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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Germanische Kunst

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Germanische Kunst.

jedoch in überaus geschickter Weise dem älteren Teile angepaßt. 1277 begann dann Erwin von Steinbach mit dem Bau der Stirnseite, eine der geistvollsten Schöpfungen der Baukunst, welche auch deshalb bemerkenswert ist, weil sie französische und deutsche Art vereinigt.

Zur selben Zeit arbeitete man an dem berühmtesten Werk gotischen Stiles in Deutschland, dem Dom zu Köln, zu welchem am 14. August 1248 der Grundstein gelegt worden war. (Der alte Dom war durch einen Brand teilweise zerstört worden, doch bestand das Langhaus desselben noch bis 1325). Man begann wie üblich mit dem Chore, der 1322 eingeweiht wurde; der Weiterbau vollzog sich dann äußerst langsam, 1437 war die Vorhalle im südlichen Turm vollendet und dieser selbst bis zu einer Höhe von 55 m emporgeführt, seit 1509 stockte der Bau völlig. Erst im 19. Jahrhundert wurde derselbe wieder aufgenommen und seit 1842 thatkräftig gefördert, so daß 1863 der Dom selbst und 1880 die beiden Türme vollendet waren.

An dem Kölner Dome läßt sich die ganze Entwicklung der deutschen Gotik verfolgen. Die unteren Teile des Chores sind noch im strengen Stil gehalten, die oberen Teile, Langhaus und Stirnseite zeigen die allmählichen Fortschritte, die wechselnde Geschmacksrichtung und persönliche Auffassung der verschiedenen Meister im Laufe der langen Bauzeit und sind in der That die prächtigsten Zeugen für die künstlerische Schöpferkraft, die in der Hochgotik wie im Schmuckstil waltete. Bei den neuzeitlichen Bauteilen hat man sich allerdings an die alten Pläne gehalten, aber in dem Festhalten an Einheitlichkeit und Gleichmäßigkeit zeigt sich der Geist der Neuzeit; es fehlt die Mannigfaltigkeit und Vielgestaltigkeit der Einzelheiten, deren jeder der mittelalterliche Kunstgeist immer eine selbständige Eigenart zu verleihen wußte. Daß durch die sogenannte "Freilegung" des Domes der Eindruck desselben nicht gewonnen hat, ist wohl erklärlich. Die alten Meister berücksichtigten mit feinem Verständnis stets die ganze Umgebung, und da die gotischen Kirchen meist in enggebauten Städten standen, wurde alles auf die Betrachtung von einem nahen Standpunkte aus berechnet, nur von einem solchen aus erscheinen dem Auge alle Formen in einem richtigen Verhältnis. Wenn daher das Aeußere auf manchen Beschauer nicht die erwartete Wirkung ausübt, so mag er die Gründe in den genannten Umständen suchen. Unvergleichlich großartig ist dagegen der Eindruck des Inneren und von diesem gilt in Wahrheit der Satz, daß der Kölner Dom die vollendetste Leistung der Hochgotik darstellt.

Wie dieser als der vornehmste Vertreter der meistüblichen Gattung - gewölbte Basilika mit höherem Mittelschiff und niedrigeren Abseiten - erscheint, so kann für die Form der Hallenkirchen jenen Rang der Stephansdom in Wien beanspruchen. Allerdings sind die Seitenschiffe nicht genau gleich hoch mit dem Mittelschiffe, doch fällt dies um so weniger ins Gewicht, als

^[Abb.: Fig. 297. Portal der Hauptkirche zu Barcelona.]