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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts

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Die Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts.

Anregungen auf, ging aber ihre eigenen Wege, welche ihr die schöpferische Einbildungskraft erfindungsreicher, formengewandter und vor allem malerisch empfindender Meister wies.

Holland. Holland hatte erst durch den Waffenstillstand von 1609 für längere Zeit jene Ruhe erlangt, welche gestattete, sich auch wieder mehr mit Kulturaufgaben zu befassen. Während des Kampfes hatten sich die Gegensätze zu Belgien noch schärfer herausgebildet. Wir finden sie auf allen Gebieten. Auf den Unterschied der Volksart wurde bereits hingewiesen, dort der bewegliche, sinnlich erregbare, lebensfroh genießende Romane, hier der ernste, verständig berechnende, häusliche Germane. In Belgien überwog die gewerbliche Thätigkeit, Holland war eine Seemacht geworden, die gemeinsam mit England den Welthandel beherrschte. Der Katholizismus im Süden wirkte auf das Gemüt, der Protestantismus beschäftigte das Denken. Holland wurde eine Stätte der wissenschaftlichen Forschung, an der die Philosophie mit gründlichem Eifer gepflegt wurde.

Diese philosophisch-wissenschaftliche Geistesrichtung allein würde es schon hinreichend erklären, daß in Holland die Barockkunst keinen Boden finden konnte, sondern dort das "Klassische" und zwar in der Auffassung Palladios Geltung behielt, bis die "Wissenschaft" dem "hellenischen Klassizismus" zum Durchbruch verhalf. Dazu trugen noch die anderen Umstände nicht unerheblich bei, das belgische Barock mit seiner Formenpracht erschien als "katholisch" und war daher dem strenggläubigen Protestantismus widerwärtig, das ungebundene Walten der Einbildungskraft konnte dem nüchternen, kalten und klaren Verstande der Holländer nicht zusagen; ernst, regelrecht und gesetzmäßig sollte auch die Kunst sein.

Sie blieb aber auch deutsch in ihrem Wesen. Die Gotik, welche in Holland auch weit einfacher und nüchterner wie in Belgien sich entwickelt hatte, gab die Grundgedanken, und die deutsche Frührenaissance lieferte die Formensprache für die holländische Bauweise zu Beginn des 17. Jahrhunderts, die sich von Italien nur in geringem Maße beeinflußt zeigt.

Man konnte sich aber doch der Erkenntnis nicht verschließen, daß in Italien wie in Belgien eine fortschreitende Entwicklung sich vollziehe, zumal auch viele der holländischen Künstler dort ihre Studien gemacht hatten. Da man aber aus den erwähnten Gründen sich dieser Kunstweise nicht anschließen, sondern die Eigenart bewahren wollte, so blieb für einen Fortschritt eben nur der Weg zur "antiken Einfachheit" übrig. Auch die deutsche Renaissance hatte der Freude an malerischem Formenreichtum und der frischweg gestaltenden Einbildungskraft freie Bahn gewährt, die man nun verließ, um in ruhiger, breiter Massenentwicklung, in einfachen, großzügigen Formen bei fast völligem Verzicht auf Zierwerk im Aeußeren, die künstlerische Wirkung zu suchen.

Für diese Auffassung ist wohl am meisten bezeichnend das Stadthaus in Amsterdam (jetzt königliche Residenz), welches 1648 begonnen wurde und zwar von einem Rubens-Schüler, Jacob von Campen (+ 1657). Der Bau ist von mächtiger Wirkung, seine Größe entspricht der damaligen Stellung Amsterdams als der ersten Handelsstadt der Welt. Die Eigenart eines "Stadthauses", als des Mittelpunktes eines freien bürgerlichen Gemeinwesens, findet bedeutungsvollen Ausdruck. Dem Hauptbau (Fig. 645) ist ein Vorhaus vorgelegt, in welches sieben Rundbogenthore führen. Aus demselben gelangt man über die Haupttreppe in den großen Bürgersaal, der durch zwei Stockwerke sich erhebt und mit einem Tonnengewölbe überdeckt ist; rings um denselben ziehen sich Galerien von fast 9 m Breite hin. An den Ecken des Hauptbaues springen gleichfalls drei Fenster breite Pavillons vor. Die Schauseite ist wagerecht in drei Hauptteile gegliedert: ein niederes Untergeschoß mit quadratischen Oeffnungen; ein schmales Gesimse trennt es von dem ersten Hauptgeschoß, über welches ein Halbgeschoß angeordnet ist, dann folgt ein mächtig entwickeltes Gesimse, das auf Wandpfeilern aufruht und darüber das zweite Geschoßpaar. Die senkrechte Gliederung erfolgt durch die erwähnten Wandpfeiler mit korinthischen Kapitälen. Die Fenster der Hauptgeschosse sind länglich, jene der Halbgeschosse quadratisch. Ueber dem siebenfenstrigen Mittelbau erhebt sich ein mit Flachbildwerken geschmückter Giebel, hinter