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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Germanische Kunst

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Germanische Kunst.

In Portugal sind die Klosterkirchen von Batalha (1385 begonnen) und Belem (1500 begonnen) die hervorragendsten Schöpfungen, insbesondere ist bei der ersteren die im 16. Jahrhundert angebaute, jedoch unvollendete Grabkapelle des Königs Manuel I. bemerkenswert, welche mit ihren sinnverwirrend üppigen, abenteuerlichen Zierformen alles überbietet, was sonst die Gotik in dieser Hinsicht geleistet hat.

Bei den weltlichen Prachtbauten der pyrenäischen Halbinsel im 15. Jahrhundert tritt eine starke Beeinflussung der gotischen durch die arabische Bauweise beziehungsweise die Vermischung der beiderseitigen Formen hervor, so daß diese einen ganz eigenartigen Stil zeigen, den man den Mozarabischen oder Mudejar-Stil nennt. Er enthält in der Grundanlage auch noch romanische Anklänge. Die glanzvolle Erscheinung der maurischen Paläste bestimmte wohl die christlichen Fürsten zur Nachahmung derselben und sicher bedienten sie sich dabei auch der geschulten maurischen Künstler.

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Deutschland. Englische Kunstschriftsteller haben die Erfindung des gotischen Stils für ihr Land in Anspruch genommen, weil schon nach 1150 in einigen Cistercienser Kirchen der Spitzbogen zur Anwendung kam; mit mehr Recht dürften dies die Deutschen thun, die sich bescheiden damit begnügen, ihre spätromanische Bauweise einen "Uebergangsstil" zu nennen. An früherer Stelle wurde bereits auseinandergesetzt, daß in letzterem bereits die Ansätze und Keime zu der gotischen Richtung vorhanden sind, und gewiß könnte man sagen, daß die Deutschen auch ohne Anregung von außen die Gotik "erfunden" haben würden, sobald sie sich aus dem Banne der Anhänglichkeit an den volkstümlichen romanischen Stil völlig befreit hätten. Der stärkere Beharrungssinn der Deutschen - gegenüber der leichtbeweglichen Geistesrichtung ihrer westlichen Nachbarn - kam eben auch hier zur Geltung. Sodann entsprach ja die spätromanische Bauweise - wie sie insbesondere am Rheine sich ausgebildet hatte - nicht blos den Anforderungen der Zweckmäßigkeit, sondern auch jenen der schönen Gefälligkeit, vor allem aber dem Volksgeiste. Nicht so sehr die Aeußerlichkeiten des gotischen Stiles, seine Zierformen, waren es daher, welche die Deutschen zur Aufnahme desselben bestimmten, sondern vielmehr die Grundgedanken der Baufügung, deren Bedeutung man bald erkannte, dann aber auch sofort folgerichtig entwickelte. Daraus ergab sich die Erscheinung, daß der strenge (frühgotische) Stil auf deutschem Boden nur wenig vertreten ist, dagegen die Hochgotik hier ihre eigentliche Stätte und Heimat fand. Die deutschen Meister haben die Grundsätze der Baufügung völlig durchgebildet, und die freie Beherrschung derselben gestattete nun auch ihrer Erfindungsgabe, sich in der kühnen Gestaltung der Einzelheiten, in der glanzvollen Ausführung der Zierformen schöpferisch zu bethätigen.

Wenn also auch die Gotik nicht in Deutschland entstanden ist, so fand andererseits ebenso wenig eine bloße "Nachahmung" statt, vielmehr ist das Verhältnis richtig zu kennzeichnen als eine "selbständige Verwertung der neuen Grundsätze und Formen" und zwar

^[Abb.: Fig. 295. Hauptkirche zu Burgos.]