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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Idiosynkrasie; Idĭosynkrăsie; Idiot; Idiōt; Idiotenanstalten; Idiōtenanstalten; Idiotie

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Idiosynkrasie - Idiotie

archisch, durch einen Hegumenos (s. d.), teils demokratisch, durch einen Ausschuß. Ihre Lebensweise ist weniger streng als die der Koinobien (s. d.), doch werden in ihnen Künste und Wissenschaften besser gepflegt als in jenen. Zu den idiorrhythmischen Klöstern gehören die reichsten des Athos (s. d.), das Kloster auf Patmos (s. d.) u. a.

Idĭosynkrăsie (grch.), eine eigentümliche Empfindlichkeit des Organismus, die sich auf die Art, nicht auf die Stärke des Reizes bezieht. Mit I. Behaftete empfinden Reize in anderer Art als Gesunde, finden Gerüche, welche Gesunden widerlich sind, wie den verbrannter Federn, eines glimmenden Lichts, angenehm, während ihnen Wohlgerüche unausstehlich sind. Auch für andere Sinne (Geschmack z. B.) bestehen I. Hierher gehört auch das abweichende Verhalten mancher Menschen gegen gewisse Speisen und Getränke; so werden manche Personen regelmäßig nach dem Genuß von Erdbeeren, Krebsen u. dgl. von Nesselsucht befallen u. s. w. Wenn dagegen Reize in ihrer eigentümlichen Art, aber mit veränderter Stärke empfunden werden, wenn Hysterische bei dem starken Geruch von Blumen in Ohnmacht fallen, so ist dies keine Erscheinung von I., sondern die Folge einer Hyperästhesie, einer krankhaft gesteigerten Empfindlichkeit der Nerven, wiewohl beide Abänderungen der Sinnesempfindlichkeit nebeneinander vorkommen können. Die I. findet sich vorzugsweise bei der Hysterie (s. d.) und andern Nervenleiden.

Idiōt (grch.), ursprünglich ein jeder Einzelne gegenüber dem Staat, hieß bei den Griechen vorzugsweise jeder, der an den Staatsgeschäften keinen Anteil nahm, mithin einerseits der Privatmann im Gegensatz zum Staatsmann, andererseits der Unkundige, der Laie, im Gegensatz zum Kundigen, Eingeweihten, der Ungebildete im Gegensatz zu dem Gebildeten. Die Römer verstanden demnach unter I. unwissende und unerfahrene Menschen, Stümper und Pfuscher in Wissenschaft und Kunst. In diesem Sinne wird das Wort zwar auch gegenwärtig noch gebraucht, in der Regel indes nur für geistesschwache Individuen (s. Idiotie).

Idiōtenanstalten, auch Blödenanstalten, Anstalten, in denen mit Geistesschwäche behaftete Kinder und Erwachsene zur Pflege untergebracht, möglichst gebildet und zu nützlicher Beschäftigung angehalten werden. Während die I. früher lediglich Privatunternehmungen waren, sodann von der Innern Mission begünstigt und Gegenstand freier Vereinsthätigkeit wurden, gehen jetzt die polit. Verbände daran, I. in der Weise der Blinden- und Taubstummenanstalten zu errichten und zu verwalten. Man rechnet, daß in Deutschland 40000 Idioten über 30 Jahre vorhanden sind.

Idiotie, Idiotismus (grch.), in der Medizin der Inbegriff aller Formen von Geistesschwäche (s. d.), die durch frühzeitig (im Kindesalter bez. schon vor der Geburt) eintretende Störung der Gehirnentwicklung zu stande kommen. Man unterscheidet verschiedene Arten und Grade. Unter erstern ist besonders die mit körperlicher Mißgestaltung verbundene Form der I., der Kretinismus (s. Kretinen), von der einfachen, d. h. ohne solche einhergehende I. zu trennen. Alle Kretinen sind Idioten, aber nur ein kleiner Teil der Idioten leidet an Kretinismus. Der Grad der Geistesschwäche zeigt große Verschiedenheiten, von der einfachen Dummheit bis zum tiefsten Blödsinn, wo von geistigen Regungen event. nur Wutaffekte nachweisbar sind. Früher legte man (z. B. Griesinger) großes Gewicht auf die Unterscheidung der sprachlosen und der sprachfähigen Idioten und glaubte in dem Maße der Sprachbefähigung einen Gradmesser für die geistige Höhe gefunden zu haben. Zweifellos ist der Unterschied insofern bedeutsam, als die sprachlosen Idioten meist unfähig sind, Worte verstehen zu lernen und abstrakte Begriffe zu bilden, aber nichtsdestoweniger stehen manche sprachlose Idioten geistig höher als viele, welche mehr oder wenig sprechen lernen. Zweckmäßiger ist es, drei Grade zu unterscheiden, einen schwerern, mittlern und leichtern. Bei ersterm fehlt das Vermögen, Wahrnehmungen zu machen und im Gedächtnis festzuhalten, von einer geistigen Thätigkeit ist kaum die Rede. Die Idioten mittlern Grades speichern Erinnerungen auf und sind gelegentlich in dieser Hinsicht ungewöhnlich begabt, aber nur einseitig, z. B. für Zahlen. Die Begriffe, die sie bilden, sind in der Hauptsache konkreter Art, abstrakte vermögen sie nur in ganz beschränktem Maße oder gar nicht zu fassen. Bei den mit leichtern Graden der I. Behafteten fehlt vielfach nur die geistige Selbständigkeit, die Produktivität, sie lernen unter Umständen viel, aber sie können nicht frei mit dem Erlernten schalten, sondern es nur mechanisch anwenden. Zu den leichtern Graden gehört noch die moralische I. (angeborene Moral insanity, s. d.), d. h. die Unfähigkeit, sittliche Begriffe zu bilden, wobei in der Regel auch sonst eine gewisse Schwäche der Intelligenz, insbesondere der Urteilskraft besteht. - Je nach der Ursache verbindet sich I. auch mit andern nervösen Störungen, besonders mit epileptischen Krämpfen, eine höchst ungünstige Erscheinung, wobei Heilung in der Regel ausgeschlossen ist.

Die Ursachen der I. sind sehr mannigfaltig. Man kann unterscheiden erbliche Ursachen: Krankheiten der Eltern zur Zeit der Zeugung, seien es Geistes- oder Nervenkrankheiten, Syphilis, Trunkenheit u. dgl. m., Schädlichkeiten, welche auf den sich entwickelnden Fötus einwirken und hierbei zu Erkrankungen des Gehirns (Blutungen u. s. w.) oder seiner Häute (Entzündung) führen, Quetschung des Kopfes bei der Geburt, frühzeitige Verknöcherung der Schädelnähte, schädliche Einflüsse in der frühesten Kindheit (Nierenerkrankungen, ungünstige Ernährungsverhältnisse, schlechte Pflege). Man findet demgemäß bei Idioten die verschiedensten krankhaften Zustände des Gehirns und seiner Hüllen, Mangel einzelner Teile, Veränderung der Konsistenz und Struktur der Gehirnlappen, Schädelverbildung u. dgl. m. In manchen Fällen fehlen indes grobe materielle Veränderungen.

Eine erfolgreiche ärztliche Behandlung der I., soweit dieselbe sich nicht gegen körperliche Begleiterscheinungen der Geistesschwäche (Krämpfe u. s. w.) richtet, ist fast nur in Fällen möglich, wo ungenügende Ernährung, unzweckmäßige Lebensweise die geistige Entwicklung hemmen; die neuerdings vorgenommene künstliche Erweiterung der Schädelhöhle durch Ausschneidung von Knochenstücken (Craniectomie Lannelongue) bei Schädelenge hat wenig Nutzen gestiftet. Im übrigen kann nur durch zweckmäßigen Unterricht (womöglich schon vom fünften Jahre an) eine möglichst reiche Entfaltung der etwa vorhandenen geistigen Anlagen angestrebt werden. Es geschieht dies am besten in Idiotenanstalten. - Vgl. Sollier, Psychologie de l'idiot et de l'imbécile