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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Kontraktilität - Kontraprotest.

bei gemeinsamen größern Arbeitseinstellungen. Nur wo sie eintritt oder doch von den Arbeitern erwartet wird, streiken dieselben; der Zweck ihres Streiks ist, den Unternehmer dadurch zu zwingen, ihre Forderungen zu bewilligen. Wird dem Unternehmer durch den K. ein Schade zugefügt, so haften die Arbeiter zwar nach Zivilrecht für denselben; aber diese Haftbarkeit ist meist wirkungslos, da die Arbeiter gewöhnlich nicht in der Lage sind, den Schaden ersetzen zu können, bei größern Arbeitseinstellungen überdies die lange Dauer des Zivilprozesses und des Exekutionsverfahrens in der Regel die thatsächliche Ausführung des verurteilenden Erkenntnisses unmöglich macht, endlich auch der Nachweis der Vermögensbeschädigung oft sehr schwierig zu führen ist. Ebendeshalb wird die kriminelle Bestrafung des Kontraktbruchs gefordert. Man begründet die Forderung noch weiter damit, daß die Handlung einen hohen Grad von Unmoralität bekunde, den der Staat nicht dulden dürfe; denn sie werde in der Erwartung und Absicht einer Vermögens- oder sonstigen Interessenbeschädigung nur vorgenommen, weil eben die zivilrechtliche Haftbarkeit eine illusorische sei. Man weist ferner darauf hin, daß die Straflosigkeit, wie die Erfahrung lehre, gemeinschädliche Folgen haben könne, daß sie zu einer moralischen Verwilderung der Arbeiter, zu einer Gefährdung ganzer Industriezweige, zu einer Untergrabung der Achtung vor dem Gesetz, zu einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit führe etc. Gegen die Bestrafung des Kontraktbruchs wird angeführt: erstens, daß dieselbe eine Ausnahmemaßregel sei, die notwendig als solche Erbitterung unter der Arbeiterklasse hervorrufe und die sozialdemokratische Agitation unterstütze; sodann, daß der K. nicht immer eine Vermögensbeschädigung bewirke, eine Bestrafung auch in diesem Fall jedes Rechtsgrundes entbehre, die Beschränkung der Bestrafung aber auf den Fall nachgewiesener Vermögensbeschädigung das Strafverfahren sehr komplizieren und in vielen Fällen zwecklos machen würde; ferner, daß die Bestrafung, um nicht durch dieselbe die schon vorhandene Übermacht der Arbeitgeber beim Abschluß der Arbeitsbedingungen zu steigern, abhängig gemacht werden müsse von der Voraussetzung obrigkeitlicher Normativbestimmungen über den Inhalt der Arbeitsbedingungen, diese Staatsintervention aber erheblichen Bedenken unterliege; weiter, daß die Bestrafung bei der zunehmenden Organisation der Arbeiterverbände zu einer Beseitigung oder doch sehr starken Verkürzung der Kündigungsfristen führen würde; endlich, daß bei massenhaften Kontraktbrüchen, an denen Hunderte oder gar Tausende von Arbeitern beteiligt seien, die Durchführung der Exekution unmöglich sein würde. Alle diese und andre Bedenken reichen nicht hin, um die Zulässigkeit der Bestrafung vom rechtlichen und sittlichen Standpunkt unbedingt zu verwerfen, sie lassen jedoch die Zweckmäßigkeit der Maßregel mehr als zweifelhaft erscheinen. Aber anderseits sind die an sich möglichen Nachteile des straflosen Kontraktbruchs so große und kann die Handlung eine so unsittliche und gemeinschädliche sein, daß man jedenfalls Maßregeln ergreifen sollte, um den K. zu verhindern, resp. zu erschweren. Zu diesen Maßregeln gehören: die Ausdehnung der zivilrechtlichen Haftbarkeit auf Arbeitgeber als Teilnehmer und Begünstiger, die obrigkeitliche Anordnung von Kündigungsfristen bei Arbeitsverträgen für die einzelnen Gewerbszweige, die durch Vertrag nicht abgeändert werden dürfen, und die polizeiliche Bestrafung der Übertretung der Vorschrift, ferner die obrigkeitliche Kontrolle der Arbeits- (Fabrik-) Ordnungen, wo solche bestehen, endlich die Organisation von Einigungsämtern (s. d.) und die Gewährung des Rechts der juristischen Person an Gewerkvereine nur unter der Voraussetzung, daß sie statutarisch sich verpflichten, bei Streitigkeiten über Lohn- und Arbeitsbedingungen der Entscheidung eines Einigungsamtes sich zu unterwerfen.

Vgl. "Gutachten über Bestrafung des Arbeitsvertragsbruchs" von C. Roscher, Schmoller, Brentano, Hirsch u. a. in den "Schriften des Vereins für Sozialpolitik", Bd. 7 (Leipz. 1874); die Verhandlungen desselben Vereins, Bd. 9 (das. 1875); H. B. Oppenheim, Gewerbegerichte und K. (Berl. 1870); Landgraf, Die Sicherung des Arbeitsvertrags (das. 1873); A. Held, Der Entwurf der Novelle zur Gewerbeordnung etc., in Hildebrands "Jahrbüchern der Nationalökonomie", Bd. 22 (Jena 1874); Kowalzig, Über Bestrafung des Arbeitsvertragsbruchs etc. (Berl. 1875); E. Wiß, Die Arbeiter und die Strafbarkeit des Kontraktbruchs (das. 1876); R. Löning, Der Vertragsbruch (Straßb. 1876); Marchet, Die Aufgabe der gewerblichen Gesetzgebung (Weim. 1877).

Kontraktilität (lat.), Zusammenziehbarkeit, die Fähigkeit der tierischen Gewebe, sich unter dem Einfluß bestimmter Einwirkungen (Reize) zusammenzuziehen. Die Reize sind entweder innere, d. h. im Körper selbst liegende, z. B. die Nervenreize, oder äußere, z. B. chemische, thermische, elektrische und mechanische Reize. Durch einen hohen Grad von K. zeichnen sich die Muskelfasern aus. Die K. besteht nur während des Lebens und erlischt kurze Zeit nach Eintritt des Todes. Bei den Kaltblütern überdauert sie das Leben länger als bei Warmblütern.

Kontraktion (lat.), das Zusammenziehen nachgiebiger Teile vermöge der ihnen eigentümlichen Kontraktilität (s. d.), im Gegensatz zu Expansion; in der Grammatik (griech. Synäresis) Zusammenziehung zweier oder mehrerer aufeinander folgender Vokale in Einen Laut, um den Hiatus (s. d.) zu vermeiden, im Gegensatz von Diäresis (s. d.).

Kontraktur (lat., Zusammenziehung) bezeichnet ganz allgemein jede Art einer dauernden Verkrümmung oder Unbeweglichkeit des Skeletts, welche durch Zug von Weichteilen, Muskeln, Bändern, Aponeurosen, Narben etc. hervorgebracht wird. Hierher gehören der Schiefhals (s. d.), vielfache Formen der Gelenksteifigkeit (s. d.), Resultate voraufgegangener Verbrennung (s. d.) u. die Entstellungen, welche nach Lupus (s. d.) oder Keloid (s. d.) eintreten können.

Kontralizitieren (lat.), jemand in den Kauf fallen, ihn überbieten.

Kontra-Oktave, in der Musiklehre die Töne Kontra-C bis Kontra-H; vgl. Noten.

Kontraponderieren (lat.), das Gegengewicht halten.

Kontraponieren (lat.), entgegensetzen, gegenüberstellen; kaufmännisch s. v. w. ab- oder zuschreiben. Davon Kontraposition (s. d.).

Kontraposition (lat., "Gegenstellung"), in der Logik das Verfahren, durch welches ein bejahendes Urteil in ein verneinendes oder umgekehrt verwandelt wird, z. B.: alle Menschen sind sterblich - kein Unsterblicher ist ein Mensch. Bleibt dabei (wie im vorigen Beispiel) die Quantität des Urteils (dessen Allgemeinheit oder Partikularität) unverändert, so heißt die K. einfach (simplex); wird sie verändert, per accidens (vgl. Konversion). Im Handel nennt man K. die Deckung, die ein Bankier dem andern bei Kreditwechseln zu leisten gehalten ist.

Kontraprotest (lat.), s. Wechsel.