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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Germanische Kunst

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Germanische Kunst.

Palazzo vecchio in Florenz. Rathaus in Perugia. Ca doro in Venedig. Von weltlichen Bauten gebe ich hier drei Beispiele, die ganz verschiedene Gebiete vertreten. (Fig. 321-23.) Im Palazzo vecchio zu Florenz (1299-1301) sehen wir die Art der trotzigen wehrhaften Stadtpaläste, bei denen der Ausdruck stolzer Kraft überwiegt. Der hohe, zinnengekrönte Turm ist ein Meisterwerk kühner Baufügung. Ziervoller erscheint hiergegen das Rathaus zu Perugia (Fig. 321) mit seiner schönen Fensterbildung und dem geschmackvollen rundbogigen Portal. - Der Eindruck ist hier schon ein entschieden malerischer, da die Einzelheiten feiner durchgebildet sind. Noch mehr ist dies der Fall bei einem Kleinod venezianischer Baukunst, dem Ca doro (Fig. 322).

Nirgends sonst ist die Schmuckhaftigkeit der Gotik so sehr gewürdigt und so glücklich verwertet worden, wie in Venedig.

An dem Ca doro ist die Anlage der Bogengänge beachtenswert, ebenso die eigentümliche Umbildung des Spitzbogens und des Maßwerks. (Die Zinnen oben sind eine Zuthat neuester Zeit.) Das Ganze ist von einer zierlichen Pracht und malerischen Wirkung, die kaum ihres Gleichen findet.

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Die darstellenden Künste zur Zeit des gotischen Stils. In diesem Zeitraum beginnt bereits das Verhältnis der darstellenden Künste zur Baukunst sich zu ändern. Wohl sind es nur leise, fast unmerkliche Anfänge jener Lockerung der Abhängigkeit, die bisher die Entwicklung der ersteren bestimmte. Die Kunstgeschichte zeigt, daß jene allerwärts und allezeit zuerst im "Dienste" der Baukunst auftreten und auch zeitlich derselben nachfolgen, d. h. erst später zur Blüte gelangen, weil sie eben dazu einer größeren künstlerischen Freiheit - genau gesagt, persönlichen Freiheit der Künstler von allgemeinen Regeln - bedürfen, während die Baukunst viel mehr an eine strenge Gesetzmäßigkeit gebunden ist. Für sie bringt das Vorwalten der persönlichen Freiheit daher den Verfall einer bestimmten Stilrichtung mit sich, bis sich dann wieder eine neue herausbildet; bei den darstellenden Künsten tritt dagegen der Niedergang ein, wenn durch das Festhalten an überlieferten schulmäßigen Regeln die Selbständigkeit der Künstler erdrückt wird. Jene Freiheit ist nur eine natürliche Folge der Gesamtentwicklung der Kunst und in dieser liegt daher der innere Grund des erwähnten Umschwunges, der dann noch durch einen mehr äußerlichen Umstand gefördert wurde. Die enge Verbindung aller Kunstübungen, die in dem früheren Zeitraum in den Klosterschulen eine gemeinsame Lehrstätte hatten, hört nunmehr auf, auch Bildnerei und Malerei gehen jetzt in Laienhände über und eine Sonderung der verschiedenen Thätigkeiten tritt ein. Zunächst kündet sich die Aenderung in der Stellung der Künste untereinander darin an, daß anstatt der "Unterordnung" eine "Wechselwirkung" eintritt. Die Baukunst wird

^[Abb.: Fig. 324. Claux Sluter: Der Mosesbrunnen in Dijon.]