Die scharfe Beobachtungsgabe, welche die Griechen auszeichnet, giebt sich schon hier in manchen Einzelheiten - z. B. die Anordnung der Haare entsprechend der Bewegung - kund, freilich auch noch eine gewisse Unbeholfenheit im Ausdruck der Bewegungen; so wird das Laufen durch eine dem Knieen ähnliche Stellung gekennzeichnet. Die Gestalten haben etwas Gedrungenes, Massiges, dem Antlitz fehlt die Beseelung, es zeigt noch leblose Erstarrung.

Das Verhältnis der einzelnen Körperteile zu einander ist richtig aufgefaßt, die Formen sind allerdings noch nicht durchgebildet, das hauptsächlich Bezeichnende wird oft zu stark betont. Dies gilt auch von den Tiergestalten, die Gesamterscheinung ist stets gut gekennzeichnet und in den Einzelheiten wird ersichtlich Naturtreue angestrebt.

Als eine besondere Eigenheit, welche auch in der Folgezeit beibehalten wird, erscheint die gleiche Kopfhöhe aller Figuren (Isokephalismus), richtiger gesagt, die Köpfe reichen sämtlich bis zu einer geraden Linie, welche genau parallel der Randlinie der Fläche ist.

^[Abb.: Fig. 103. Marsyas des Myron.

Marmornachbildung, die Arme falsch ergänzt. Rom, Lateran.]