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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Glockenfahrt – Glockenstuhl

Glockenfahrt, alte Volkssage, nach der Mittwoch vor Ostern die Kirchenglocken nach Rom zum Papst fliegen und am Sonnabend darauf an ihre Stellen zurückkehren, oder vielmehr ihre Geister, denn die Glocken selbst sieht man in den Türmen hängen. Die Meinung knüpft an das Schweigen der Glocken vom Gründonnerstag bis Karsonnabend an. Wenn die Glocken aus Rom zurückkommen, bringen sie die Ostereier mit, glauben die Kinder.

Glockenförmig, s. Blüte (Bd. 3, S. 163a).

Glockengießerei, s. Formerei und Gießereiflammofen.

Glockengußform, s. Formerei.

Glockengut, s. Glocke.

Glockenharmonika, s. Harmonika.

Glockenmetall, s. Glocke.

Glockenrecht, das Eigentumsrecht an den Kirchenglocken. Es ist unzweifelhaft, daß die Glocken seit uralter Zeit zwar Pertinenzen der Kirchen sind und vorzugsweise zu religiösen Zwecken verwendet werden, daß von ihnen aber daneben auch in den verschiedensten Fällen, die mit dem Gottesdienste gar keinen Zusammenhang haben, Gebrauch gemacht wird. Die ursprüngliche Bestimmung der Glocken ist die, Personen zusammenzurufen, und zwar nicht bloß zum Gottesdienst oder zu irgend einer feierlichen Kultushandlung, sondern auch zu weltlichen Versammlungen (Bürgersprachen, Gerichtstagen, Innungsberatungen u. dgl.) oder zur Hilfeleistung in der Not (Sturmglocke, Feuerglocke) oder zur Verfolgung von Flüchtlingen u. s. w.

Da die Glocken im liturgischen Apparat einen Platz einnahmen, so schrieb sich die Kirche eine besondere Kompetenz darüber zu; die Kirchenglocken wurden eingesegnet und sogar geweiht (s. Glockenweihe); sie wurden zu den kirchlichen Sachen (res sacrae) gerechnet; den Pfarrern wurde die Aufsicht und Verfügung über dieselben zugewiesen und ihnen die Anstellung der Glöckner und die Dienstgewalt über dieselben übertragen. In sehr vielen Gemeinden dienen dieselben Glocken kirchlichen und profanen Zwecken, und zwar sind sie regelmäßig in dem Kirchturm angebracht. Hier entstehen häufig Konflikte über den Gebrauch der Glocken, indem die Pfarrer auf Grund des kath. Kirchenrechts die ausschließliche Verfügung darüber beanspruchen, die Gemeindebehörden dagegen die Befugnis des Gebrauchs der Glocken auch für sich beanspruchen.

G. (frz. Droit sur les cloches) war sonst auch die Bezeichnung für ein altes Herkommen, nach welchem die Glocken einer eroberten Festung dem Kommandanten der Artillerie des Belagerers gehörten, von welchem sie die städtischen Behörden zurückerkaufen mußten. Einen Teil dieser Summe behielt der Kommandant für sich, den Rest verteilte er unter die Mannschaft. Noch 1807 verfuhr Napoleon I. nach der Eroberung von Danzig dem G. gemäß, und auf ausdrückliche Verordnung des Kaisers erhielt jeder Mann des Belagerungskorps einen Teil des Erlöses ausgezahlt.

Glockenschlag (Glöckchen), der Ton, welcher entsteht, wenn man auf einer Violine oder Viola eine freie Saite kräftig anstreicht, den Bogen aufhebt und die Tonbildung durch sanftes Reißen der Saite mit einem Finger unterstützt. ↔

Glockenschläger, s. Schläger.

Glockenspeise, s. Glocke.

Glockenspiel, elektrisches, s. Elektrisches Glockenspiel.

Glockenspiele sind Zusammenstellungen von Glocken verschiedener Größe, die nach der diatonischen oder diatonisch-chromatischen Tonleiter gestimmt sind, um vermittelst Klaviatur oder Walze durch bewegliche Hämmer zum Erklingen in Melodien gebracht zu werden. Anfänge von solchen finden sich schon in frühen Zeiten, so im 5. Jahrh. das bombulum, bestehend aus einer metallenen Stange mit wagerechtem Kreuzbalken, an dem die Glocken hingen, auch nolae und tintinnabula genannt. Aus dem 10. bis 12. Jahrh. sind Beschreibungen und Abbildungen von solchen G. erhalten. Klavierinstrumente größerer Art, Carillons genannt, kommen seit dem 16. Jahrh. auf Türmen und öffentlichen Gebäuden besonders in den Niederlanden vor. In Deutschland vermochten sie sich weniger einzubürgern, kommen aber in niederdeutschen Gegenden hier und da vor (z. B. im Grauen Kloster zu Berlin, Garnisonkirche zu Potsdam). Während in den Niederlanden 115, in Belgien 97 G. in Gebrauch sind, weist Deutschland deren nur 8 auf; das erste kam 1487 mit nur wenigen Glocken und sehr einfachem Mechanismus in Aelst in Flandern in Anwendung. Zur leichten Handhabe dient eine Erfindung des Holländers Smulders. Ein Tastenapparat ermöglicht es, getragene Tonstücke aller Art zur Ausführung zu bringen. Nach diesem System ist das neue G. der St. Petrikirche in Hamburg mit 40 Glocken eingerichtet. Kleinere G. mit besondern Tasten waren auch in den alten Orgeln. Bei Militärmusiken und festlichen Aufzügen hatte man tragbare Carillons, die mit Klöppeln geschlagen wurden. An die Stelle dieser trat in neuerer Zeit die Lyra oder das Stahlspiel, bestehend aus abgestimmten, auf einem lyraförmigen Rahmen befestigten Stahlstäben, die mit einem Hammer geschlagen werden.

Glockenstube, der mit Schallfenstern versehene Raum im Kirchturm, in dem die Glocken hängen.

1 und 2
Textfigur: 1 und 2

Glockenstuhl, eine Vorrichtung, in welcher die größern Glocken aufgehängt werden und schwingen. Da durch das Schwingen der Glocken eine Schwingung des ganzen Turms hervorgerufen wird, muß der G. möglichst fest stehen; er soll daher auch mit den Mauern des Turms nicht in fester Verbindung stehen. Die Glocken werden durch schmiedeeiserne Bänder mit ihren Kronen an starke eichene Riegel befestigt. Diese tragen an ihren Stirnseiten eiserne Lagerzapfen, mittels deren sie in den im eigentlichen G. angebrachten Lagern ruhen und in diesen drehbar sind. Der G. selbst ist ein aus Winkel- und

Anmerkung: Fortgesetzt auf Seite 82.