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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Eisenbahntarife

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Eisenbahntarife.

Norwegen; verhältnismäßig billig sind auch die Tarife in Deutschland (Norddeutschland 8 Pf. für das Kilometer I. Kl., 6 Pf. II. Kl., 4 Pf. III. Kl., mit 25 kg Freigepäck; Süddeutschland 8 Pf. I. Kl., 5,3 Pf. II. Kl., 3,4 Pf. III. Kl., ohne Freigepäck). Ermäßigte Tarifsätze werden meistens erhoben bei Tages- oder Retourbillets, welche auf Hin- und Rückfahrt lauten und eine beschränkte Gültigkeitsdauer haben, bei Rundreise-, Saison- und Abonnementsbillets, deren Gültigkeit ebenfalls begrenzt ist, bei Militär- und Kinderbillets, endlich auch bei besondern Gelegenheiten, z. B. Kongressen, Festlichkeiten etc. Für die Hin- und Rückfahrt von Arbeitern an demselben Tag werden vielfach eigne Arbeiterzüge eingelegt, für welche besonders niedrige Tarife in Anwendung kommen, z. B. in England infolge einer allen seit 1844 konzessionierten Bahnen auferlegten Verpflichtung die sogen. Parlamentszüge (weil ein Parlamentsbeschluß die Aufnahme dieser Bedingung in die Konzessionen herbeiführte).

Die Gütertarife werden meist aus einer nach Gewicht und Entfernung berechneten Fracht (Streckensätze) u. einer von der Entfernung unabhängigen, zur Deckung der Kosten der Expedition bei der Aufgabe und Bestimmungsstation bestimmten Gebühr (Expeditionsgebühren) zusammengesetzt. Deutschland ist nach langjährigen Bestrebungen zur Reform des Eisenbahntarifwesens seit 1879 zu einheitlichen Gütertariffestsetzungen durch Einführung des sogen. Reformtarifschemas gelangt, über dessen Fortbildung eine aus Vertretern der Staats- und Privateisenbahnen zusammengesetzte ständige Tarifkommission wacht. Das Reformtarifschema trifft nur Bestimmungen über die Einreihung der Güter in bestimmte Tarifklassen, wogegen die Festsetzung des für jede Klasse in Anwendung zu bringenden Tarifsatzes den einzelnen Verwaltungen überlassen ist. Immerhin hat sich auch in den Tarifsätzen der letztern bereits eine große Annäherung vollzogen.

(Abkürzungen: S = Streckensatz, E = Expeditionsgebühr)

Stückgüter, d. h. alle Güter, welche nicht in Wagenladungen aufgegeben werden: S. 11 Pf., E. 20 Pf.

Eilgüter, d. h. Stückgüter, für welche besondere Beschleunigung verlangt wird: S. 22 Pf., E. 40 Pf.

Wagenladungsgüter, welche nur in ganzen Wagenladungen zu 5-10,000 kg aufgegeben werden können, und zwar:

Wagenladungsklasse A 1. Für alle nicht in den Verzeichnissen der Spezial- und Ausnahmetarife (s. weiter unten) aufgeführten Güter bei Versendung mit einem Frachtbrief und einem Wagen in Mengen von mindestens 5000 kg: S. 6,7 Pf., E. 20 Pf.

Wagenladungsklasse B. Für dieselben Güter in Mengen von mindestens 10,000 kg oder Frachtzahlung hierfür: S. 6 Pf., E. 12 Pf.

Wagenladungsklasse A 2. Für Güter der Spezialtarife (s. nachstehend), wenn dieselben nur in Mengen von 5000 kg auf einen Wagen aufgegeben werden: S. 5 Pf., E. 12 Pf.

Spezialtarife, d. h. Wagenladungsgüter, für welche verschiedene Transportpreise unter Berücksichtigung ihres verschiedenen Handelswerts berechnet werden, derart, daß minderwertige Güter am wenigsten zahlen, um auch auf weite Entfernungen hin transportfähig zu bleiben; bei Wagenladungen von mindestens 10,000 kg oder Zahlung der Fracht hierfür, und zwar:

Spezialtarif I (Baumwolle, Farbhölzer, Getreide, Mühlenfabrikate, geschnittenes Holz, Maschinenteile etc.): S. 4,5 Pf., E. 6 Pf. auf Entfernungen bis 50 km, 9 Pf. auf Entfernungen von 51 bis 100 km, 12 Pf. auf Entfernungen über 100 km.

Spezialtarif II (unbearbeitetes Eisen, Asphalt, Zement, Nutzholz, bearbeitete Steine etc.): S. 3,5 Pf., Expeditionsgebühr wie Spezialtarif I.

Spezialtarif III (Dungmittel, Roheisen, Erde, Brennholz, Kartoffeln, Steine etc.): S. 2,6 Pf. im ersten Rayon bis 100 km, 2,2 Pf. im zweiten Rayon über 100 km; Expeditionsgebühr wie Spezialtarif I.

Die vorstehende Übersicht gibt nach dem Stand von 1885 die Klassifizierung der Reformtarifschemas mit den auf den preußischen Staatsbahnen durchschnittlich zur Erhebung gelangenden Tarifsätzen wieder. Dabei sind die Streckensätze für je 1000 kg (= 1 Tonne) und 1 km und die Expeditionsgebühren für je 100 kg und für Entfernungen über 100 km angegeben (bei Entfernungen unter 100 km findet eine nach Entfernungsstufen berechnete Ermäßigung der Expeditionsgebühren statt).

Außer den auf vorstehender Grundlage normal gebildeten Frachtsätzen (Normaltarif) bestehen sowohl im Verkehr innerhalb des Bereichs der Bahnstrecken jeder Eisenbahndirektion (Lokalverkehr) als auch im Verkehr mit andern Bahngebieten (direkter Verkehr oder Verbandverkehr) für gewisse Verkehrsrichtungen und Versendungsgegenstände auch noch Ausnahmetarife. Unter diesen sind Tarifsätze zu verstehen, welche für einzelne Artikel in Abweichung von der für die betreffende reguläre Tarifklasse festgesetzten normalen Transportgebühr gebildet worden sind. In Preußen unterliegen die Ausnahmetarife sowohl hinsichtlich der Transportgegenstände als auch der Verkehrsbeziehungen stets der Genehmigung des Ministers; die Genehmigung ist von dem Nachweis eines öffentlichen Verkehrsbedürfnisses abhängig. Besondere Tarifsätze bestehen außerdem für die Beförderung von Leichen, Fahrzeugen, Hunden, Tieren in Stallungswagen, in Wagenladungen und in Käfigen. Sofern Ausnahmetarife für die Beförderungen auf längere Strecken niedrigere Einheitssätze als auf kürzere Strecken enthalten, pflegt man dieselben auch Differentialtarife zu nennen. Differentialtarife entstehen oft durch die Konkurrenz von Bahnen untereinander oder durch die Konkurrenz von Bahnen mit Wasserwegen. Dieselben sollen vernünftigerweise in den Selbstkosten des Transports ihre Minimalgrenze finden. Differentialtarife sind in Deutschland namentlich mit Erfolg angewendet worden, um Massentransporte, welche früher auf außerdeutschem Gebiet befördert wurden, durch Vermittelung der Seehäfen erst auf die deutschen Bahnen zu lenken. Auch die Staffeltarife, d. h. Tarife, bei denen der Einheitssatz sich in bestimmten Verhältnissen zur Länge der Transportstrecke ermäßigt (wie z. B. vorstehend bei den Spezialtarifen I-III auf den preußischen Bahnen angegeben ist), sind als eine Gattung der Differentialtarife zu betrachten.

In Preußen wurde 1879 bei dem Abgeordnetenhaus ein Antrag eingebracht, welcher bezweckte, die Normaltarifsätze alljährlich durch die Volksvertretung festsetzen zu lassen. Dieser Antrag fand indes nicht die Zustimmung der Mehrheit, da man es vorzog, die Bestimmung der Tarifsätze der Entscheidung der Regierung zu überlassen, um für die Anpassung der Tarife an das wechselnde Verkehrsbedürfnis eine größere Beweglichkeit und eine rasche Initiative zu sichern. In Preußen werden übrigens alle Tarifänderungen wichtigerer Natur durch die Bezirkseisenbahnräte, bez. den Landeseisenbahnrat (s. Eisenbahn, S. 440) begutachtet. Auch wird das Tarifwesen der parlamentarischen Diskussion dadurch zugänglich gemacht, daß dem Landtag gleichzeitig mit dem Staatshaushaltsetat eine Übersicht der Normaltarifsätze auf den preußischen Staatsbahnen vorzulegen ist.

Den ersten umfassendern Versuch einer gesetzlichen Regelung des Eisenbahntarifwesens hat das Königreich Italien gemacht, in welchem durch ein Gesetz vom 1. Juli 1885 ein einheitlicher Tarif für sämtliche ita-^[folgende Seite]