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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Frauenarbeit

Kinder für den Arbeiterhaushalt notwendig. Auch in den Manufakturen trat das Fabriksystem mehr und mehr an die Stelle der Hausindustrie. Bedeutete indessen die Fabrikarbeit der erwachsenen jungen Mädchen nur Verwertung freier Arbeitskraft, so wurden die Ehefrauen und Mütter durch die regelmäßige Lohnarbeit außer dem Hause ihren wichtigsten Aufgaben entfremdet und die Arbeiterfamilie der Gefahr der Auflösung entgegengeführt. Diese Gefahr wurde in dem Maße größer, als die tägliche Arbeitszeit unter dem Drucke ungezügelten industriellen Wettbewerbes ausgedehnt wurde und schließlich selbst die Nachtarbeit immer mehr überhand nahm. Nicht nur die Gesundheit der Kinder, auch die Gesundheit und Sittlichkeit der Mädchen und Frauen wurde den schwersten Gefahren ausgesetzt und dadurch zugleich das physische und sittliche Wohl der zukünftigen Generationen bedroht. Da von der Selbsthilfe der arbeitenden Klassen nach Lage der Dinge keine durchgreifende Abhilfe zu erwarten war, trat zuerst in England, dann auch in den übrigen Industrieländern der Staat für die Bedrängten ein und schuf im Laufe dieses Jahrhunderts durch die sog. Fabrikgesetzgebung (s. d.) wie für die Kinder und jungen Leute so auch für die erwachsenen Frauen einen immer wirksamer gestalteten Schutz gegen mißbräuchliche und schädliche Ausnutzung ihrer Arbeitskraft im Bereiche der Fabriken und Werkstätten. Insbesondere hat er, wenn auch zum Teil zögernd, der Schwangern und der Wöchnerinnen sowohl in ihrem eigenen wie im Interesse einer gesunden Nachkommenschaft sich angenommen durch zeitweiligen gänzlichen Ausschluß von der Arbeit.

Die Arbeit der erwachsenen Frauen ist in Deutschland erst durch das Gesetz vom 1. Juni 1891 einer allgemeinen Regelung unterworfen worden. Danach ist die Nachtarbeit und das Arbeiten unter Tage in Bergwerken, Salinen u. s. w. gänzlich verboten, die tägliche Arbeitszeit auf 11, an den Vorabenden von Sonn- und Festtagen auf 10 Stunden beschränkt. Die Mittagspause soll mindestens eine Stunde, für Arbeiterinnen, die ein Hauswesen zu besorgen haben, 1½ Stunden betragen. Wöchnerinnen dürfen während 4 Wochen nach ihrer Niederkunft überhaupt nicht, während der folgenden 2 Wochen nur mit ärztlicher Erlaubnis beschäftigt werden. Ausnahmen betreffs der vorgeschriebenen Arbeitszeit darf in bestimmten Fällen und in begrenztem Umfange der Bundesrat gestatten.

Neben der Fabrikarbeit der Frauen hat sich in manchen Ländern, vornehmlich in Deutschland, eine ausgedehnte Erwerbsthätigkeit des weiblichen Geschlechts in der Hausindustrie erhalten. In dieser tritt besonders hervor, daß die Verheirateten und die Witwen stärkere Verhältniszahlen zeigen, als in der Werkstättenarbeit.

Trotz einer weitgehenden Inanspruchnahme weiblicher Arbeitskräfte durch Gewerbe und Industrie behauptet die hauswirtschaftliche Thätigkeit der Frauen ihre volle Bedeutung. Dies spiegelt sich in der großen Zahl weiblicher Dienstboten wieder. Selbst in dem ersten Industrielande, England, stehen sie den industriellen Arbeiterinnen in der Zahl nur um ein Vierteil nach, in Deutschland ist die Zahl der Dienstboten absolut größer als die aller gewerblichen Arbeiterinnen. Das Hauptgebiet der weiblichen Erwerbsthätigkeit bildet in fast allen Kulturländern (ausgenommen England, sowie Australien und Amerika) auch heute noch die Landwirtschaft. Bei ihrem im Laufe des Jahres stark wechselnden Arbeitsbedarf stellen die Frauen, besonders auch die verheirateten, einen großen Teil der nichtständigen Arbeitskräfte in den Zeiten gesteigerten Bedarfs, vor allein in der Erntezeit. Der durch Einführung der intensiven Betriebssysteme, besonders des Hackfruchtbaues, bedeutend vermehrte Bedarf an Arbeitskräften wird in erster Linie durch stärkere Heranziehung der billigern F. gedeckt. Auch unter den immer zahlreicher auftretenden ländlichen Wanderarbeitern überwiegen durchaus die Frauen, und unter diesen wiederum die unverheirateten und jüngern. (S. Gangsystem und Sachsengängerei.)

Die Ausdehnung der berufsmäßigen F. veranschaulicht folgende Tabelle:

Staaten Tag der Zählung Die gesamte weibliche Bevölkerung betrug Darunter waren Erwerbsthätige überhaupt Proz. Dienende überhaupt Proz. Erwerbsthätige und Dienende überhaupt Proz.

Deutsches Reich 5. Juni 1882 23071000 4259000 18,5 1282000 5,5 5541000 24,0

Österreich 31. Dez. 1890 12206000 5821000 47,7 424000 3,5 6245000 51,2

Ungarn 31. Dez. 1880 7939000 1590000 20,0 384000 4,8 1974000 24,8

Italien 31. Dez. 1881 14194000 5789000 40,8 448000 3,1 6237000 43,9

Schweiz 1. Dez. 1888 1500000 356000 23,8 79000 5,3 435000 29,1

Frankreich 1. Dez. 1891 19201000 4631000 24,1 1042000 5,4 5673000 29,5

England und Wales 5. April 1891 14950000 2583000 17,3 1437000 9,0 4020000 26,9

Schottland 5. April 1891 2083000 367000 17,6 190000 9,1 557000 26,7

Irland 5. April 1891 2386000 421000 17,7 220000 9,2 641000 26,9

Dänemark 1. Febr. 1890 1113000 112000 10,1 115000 10,3 227000 20,4

Norwegen 1. Jan. 1891 1037000 164000 15,8 455000 43,9 615000 59,3

Schweden 31. Dez. 1880 2350000 242000 10,3 201000 8,6 443000 18,9

Verein. Staaten von Amerika 1. Juni 1880 24637000 1708000 6,9 939000 3,8 2647000 10,7

Im Deutschen Reiche waren nach der allgemeinen Berufszählung vom 5. Juni 1882 von 4¼ Mill. erwerbsthätigen Frauen beschäftigt in:

Landwirtschaft 2526633

Übrige Urproduktion 8276

Gewerbe, einschließlich Bergbau 1126976

Handel und Verkehr, einschließlich Gast- und Schankwirtschaft 298110

Häusliche Dienste in fremden Haushaltungen 116474

Lohnarbeit wechselnder Art 67362

Beamte und in freien Berufen 115272

Von 1000 Erwerbsthätigen sind weiblich in der Industrie 176, im Handel 190, in der Landwirtschaft 312.