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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Genf (Stadt)
zeichnet sich das Bürgerspital aus, welches mit einem '
Fond von über 3 Mill. Frs. dotiert ist' groß ist auch
die Zahl der privaten Anstalten und Vereine sür
wohlthätige Zwecke.
Industrie, Gewerbe, Handel. Als Indn-
strie- und Handelsstadt ist G. berübmt. Leine Ubr-
macherei ('s. S. 770 a) liefert jährlich Uhren und
Uhrenteile im Werte von etwa 2<> Mill. Frs., Bijou-
terie-, Gold- und Schmuckwaren im Werte von 12
bis 15 Mill. Frs. Im allgemeinen ist Industrie
und Gewerbe der Stadt gleichbedeutend mit dein
desKantons. G. ist das Thor, durch welches der
Verkehr der Schweiz mit ^üdsrankrcich und den westl.
Mittelmeerländern vermittelt wird. Der eigene Han-
tel bringt namentlich die Produtte der einheimischen
Industrie zur Aussuhr. Als natürlicher Mittelpunkt
des Kantons G. und der anstoßenden Teile des
Waadtlandcs, des Pays de Ger, des Faucignn u. s. w.
ist die Stadt auch ein sehr wichtiger Produkten-
markt. Als Wechselplatz wetteifert G. mit Basel.
Verkchrs wesen. G. liegt an den Linien Bern-
G. <l5l> Km) der Jura-Simplonbabn und G.-
Grenoble-Marseille (459 km) der Franz. Paris-
Lyon-Mittelmecrbahn mit dem Hauptbabnlwf (Gare
de Cornavin) im N. der Stadt und ist durch die
Linie G.-Annemasse (60 kin, Bahndof Gare des
Vollandcs in G.-Eaux-Vives) mit der franz. Babn-
linie Bellegarde-Annemasfe-Bouveret verbunden.
Lokalbahnen führen nach Veyrier (5,4 km), Ferney
(6,4 km), Vernier (4,.^ km), Laney (3,4 km), St. Ju-
lien <l>,6 Km), Douvaiue (18 km), Iusfy (11,6 km),
Ehancy (17,i km) und nach dem Friedhos St.
Georges (2," km). Pferdebahnlinien verbinden
beide Bahnhöfe miteinander, ferner G. mit Earouge,
Eheue und Annemasse. G. bat ein Hauptpostamt
mit Telegraphenbureau und vier Postbureaus. Der
fcln belebte Hafen der Stadt wird durch zwei große
Dännne vor den gefährlichen Nordoststürmen ge-
schützt. Die herrliche Lage am See, angesichts der
Montblanc-Gruppe und ihrer Vorberge (Mont-
Saleve 1379 m, Les Voirons 1480 m),^des Jura
(Töle 1678 m) und der schönen in weitem Umkreis
mit Schlossern und Villen besetzten Ufergelände,
sowie das milde Klima (Jahresmittel 9,5 ('.) machen
G. zu einer der wichtigsten Touristenstationen der
Schweiz und zum Mittelpunkt des starken Fremden-
verkehrs am Genfer See.
Geschichte des Kantons und der Stadt.
Zur Zeit des Kampfes zwischen Helvetiern und Rö-
mern gehörte G. zum Lande der Allobroger; Cäsar
benutzte die Stadt (ttenöv^) als Wafscnplatz. Spä-
ter war es ein Teil der rö'm. 1'i-ovwcm maximlr
^esiuinim'nm, und scholl unter den burgund. Kö-
nigen im 5. Jahrh, galt G. als bedeutender 5Irt.
Bei der Auflösung des Burgundiscken Reichs kam
G. imter die Herrschaft derÖstgoten, 536 unter die
der Franken, Ende des 9. Jahrh, an das neue Bur-
gundiscke und mit diesem 1032 an das Deutsche Reich.
Im 5. Jahrh, wurde G. Bischofssitz und der Gau
Genevois seit dem 9. Jahrh, von kaiserl. Grafen ver-
waltet, die ihre Würde bald erblich zumachen wußten.
Die Bischöfe wurden 1162 vom Kaiser förmlich als
Fürsten von G. anerkannt. Vom 13. Jahrb. an streb-
ten die Grafen von Savoyen nacb der Oberherrschaft.
Doch auch die Bürger von G. wußten die langen Feb-
dcn zwischen Bischöfen und Grafen zu benutzen, um
neue Freiheiten und Privilegien zu erringen, die
13.^7 vom Bifchof Adhcmar Fabri zusammengestellt
wurden. Den Grafen mld spätem Herzögen von
Savoyen gelang es nach und nach, mehrere ihrer
Prinzen auf den bifchöfl. Stuhl von G. zu bringen,
von denen befonders der Basbard Johann (1513-
22) in Verbindung mit Herzog Karl II I. die Unter-
werfung G.s unter savoyische Hoheit mit allen
tyrannischen Mitteln durchzuführen suchte. Es bil-
dete sich nun eine freisinnige Partei, die bei der
schweiz. Eidgenossenschaft Hilfe suchte und deshalb
im Gegensatz zu den "Mamluken", der savovischen
Partei, "Eydguenots" genannt wurde. Endlich ge-
lang es Bezanson Hugues, 1526 ein Bündnis mit
Bern und Freiburg zu stände zu bringen, wodurch
G. nun mittelbar unter den Schutz der Eidgenossen-
schaft trat. Bern begünstigte nun die Einführung
der Reformation in G., die, feit 1532 von Farel,
Fromment u. a. gepredigt, 27. Aug. 1535 offiziell
angenommen wurde. Als 1536 der Herzog von
Savoyen die Stadt bedrohte, zog Bern zu Hilfe
und brach für lange Zeit die Macht Savoyens in
diesen Gegenden. Ealvin (s.d.) kam 1536 zuerst zu-
fällig nach G., mußte aber 1538 die Stadt verlassen,
wurde schließlich 1541 zurückberufen und übte nun
als öffentlicher Lehrer und Prediger eine tiefgreifende
Gewalt aus. Er war es hauptfächlich, der dem Geiste
des Genfer Bürgertums das Gepräge einer mit
herbem Pedantismus verbundenen Sittenstrenge
gab, aber auch durch Grüudung der Akademie und
leine litterar. Wirksamkeit den Sinn für Wissenschaft
weckte. So gewann die bisherige Handelsstadt einen
bedeutenden Einfluß auf das geistige Leben Europas
und wurde als "prot. Nom" Haupt des Protestantis-
mus sranz. Zunge. Die geistige und polit. Herrsch-
sncht Calvins und seine Begünstigung franz.Flücht-
linge erzeugte iedoch viele Unzufriedenheit. Es bil-
dete sich eine freisinnige Nationalpartei, die sog. Liber-
tiner, die jedoch 1555 unterlag und nun durch Hin-
richtungen, Verbannungen u. s. w. verfolgt und ver-
nichtet wurde. Savoyen machte noch verfchiedene
vergebliche Versuche, sich G.s zu bemächtigen, so in
der Nacht vom 21. Dez. 1602 durch die sog. Eska-
lade, deren glückliche Abwehr noch gegenwärtig
durch ein Volksfest gefeiert wird.
Gleichzeitig mit den Kämpfen gegen Savoycn
und der Vertreibung des Bischofs hatte G. seine
Verfassung demokratisch -republikanisch gestaltet.
Die erekutive Gewalt wurde von vier Syndies
geübt, die an der Spitze des "Kleinen Nats" stan-
den und aus diesem gewählt werden mußten. Ge-
setzgebung und Beratung stand dem Nat der Sech-
zig und dem Nat der Zweihundert oder dem Großen
Nat zu: die Gesamtheit der Aktivbürger aber war
der eigentliche Souveräu. Allein mehr und mehr
artete diese Teilung der Gewalten in eine oligar-
chische Familienberrsckast aus, sodaß endlich die
Näte sich selbst ergänzten und die Bürgerversamm-
lung (con8ei1 ^n<''i'a1) zuletzt gar nicht mehr ein-
berufen wurde. Mit dieser Nechtsungleichheit bil-
deten sich unter den Bewohnern verschiedene Ab-
stufungen aus. Man unterschied die Eitoyens, als
Nachkommen alter Genfer Geschlechter, die allein
Anspruch auf öffentliche ^lmter hatten, von den
ordentlicken Neubürgern (dmn-sseoi^), den Natifs
oder Abkömmlingen von Anfassen, den dort woh-
nenden Fremden (lmdiwnts) und den Unterthanen
! i^uiet^). Aus diesen Ungleichheiten entstanden seit
Anfang des 18. Jahrh, fortwährende Reibungen
und häufige Unruhen, die 1782 eine bewaffnete In-
tervention der Schutzmächte Bern, Sardinien und
Frankreich zu Gunsten der Oligarchie znr Folge