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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gehirn

zweite Ast (ramus supramaxilliaris), mit gleichfalls wesentlich sensibeln Fasern, verläßt die Schädelhöhle durch das runde Loch des Keilbeins und verläuft zum Oberkiefer und Gesicht; der dritte Ast (ramus inframaxillaris) besteht aus motorischen und sensibeln Fasern, tritt durch das ovale Loch des Keilbeins aus dem Schädel und verzweigt sich im Bereiche der Schläfengegend, der Zunge und des Unterkiefers. Das sechste Gehirnnervenpaar, die äußern Augenmuskelnerven (nervi abducentes, s. Fig. 4,13), kommt aus den Pyramiden des verlängerten Marks und verläuft zu dem äußern geraden Augenmuskel. Das siebente Paar, die Gesichtsnerven (nervi faciales, s. Fig. 4,14), entspringen vom verlängerten Mark und dem Boden der vierten Hirnhöhle, treten durch den Fallopischen Kanal des Felsenbeins hindurch und verbreiten sich von der Ohrgegend aus strahlenförmig zu sämtlichen mimischen Gesichtsmuskeln, deren Bewegung sie vermitteln. Das achte Paar, die Gehörnerven (nervi acustici, s. Fig. 4,14), entstammen gleichfalls vom Boden der vierten Hirnhöhle, treten in den innern Gehörgang ein und verzweigen sich im Innern (dem Labyrinth) des Gehörorgans. Das neunte Paar, die Zungenschlundkopfnerven (nervi glossopharyngei, s. Fig. 4,14), entspringen aus den strangförmigen Körpern des verlängerten Marks, verlassen durch das Drosselloch die Schädelhöhle und verbreiten sich mit je einem Ast in der Schleimhaut des Zungenrückens, mit einem andern im obersten Teile des Schlundkopfes. Das zehnte Paar, die herumschweifenden oder Lungenmagennerven (nervii vagi, s. Fig. 4,14), entspringen gleichfalls aus dem verlängerten Mark, verlassen durch das Drosselloch den Schädel und versorgen den Schlundkopf, den Kehlkopf, die Speiseröhre, den Magen, die Lungen und das Herz mit sensibeln und motorischen Nervenfasern. Das elfte Hirnnervenpaar, die Beinerven (nervi accessorii, s. Fig. 4,15), nehmen ihren Ursprung vom obern Teile des Rückenmarks innerhalb der Wirbelsäule, steigen von hier erst in die Schädelhöhle hinauf, legen sich an die beiden vorigen an und endigen im Kopfnicker und im Kappenmuskel an der Schulter. Das zwölfte Paar, die Zungenfleischnerven (nervi hypoglossi, s. Fig. 4,16), kommen aus dem verlängerten Mark, treten durch einen besondern Knochenkanal in der Nähe des großen Hinterhauptslochs und verzweigen sich in den Muskeln des Zungenbeins und der Zunge.

Hinsichtlich des feinern Baues ergiebt die mikroskopische Untersuchung, daß auch das G. wie die andern nervösen Centralorgane im wesentlichen aus zahllosen, dicht aneinander gelagerten feinsten Nervenfasern, die sich nicht verzweigen und keine sehnige Hülle besitzen, und aus den sog. Ganglienkugeln oder Nervellzellen besteht, die zwischen den Nervenfasern eingelagert sind, die Verbindung der letztern untereinander vermitteln und die eigentlichen Centralpunkte darstellen, von denen der Anstoß zu den verschiedenartigen Hirnfunktionen ausgeht. Die graue Hirnsubstanz, welche die gesamte Oberfläche des Großen und Kleinen G. als gleichmäßige, 4-5 mm dicke Schicht überzieht und auch an gewissen Stellen im Innern des G. in größerer Anhäufung vorgefunden wird, besteht in der Hauptsache aus solchen feinsten Ganglien- oder Nervenzellen, deren jede eine größere oder geringere Zahl von Fortsätzen aussendet, die sich wiederum vielfach verästeln und schließlich in unmeßbar feine Nervenfäserchen auflösen. (S. Ganglien.) Die weiße Substanz dagegen, welche die unter der Hirnrinde liegende Hauptmasse der Großhirnhemisphären ausmacht, setzt sich im wesentlichen aus zahllosen unverzweigten feinen Nervenfasern zusammen und dient, analog den peripheren Nerven, nur zur Leitung und Übertragung derjenigen Erregungszustände, welche in den peripheren Endapparaten oder in den Ganglienzellen zur Auslösung gelangten. Die beiden ebenerwähnten elementaren Formbestandteile des G., die Ganglienzellen und Nervenfasern, sind durch eine eigentümliche, sehr weiche Kitt- oder Bindesubstanz, den sog. Nervenkitt (Neuroglia), eng miteinander verbunden; dieselbe bildet im Verein mit den zahlreichen feinen Blutgefäßchen, die der Ernährung der Hirnsubstanz dienen, ein sehr zierliches und zartes Maschen- oder Fächerwerk, worin die Nervenfasern und Ganglienzellen eingebettet sind.

Wenn schon der Bau des G. bei den höhern Tierklassen von dem des menschlichen besonders in dem Grade der Ausbildung bedeutend abweicht, so ist dies noch mehr bei den niedern der Fall, bei denen sich zum Teil nur dem G. analoge Ganglien vorfinden. Im allgemeinen macht sich bei den Tieren ein Zurücktreten des G. im Verhältnis zum Rückenmark bemerklich, sowie überhaupt die oft gehörte Behauptung, daß der Mensch das größte G. besitze, dahin zu berichtigen ist, daß kein Tier im Verhältnis zu seiner Körpermasse ein so großes G. besitzt als der Mensch. So ist z. B. das G. des Elefanten 4,5 bis 5 kg schwer, während das des Menschen nur 1 bis 1,5 kg wiegt, aber jenes verhält sich zum Gewicht des gesamten Körpers wie 1:500, während sich beim Menschen das Hirngewicht zum Gesamtgewicht wie 1:37 verhält. Auch ist die obere Wölbung des G. bei allen Tieren, die ein solches besitzen, unbedeutender und der vordere Teil weiter hervortretend als beim Menschen. Die embryonale Entwicklung des G. geschieht bei allen Schädeltieren, einschließlich des Menschen, in der Weise, daß sich von dem vordersten Teile des sog. Medullarrohrs, der ersten Anlage des Centralnervensystems, erst drei, dann fünf aufeinander folgende Blasen, die sog. Gehirnblasen, abschnüren, die mit Flüssigkeit erfüllt sind und durch ihre Höhlen miteinander in Verbindung stehen. Die erste und wichtigste Blase, das Vorderhirn, entwickelt sich um so mehr auf Kosten der übrigen Hirnblasen, je höher das betreffende Wirbeltier organisiert ist, und bildet durch Längsteilung die beiden für die psychischen Funktionen so bedeutungsvollen Großhirnhemisphären; die zweite Gehirnblase, das Zwischenhirn, bildet sich im weitern Verlaufe der Entwicklung zur Umgebung der dritten Hirnhöhle und den Sehhügeln um, wogegen aus der dritten Blase, dem Mittelhirn, die Vierhügel, aus der vierten Blase, dem Hinterhirn, das Kleine G. und aus der fünften Hirnblase, dem Nachhirn, das verlängerte Mark hervorgehen. In den frühesten Entwicklungsstadien gleicht sich das G. aller Wirbeltiere, sodaß auf gewissen Entwicklungsstufen bei den Embryonen der verschiedenen Säugetiere, Vögel und Reptilien die G. nicht voneinander zu unterscheiden sind. Unter allen Teilen des menschlichen Körpers erlangt das G. am frühesten, bereits im siebenten bis achten Lebensjahre, seine bleibende Größe und sein nahezu volles Gewicht; vom 50. Jahre an nimmt es da-[folgende Seite]