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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Byzantinische Kunst

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Byzantinische Kunst.

Eigenart des byzantinischen Stils. Der byzantinische Baustil erscheint reicher, verwickelter, künstlicher als der abendländische, er zeugt von hoher Arbeitsfertigkeit und Begabung für Lösung schwieriger Aufgaben in der Baufügung. Die Aufgabe, die Rund- und Kuppelformen mit den rechtwinkligen zu verbinden, wurde geistreich gelöst, überhaupt die Bogen- und Gewölbebildung vollkommen ausgestaltet. In der künstlichen Vereinigung verschiedenartiger Grundteile zu einem einheitlichen Ganzen liegt die Eigenart des byzantinischen Stiles, dem gegenüber der abendländische mit seiner schlichten Einfachheit scheinbar nachsteht. Dieser war aber einer reichen Entwicklung und Ausgestaltung fähig und fand sie auch, während der verwickelte byzantinische Baustil eine solche nicht zuließ und daher erstarrte.

Mit den Bauten des 6. Jahrhunderts war eigentlich die ganze schöpferische Erfindungsgabe der Byzantiner auch schon erschöpft; was in der Folgezeit noch abgeändert wurde, ist nicht von Bedeutung. Es beschränkt sich zumeist auf Erhöhung der ursprünglich flachen Kuppeln, Vermehrung derselben, Einführung von Vielecksformen - namentlich bei den nach außen vorspringenden Altarnischen -, reichere Ausgestaltung der Pfortenvorhallen. Seit dem 10. Jahrhundert stand der Stil sozusagen unverrückbar fest.

Verbreitung. Die byzantinische Bauweise fand im ganzen Osten Verbreitung. Oertliche Verhältnisse brachten wohl mannigfache Abweichungen von den Grundformen, diese selbst aber blieben beibehalten. Wir finden sie in der Kaukasuslandschaft und Armenien, wo sie unter islamitischen Einflüssen eigentümliche Veränderungen erfuhren, dann in den Ländern der unteren Donau, wo eine ähnliche Aufnahme mohamedanischer Züge stattfand, und in Rußland, auf dessen Boden die völlige Entartung des byzantinischen Stiles sich vollzog. Hier fügte man Türme ein, gab den Kuppeln Ei- und Birnenform, erging sich in den seltsamsten Verschnörkelungen und Verzerrungen; gedankenlos, ohne jegliches Gefühl für Form, Maßverhältnisse und Schönheit, vermischte die russische Bauweise die widersprechendsten Grundteile zu einem gräulichen Ganzen, das allerdings auch "Erstaunen" erregt.

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Die Abbildungen. Sophienkirche in Konstantinopel. Das berühmteste Werk der byzantinischen Baukunst ist die Sophienkirche in Konstantinopel, deren inneren und äußeren Anblick die drei Abbildungen Fig. 217-219 zeigen. Das ursprüngliche Aussehen hat sich in ihr verhältnismäßig gut erhalten, nur an der Ausschmückung hat sie nach der Besitzergreifung Konstantinopels durch die Türken und der Umwandlung der Kirche in eine Moschee Schaden erlitten. Der Bau wurde unter der Regierung Justinians an Stelle einer abgebrannten Kirche im Jahre 523 begonnen, 537 vollendet und nachdem im Jahre 539 ein Erdbeben einen Teil der Kuppel zerstört hatte, wieder hergestellt. Der Grundriß der Kirche bildet ein fast gleichseitiges Viereck. Die Mitte nimmt die Hauptkuppel ein, an die sich zwei kleinere Seitenkuppeln schließen. Die Länge des Grundrisses beträgt 57½ m, die Breite etwa 70 m. Die Höhe der Kuppel ist 65 m bei einem Durchmesser von 32 m. Das Aeußere ist durch verschiedene Zuthaten entstellt, von denen die störendsten die schlanken Türme (Minarets) und zwei Strebepfeiler sind, doch erkennt man auch hier noch deutlich die Eigenart, wie sie oben geschildert wurde. Die Einzelheiten des Innern zeigt deutlicher Fig. 219, besonders läßt sich die Kapitälbildung sehr gut erkennen.

Elfenbeinschnitzereien. Von den Werken der Bildnern sind es namentlich Elfenbeinschnitzereien, die sich in größerer Zahl erhalten haben und die Eigenart der byzantinischen Kunst deutlich zeigen. Die Abbildungen Fig. 220 und 221 geben zwei derartige Werke wieder. Die Darstellung des einen (ein Buchdeckel, Diptychon) bezieht sich auf das Leben des Apostel Paulus, während das andere ein Bildnis der Eudoxia, Gemahlin des oströmischen Kaisers Arkadius ist. In beiden zeigt sich noch eine gewisse Frische, welche an die besseren spätrömischen und altchristlichen Arbeiten erinnert, doch tritt auch schon, (besonders bei Fig. 221) die Starrheit hervor, die noch viel stärker in den Mosaiken zum Ausdruck kommt.