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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts

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Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts.

Jules Hardouin-Mansart (1646-1708), dessen Wirken in eine Zeit fiel, in welcher die für alles maßgebenden Verhältnisse am Pariser Hofe sich wesentlich zu ändern begannen.

Der alternde König Ludwig XIV. war fromm und häuslich geworden, die glänzenden Feste hörten auf, das Gefallen an Pracht und Prunk war übersättigt. Die Frömmigkeit verlangte nach erbaulicher "Stimmung"; der häusliche Sinn nach traulicher Heiterkeit. Die erhabene Großartigkeit hatte ihren Reiz verloren, anregende Zierlichkeit konnte einen neuen bieten. Wie man sieht, drängten die Verhältnisse den Geschmack nach der Richtung der barocken Entwicklung hin. Für den neuen Geist, der am Hofe und in der Gesellschaft sich zu regen anfing, fand dann Hardouin-Mansart den entsprechenden Ausdruck. Zunächst war seine Hauptaufgabe der Ausbau des Schlosses von Versailles, als dessen Baumeister er 1676 bestellt wurde (Fig. 636). Hier war er allerdings durch das Vorhandene gebunden, da einerseits auf Wunsch des Königs das alte Schloß hatte beibehalten werden müssen, andererseits Levau bereits Anbauten ausgeführt hatte. Immerhin nahm er durchgreifende Umgestaltungen an den Bauten und Levauschen Plänen vor. Er erhöhte das Ganze um ein Stockwerk und führte an Stelle der Terrasse, die bei dem alten Schlosse, auf der Gartenseite angelegt gewesen, die "Galerie des Glaces" auf, so daß hier die Schauseite nunmehr geschlossen erschien. Ferner erbaute er 1680 den südlichen Querflügel mit dem ungeheuren, 119 m langen, 13 m breiten Saal, der sogen. Schlachtengalerie, einige Jahre später kam dann der Nordflügel hinzu. Wichtiger jedoch als die Außenbauten war die Ausgestaltung des Innern. Es wurde bereits erwähnt, welchen Einfluß hierauf Lebrun übte, und die "Galerie des Glaces" giebt vielleicht das beste Zeugnis ab für den Zusammenstoß zweier Richtungen. Die Baufügung ist in großen, schweren Formen gehalten, die Gliederung ist einfach: Wandpfeiler an der Rückwand, Bogenstellungen bei den Fenstern. Doch schon das reiche Gesimse leitet über zu dem barocken Schmuck der Decke, mit seiner Fülle von Stuckbildnerei und Gemälden (Fig. 637). In anderen Prunkgemächern schließt sich auch das Bauliche bereits mehr dem Malerischen an und das Zierwerk erhält jene Ausgestaltung, welche eine innige Vermengung des französischen Klassizismus und des italienischen Barock darstellt. Die gerade Linie, die geometrischen Formen erhalten sich, aber verschlungene Linien übernehmen die Verbindung; die ebenmäßige Anordnung des den Bau füllenden Zierwerkes, sein folgerichtiger Ausbau werden gewahrt, doch die Formen werden bewegter, immer leichter und zierlicher.

Der bereits erwähnte Nordflügel hätte nach dem ersten Entwurf in der Mitte die Schloßkapelle, an den beiden Schmalseiten Treppenhaus und Theater erhalten sollen. Bei der Ausführung wurde die Treppe in den mittleren, die beiden Höfe trennenden, Querbau verlegt, und die Kapelle kam an die Seite. Ihr Grundriß zeigt ein Hauptschiff mit halbkreisförmigem Chor, um welches ein Seitenschiff als Umgang sich herumzieht, der vom Hauptschiff durch Bogenstellungen auf reichgeschmückten Pfeilern geschieden wird. Auf letzteren ruht die gleichfalls ringsherum laufende Empore, auf welche das Hauptgewicht gelegt erscheint. Fast 20 m hohe geriefelte korinthische Säulen tragen ein edel geformtes Gesimse, auf dem das durch Gurten und Stichkappen gegliederte Tonnengewölbe sich stützt, welches ein Deckengemälde enthält. Das Ganze ist ungemein glücklich erfunden. Die Anforderungen der Baufügung kommen zu Recht und Geltung, die Formen sind von höchster Anmut und Zierlichkeit und geben dem Innern mit den fein dazu gestimmten Farben einen entzückenden malerischen Reiz. Der Gedanke, die für die "Herrschaft" bestimmte Galerie zur künstlerischen Hauptsache zu machen, hatte etwas bestechendes für alle Schloßherren, zumal auch noch der Bequemlichkeit Rechnung getragen war, da man in die Galerie unmittelbar von den Zimmern aus gelangen konnte, also jede Berührung mit der Menge, die in der Unterkirche sich drängte, vermieden blieb. Vom baukünstlerischen Standpunkte aus war aber der Gedanke deshalb wertvoll, weil er die Frage der Eingliederung einer Kirche in den Palast löste. Die Empore schloß sich den anderen Prunkräumen des Hauptgeschosses vollständig gleichwertig an und unterschied sich von einem Festsaal nur durch die Oeffnung des Bodens in der Mitte.