Schnellsuche:

Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Zeit der "Renaissance"

477

Die Zeit der "Renaissance".

Im Aeußeren der Bauten wird auf ein Ebenmaß der Teile (Symmetrie) verzichtet, im Gegenteile sucht man durch Zusammenstellung ungleichartiger Massen - also durch Gegensätze - die malerische Wirkung zu erzielen. Neben großen, wenig oder nur einfach gegliederten Mauerflächen finden sich dann reich verzierte Teile, welche die Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollen, wie Erker und Giebel; sehr beliebt ist die Anfügung von Treppentürmen. Besonders schmuckvoll gestaltet man die Thoröffnungen, bei denen gotische Bildungen mit antiken Formen vermischt werden; am häufigsten sind sie rundbogig, manchmal werden sie mit Nischendächern versehen oder erhalten Giebelaufsätze. In dieser Verwendung verschiedenartiger, eigentlich widerspruchsvoller Einzelheiten bekunden die Baukünstler eine ungemeine fruchtbare Erfindungsgabe und erzielen durch die Fülle der Schmuckformen einen hohen Augenreiz.

Bei den Giebeln behielt man aus der spätgotischen Zeit die treppenartige Abstufung bei, ersetzte aber vielfach die geradlinige durch eine geschwungene, krummlinige (Curven). Sie werden wagerecht und senkrecht gegliedert, erhalten oft mehrere Stockwerksreihen von Fenstern und werden mit Nischen, Wandpfeilern, Gesimsen und allerlei Figurenwerk ausgestattet.

Die Erker behandelt man wie einen ganz selbständigen Teil, der dem Ganzen gewissermaßen nur angeheftet ist. Sie sind rund, viereckig oder mehreckig gestaltet, werden in der Regel von mehreren auskragenden Tragsteinen gestützt und erhalten ebenfalls einen ungemein reichen Schmuck in der gleichen Weise, wie die Thoröffnungen.

Bei den Säulen wich man vielfach von den streng geregelten Formen der Antike und Gotik mit freier Willkür ab und bildete nicht nur Sockel und Knauf ganz im Sinne des Schmuckhaften um, sondern gab auch dem Schafte eine reiche Gliederung. Gedrehte und ausgebauchte Schäfte (Docken- oder Balusterform) stellen noch die einfacheren Formen dar; mit Vorliebe nahm man jene der Leuchter zum Vorbild: mit vortretenden Ringen, Einschnürungen, Ausbauchungen, daher auch diese Art als Kandelabersäulen bezeichnet wird.

Im Inneren werden die Kreuz- und Netzgewölbe zwar auch noch angewendet, häufiger aber findet sich die reich gegliederte Kassetendecke aus Holz oder Stuck, welche Gelegenheit bot, eine Fülle von Schmuckwerk, bildnerischer und malerischer Art, anzubringen. Ebenso wird die Täfelung der Wände jetzt - aus dem gleichen Grunde - immer mehr üblich, wobei man anstatt einfacher Rahmen mit Ziermusterfüllung bauliche Formen (Säulen, Gesimse) zur Gliederung verwendet und die Füllung mit bildnerischem Schmuckwerk verschwenderisch ausstattet.

Zierwerk. Wie aus dem bisher Gesagten schon hervorgeht, spielt das Zierwerk die Hauptrolle. Auch hierbei vermengt man verschiedene Grundzüge miteinander. In der gotischen Zeit kamen geometrische und pflanzliche Formen (der Natur ziemlich getreu nachgeahmte Laubblätter) zur Verwertung; die italienische Renaissance bevorzugte das Rankenwerk (Laub- und Blumengewinde) in schwungvoll "stilisierten" d. h. frei erfundenen Bildungen, in welches dann noch Tiere, Köpfe und Fabelgestalten eingefügt wurden. (Diese Art Zierwerk bezeichneten die Italiener mit "Grottesco", es wurde zunächst in farbiger Malerei ausgeführt und dann auch in Stuck u. s. w. bildnerisch verwertet.) - In Deutschland gab man die geometrischen Muster nicht ganz auf, sondern bildete

^[Abb.: Fig. 474. Nürnberg. Hof in der Hirschelgasse.]