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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Zeit der "Renaissance"

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Die Zeit der "Renaissance".

als Zeitgenosse Ghibertis zu jenen gehörte, welche den Uebergang zu der neuen Richtung anbahnten. (Er war auch Mitbewerber um die Erzthüren.)

Lucca besaß in Matteo Civitale (1435-1501) einen Meister, dessen Arbeiten sich durch ungemeine Lieblichkeit und Innigkeit des Ausdrucks auszeichnen. In Modena findet sich wieder ein Künstler, welcher den allgemeinen Durchschnitt des künstlerischen Wollens und Könnens etwas überragt: Guido Mazzoni. Sein Hauptwerk, eine Thongruppe der Beweinung Christi, zeigt seine Fähigkeit für naturwahren Ausdruck, doch fehlt der innere Zusammenhang, es spiegelt kein wirkliches Leben sich wieder und die Gruppe wirkt deshalb wie das geschickt gestellte Schlußbild eines Schauspiels (Fig. 455).

In der Lombardei gab die Certosa von Pavia seit 1473 einem Kreise von fremden Künstlern Gelegenheit zur Entfaltung ihrer Kräfte, von welchen dann auch die heimischen Künstler der Umgebung Schulung und Anregung empfingen. Die Hauptthätigkeit bestand in Schmuckwerk, namentlich in Flachbildnerei, dessen ja dieser Bau in Menge bedurfte. Ein unmittelbarer Einfluß von Florenz aus fand nicht statt, sondern mehr eine Mischung der durch viele Vermittler hierher gelangten Formen mit deutschen Zügen, wie es in einer Grenzlandschaft leicht möglich war.

Den meisten Eindruck macht das Hauptportal, das auch schon in baulicher Hinsicht bemerkenswert ist. Die Kreuzgänge der beiden Klosterhöfe sind mit reichem Bildwerk aus gebranntem Thon ausgestattet. Da an der Ausschmückung der Certosa vom 15. bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts gearbeitet wurde, läßt sich hier die Entwicklung der lombardischen Bildnerei am besten verfolgen (Fig. 456).

***

Die Bildnerei im 16. Jahrhundert. In dem eifrigen Bemühen, die Natur genau zu erfassen und sie "wahr" wiederzugeben, hatte die Bildnerei auch die Fähigkeit erworben, über die Natur hinauszugehen und "frei" zu schaffen. Sie gelangt dabei auch zur vollen Unabhängigkeit, sowohl von der Baukunst wie von den malerischen Einflüssen, und findet ihren ureigenen "Stil", oder deutlicher gesagt: die eigenen Gesetze der Kunstweise, wie sie der Stoff, aus dem die Werke bestehen, und die besonderen Verhältnisse - greifbare Körperlichkeit im freien Raume - sie bedingen. Aus der früheren Zeit übernahm man deren größten Vorzug: die Gedankentiefe, und fügte nur die Vollendung der Form hinzu. Die infolge der planmäßigen Ausgrabungen jetzt zahlreich zu Tage getretenen Werke der Antike förderten diese Ausbildung in der Formgebung; der ganze Zug der Zeit wies auf das Große und Erhabene hin. So entwickelte sich eine "ideale" Richtung, welche in den ersten Jahrzehnten des Cinquecento herrliche Schöpfungen erzeugte, bei denen der gedankliche Gehalt nicht mehr blos in den der Natur abgelauschten, sondern in nach einem gedanklichen Urbild veredelten Formen großartigen Ausdruck erhielt. Dieses Hinausgehen über die gewöhnliche Natur giebt sich auch kund in der äußerlichen Größe der Werke, man liebt es, in überlebensgroßen Formen zu schaffen.

Diese Blütezeit währte freilich nicht lange. Die Beschäftigung mit der Antike verleitete zur bloßen äußerlichen Nachahmung, die errungene Beherrschung der Formensprache zu Künsteleien, das Streben nach einem Schönheitsurbild zur Ueberfeinerung und Betonung des Sinnereizenden. Indem man glaubte, der Naturbeobachtung ganz entbehren zu können, verlor man wieder den festen Boden, auf dem sich der reine und edle Idealismus ent-^[folgende Seite]

^[Abb.: Fig. 461. Cellini: Perseus.

Florenz. Loggia dei Lanzi.]