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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Malerei im 14. und 15. Jahrhundert

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Die Malerei im 14. und 15. Jahrhundert.

so gebührt ihr unter den Künsten die erste Stelle; sie ist die reinste Form aller "Dichtung", d. h. des schöpferischen Gestaltens innerer Vorgänge. Die Dichtungsformen dienen eben dazu, das den Sinnen Undeutliche zu verdeutlichen, und demnach beruht jeglicher Kunstfortschritt in dem Bestreben nach erhöhter Deutlichkeit. Von den darstellenden Künsten vermag die Bildnerei nur bis zu einem gewissen Grade Innerliches zu verdeutlichen; sie erfordert daher auch ein höheres Maß von Kunstfertigkeit, um das Höchste zu leisten, was ihre Ausdrucksmittel überhaupt gestatten. Der Malerei sind die Grenzen weiter gesteckt; sie kann weit mehr und viel deutlicher Innerliches ausdrücken; die Farbendichtung kommt der Tondichtung am nächsten. Die Bildnerei ist die schwierigere, die Malerei aber die höhere Kunst. - Wenn ich nun darauf hinweise, daß um die Mitte des 11. Jahrhunderts (nach dem Auftreten Guido von Arezzos, des Begründers der Notenschrift) die Mehrstimmigkeit (Harmonie) in der Musik erfunden und damit für letztere erst die Grundlage zur völligen Entwicklung geschaffen wurde, ferner daß im 12. Jahrhundert das Schrifttum und die Kunst-Wortdichtung im ganzen christlich-germanischen Völkerkreise - insbesondere auch bei den Deutschen - zur Blüte gelangte, endlich daß im 13. Jahrhundert die Malerei aus ihrer untergeordneten Stellung heraustritt und im 14. Jahrhundert unter den darstellenden Künsten den Vorrang gewinnt, - so dürfte der oben aufgestellte Satz von den großen Umwälzungen, welche die "neue Zeit" der Vollendung der höheren Künste einleiten, genugsam begründet sein.

Entwicklung der Malerei. Im besonderen sind noch etliche Bemerkungen über den Entwicklungsgang der Malerei notwendig. Anfänglich sind "Zeichnung" und "Färbung" von einander getrennt; erstere beschränkt sich auf Umrißzeichnungen, welche die Einbildungskraft des Beschauers ergänzen muß, letztere stellt Farben zusammen, welche durch ihren Einklang das Auge reizen und ergötzen sollen. Weiterhin treten beide in engere Verbindung und werden als etwas Zusammengehöriges be-^[folgende Seite]

^[Abb.: Fig. 337 a. Giotto: Der hl. Franziskus.

Assisi. Hochaltar der Unterkirche.]

^[Abb.: Fig. 337 b. Giotto: Allegorie der Armut.

Assisi. Hochaltar der Unterkirche.]