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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Der gotische Stil; Stileigenheiten der Renaissance

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Erläuterungen.

Der gotische Stil. Neben den Hauptmerkmalen des gotischen Stiles, dem Spitzbogen, dem allgemeinen Aufstreben, dem Maßwerk und den anderen auf S. 286 u. ff. gekennzeichneten Eigentümlichkeiten treten keine wichtigeren Merkmale auf. Ich begnüge mich deshalb hier, einige zum Vergleich mit den romanischen geeignete Einzelheiten aufzuführen.

Das Kapitäl mit seinem lose aufliegenden Blattschmuck hat eine sehr nüchterne Form angenommen. Seine Bedeutung als Bauglied wie als Schmuckstück hat es fast ganz eingebüßt, es vermag nur noch mit vielen gemeinsam einige Wirkung zu erzielen (s. z. B. 5 und 10 der Fig. 717, ein Bündelpfeiler und einzelnes Kapitäl davon aus dem Dome zu Köln). Das Blattwerk, das in den klassischen Stilen in innigstem Zusammenhange mit dem Zweck des von ihm geschmückten Gliedes stand und auf seine Bedeutung als tragender, trennender oder verknüpfender Bauteil hinwies, hat diese Beziehung verloren. Man bemüht sich aber bei dem wenigen Blattschmuck, der den Kapitälen, Friesen und Rosetten gegeben wird, einheimische Pflanzenformen naturwahr wiederzugeben, wie dies 17, eine Rosette aus der heiligen Kapelle zu Paris, zeigt (vergleiche damit die romanische auf demselben Bilde!). Auch das Akanthusblatt zeigt, wenn es, was selten geschieht, verwendet wird, natürlichere und einfache Formen (16).

Bei den die Türme, Ziergiebel und Fialen schmückenden Kreuzblumen und den Krabben oder Kriechblättern zeigt sich zuerst eine den Knollen der Knospen Kapitäle (4) ähnliche Form 8 u. 9 a, aus der dann später die krauseren, mehr an natürliche Blätter erinnernden Formen 8 u. 9 b entstanden.

In der Spätgotik verlieren die Pflanzenformen ihre Frische und Natürlichkeit, sie vertrocknen gleichsam, werden dürr und leblos und zu unnatürlichen Verschnörkelungen, wie dies 18 zeigt, ein aus Umbildung der Distelblätter entstandenes, sehr häufig angewendetes Zierwerk. Als Gegenstück zu der häufigsten romanischen wagerechten Gliederung, dem Rundbogenfries, zeigt 12 eine ganz schmucklose gotische, einen Wasserschlag, dessen einfache Formen nicht als Schmuckwerk angesehen werden können.

Stileigenheiten der Renaissance. Strenge Stilgesetze, wie sie besonders im gotischen Stil herrschten, kennt die Renaissance nicht, der einzelne Künstler konnte mehr seiner freien Erfindungsgabe nachgeben. Deshalb lassen sich "Behelfe" für das Erkennen der italienischen Renaissancewerke nicht in kurzen Worten geben. Dem Laien bietet sich die Hauptschwierigkeit dar beim Schmuckwerk und insbesondere bei den Einzelheiten, wie

^[Abb.: Fig. 718. Renaissance-Formen.]