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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die hellenische Kunst

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Die hellenische Kunst.

Hoheit der früheren Götterbilder, aus deren Zügen nur Erhabenheit und nichts von inneren Vorgängen spricht, sondern ein Gedanke; tiefes Sinnen, in das die Göttermutter versunken ist. Das Gewand ist sehr faltenreich, doch ist es natürlicher, als an den Beispielen vom Parthenon; der Künstler bemühte sich offenbar, die Natur getreu nachzubilden und sie nicht so stark zu idealisieren.

Die Niobe. Die zwei folgenden Abbildungen geben gleichfalls Werke wieder, die aus der Zeit des Skopas und Praxiteles stammen, ohne daß ein bestimmter Meister als ihr Urheber genannt werden kann. Beide gehörten zu einer großen Gruppe, deren Inhalt die Tötung der Kinder der Niobe bildete. Diese hatte sich gerühmt, glücklicher als die Göttin Leto, die Mutter des Apollon und der Artemis (Diana), zu sein, da diese nur zwei, sie jedoch vierzehn Kinder besäße. Die erzürnten Götter rächten diesen Uebermut, indem sie sämtliche Kinder der Niobe töteten. Von der Gruppe sind bisher nur die Nachbildungen einzelner Gestalten gefunden worden, von denen ich zwei in Fig. 139 und 140 wiedergebe. Die eine stellt die Mutter dar, wie sie eine Tochter zu schützen sucht, die sich angstvoll an sie klammert. Die andere eine Tochter, die vor den tötenden Pfeilen zu fliehen sucht. Aus den Zügen der Mutter spricht die große seelische Erschütterung; sie bieten einen tief ergreifenden Ausdruck anklagenden hilflosen Schmerzes. Die Gewandbehandlung ist sehr schön und natürlich. Für das Kunstgefühl dieser Zeit ist vor allem bezeichnend die Mäßigung, die in dem Ausdruck des höchsten Schmerzes gewahrt wurde; es ist der Ruhm der Antike, daß sie in der guten Zeit auch bei Schilderung des Leidenschaftlichen nie über ein gewisses Maß von Bewegtheit hinausging. Was das bedeutet, wird man sich klar machen können, wenn man die Werke der griechischen Kunst mit einigen der Barockzeit vergleicht; beider Kunstauffassung läßt sich hinsichtlich der Bewegung vielleicht so kennzeichnen: bei der einen wird stets die Bewegtheit zur Ruhe gedämpft, bei der andern fast immer die Ruhe durch Bewegung gestört.

^[Abb.: Fig. 168. Der sogen. Redner.

Bildnisfigur des Aulus Metellus. Florenz.]

^[Abb.: Fig. 169. Kaiser Augustus.

Rom, Vatikan.]